6 AZR 636/13

(Verlängerte Kündigungsfristen - Altersdiskriminierung?)

Details

  • Aktenzeichen

    6 AZR 636/13

  • Art

    Urteil

  • Datum

    18.09.2014

  • Senat

    6. Senat

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Mai 2013 – 7 Sa 511/12 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Leitsatz

Die von der Beschäftigungsdauer abhängige Staffelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verletzt das Verbot der Altersdiskriminierung nicht.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, zu dem ihr Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

2

Die 1983 geborene Klägerin begann im Juni 2007 bei der Beklagten, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, eine Ausbildung. Nach deren Abbruch begründete sie unmittelbar anschließend im Juli 2008 ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Die Beklagte kündigte dieses mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 unter Einhaltung der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ordentlich zum 31. Januar 2012. Die Klägerin begehrt – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der längstmöglichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB, dh. bis zum 31. Juli 2012.

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Die Klägerin hat geltend gemacht, die Staffelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB führe zu einer mittelbaren Altersdiskriminierung. Die maßgebliche Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) verfolge in diesem Zusammenhang ausschließlich sozialpolitische Ziele. Den Materialien der Novellierung des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB durch das Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz – KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1668) lasse sich kein solcher Rechtfertigungsgrund entnehmen. Zudem sei eine Schutzwürdigkeit älterer Arbeitnehmer, der durch die Staffelung der Kündigungsfristen habe Rechnung getragen werden müssen, nicht erkennbar.

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Die Klägerin hat – soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung – beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Dezember 2011 nicht zum 31. Januar 2012, sondern erst zum 31. Juli 2012 geendet hat.

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Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die gesetzliche Kündigungsfristenstaffelung sei dadurch gerechtfertigt, dass sich Arbeitnehmer mit längerer Beschäftigungsdauer einen Besitzstand erarbeitet hätten, der ihnen Anspruch auf soziale Absicherung gewähre. Ältere Arbeitnehmer seien schlechter vermittelbar. Die Staffelung der Kündigungsfristen diene deshalb den sozialen Gesichtspunkten, die die RL 2000/78/EG im Visier gehabt habe.

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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist zum 31. Januar 2012 beendet worden.

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I. Die von der Beschäftigungsdauer abhängige Staffelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verletzt nicht das in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) normierte Verbot der Altersdiskriminierung, das durch die RL 2000/78/EG konkretisiert wird (zu dieser Konkretisierung BAG 25. Februar 2010 – 6 AZR 911/08 – Rn. 17, BAGE 133, 265). Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedarf es insoweit nicht. Die entscheidungsrelevanten unionsrechtlichen Fragestellungen sind von diesem geklärt.

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1. Der Anwendungsbereich des Unionsrechts ist eröffnet. Bei Kündigungsfristen handelt es sich um Entlassungsbedingungen iSd. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG (EuGH 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 25 f., Slg. 2010, I-365).

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2. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB knüpft nicht unmittelbar an das Lebensalter, sondern an die Beschäftigungsdauer und damit die Betriebszugehörigkeit an. Die gesetzliche Regelung ist damit dem Anschein nach hinsichtlich des Merkmals „Alter“ neutral. Die Differenzierung nach der Betriebszugehörigkeit führt jedoch regelmäßig zu einer mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit sind jedenfalls typischerweise älter als Arbeitnehmer mit kürzerer Betriebszugehörigkeit. Zwar können auch ältere Arbeitnehmer eine nur kurze Betriebszugehörigkeit haben. Eine lange Betriebszugehörigkeit können aber Arbeitnehmer in jungen Jahren noch nicht erlangt haben (BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 94/12 – Rn. 52).

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Angesichts dieser offenkundigen mittelbaren Ungleichbehandlung jüngerer Beschäftigter durch das Abstellen auf die Beschäftigungsdauer in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB bedurfte es keiner gesonderten Darlegung der Klägerin zum Nachweis des positiven Tatbestandsmerkmals einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters (zu den entsprechenden Anforderungen BAG 22. April 2010 – 6 AZR 966/08 – Rn. 20 f., BAGE 134, 160; zur Qualifizierung als positives Tatbestandsmerkmal ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 3 AGG Rn. 13).

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3. Das bloße Diskriminierungspotential eines Kriteriums reicht zur Bejahung einer mittelbaren Diskriminierung jedoch nicht aus. Hinzukommen muss, dass sich dieses Potential auch verwirklicht. Das ist nicht der Fall, wenn der in Anspruch Genommene darlegt, dass ein zureichender Sachgrund iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vorliegt (vgl. Kamanabrou Anm. AP BGB § 626 Nr. 237; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 157, 168; zur Verteilung der Darlegungslast EuGH 17. Juli 2008 – C-303/06 – [Coleman] Rn. 52, Slg. 2008, I-5603; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 65). Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i RL 2000/78/EG ist damit ein negatives Tatbestandsmerkmal (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. BAG 15. November 2012 – 6 AZR 359/11 – Rn. 42).

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4. Nach allgemeiner Ansicht bewirkt die Staffelung der Kündigungsfristen aufgrund der Dauer der Beschäftigung in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB keine mittelbare Altersdiskriminierung.

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a) Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Umsetzung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Januar 2010 (- C-555/07 – [Kücükdeveci] Slg. 2010, I-365) von der Wirksamkeit des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgegangen. Er hat lediglich § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB für unanwendbar gehalten und angenommen, dies führe zur ausschließlichen Anwendung von § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB (BAG 9. September 2010 – 2 AZR 714/08 – Rn. 21, BAGE 135, 278).

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b) Das Schrifttum ist dem weit überwiegend gefolgt.

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aa) Die herrschende Meinung im Schrifttum geht ohne nähere Begründung von der Wirksamkeit des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB aus (KR/Spilger 10. Aufl. § 622 BGB Rn. 54; ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 622 BGB Rn. 9; APS/Linck 4. Aufl. § 622 BGB Rn. 52; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 126 Rn. 19; Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 425; Eylert Der Personalrat 2007, 92, 93 [für § 34 TVöD]).

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bb) Einige Stimmen im Schrifttum nehmen an, der Gesetzgeber könne das höhere Kündigungsrisiko und die schlechteren Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt älterer Menschen durch längere Kündigungsfristen als positive Maßnahme iSd. § 5 AGG ausgleichen (vgl. Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 450; Däubler/Bertzbach/Hinrichs/Zimmer AGG 3. Aufl. § 5 Rn. 58).

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cc) Andere halten § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG bzw. § 10 AGG für gerechtfertigt, weil die Verlängerung der Kündigungsfristen es dem Arbeitnehmer erleichtern solle, eine Beschäftigung zu finden und seinen Lebensstandard zu halten (Groß Die Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung auf der Grundlage der Richtlinie 2000/78/EG S. 139 ff.; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 29a; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586; Temming Altersdiskriminierung im Arbeitsleben S. 137, 517).

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dd) Schließlich nimmt ein Teil des Schrifttums an, § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB sei wegen der steigenden Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer (Rehm Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters im Kündigungsrecht S. 88 ff.; Wendeling-Schröder NZA 2007, 1399, 1403 f.; Zimmermann/Lingscheid jurisPR-ArbR 5/2014 Anm. 1), die zu einer längeren Arbeitsplatzsuche führe (Löwisch FS Schwerdtner 2003 S. 769, 771), bzw. wegen der mit der Verlängerung der Kündigungsfristen verbundenen Belohnung der Betriebstreue (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 10 Rn. 27; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206) mit den Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vereinbar.

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ee) Nur vereinzelt wird angenommen, die Staffelung der Kündigungsfristen aufgrund einer längeren Beschäftigungsdauer sei nicht gerechtfertigt (Kaiser FS Konzen 2006 S. 381, 385 ff., 409 f.).

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5. Die Staffelung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolgt das Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren. Zur Erreichung dieses rechtmäßigen Ziels ist die Verlängerung auch in ihrer konkreten Staffelung angemessen und erforderlich iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i RL 2000/78/EG. Darauf verweist die Beklagte zu Recht. Damit entfällt bereits der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters, so dass es auf eine Rechtfertigung nach Art. 6 oder Art. 7 RL 2000/78/EG nicht ankommt (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 66, Slg. 2009, I-1569; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 3 AGG Rn. 13; BT-Drs. 16/1780 S. 33).

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a) Differenzierungsziel des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB ist es, den Schutz von länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern bei Kündigungen zu verbessern. Sie sollen einen – wenn auch zeitlich begrenzten – formellen Kündigungsschutz erlangen (vgl. Staudinger/Preis (2012) § 622 Rn. 9). Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm mit hinreichender Sicherheit, so dass auf weitere Auslegungskriterien nicht zurückgegriffen werden muss. Dieses Ziel ist rechtmäßig.

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aa) Welches Ziel iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i RL 2000/78/EG ein Gesetz verfolgt, ergibt sich aus dem Gesetzeszweck. Ob der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung erfüllt ist, bestimmt sich danach, ob die mittelbare Benachteiligung von Trägern verpönter Merkmale aus dem gesetzlich angeordneten Differenzierungskriterium und dieses wiederum aus dem Differenzierungsziel begründet werden kann (vgl. für Art. 3 Abs. 1 GG Gusy NJW 1988, 2505, 2507 f.). Dabei ist entgegen der Auffassung der Klägerin für Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG – anders als für eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie (dazu EuGH st. Rspr. seit 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 46, 52, Slg. 2009, I-1569) – kein sozialpolitisches Ziel erforderlich. Rechtmäßige Ziele iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG können vielmehr alle von der Rechtsordnung anerkannten Gründe sein, die nicht ihrerseits diskriminierend sind (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 59 ff., aaO; BAG 15. November 2012 – 6 AZR 359/11 – Rn. 42).

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bb) Der Gesetzeszweck ist dem in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist, zu entnehmen. Dafür sind die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung anzuwenden. Dabei können gerade die systematische Stellung einer Vorschrift im Gesetz und ihr sachlich-logischer Zusammenhang mit anderen Vorschriften diesen Sinn und Zweck freilegen (vgl. BVerfG 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 – Rn. 66, BVerfGE 133, 168; 10. Juni 2009 – 1 BvR 825/08, 1 BvR 831/08 – Rn. 48, BVerfGE 124, 25).

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cc) Für die Ermittlung des Gesetzeszwecks ist entgegen der Annahme der Klägerin nicht allein auf die Materialien des Kündigungsfristengesetzes abzustellen. Mit diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber lediglich den verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG 16. November 1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – BVerfGE 62, 256; 30. Mai 1990 – 1 BvL 2/83 – BVerfGE 82, 126) zur erforderlichen Einheitlichkeit der Kündigungsfristen der Arbeiter und Angestellten nachkommen. Er hat dabei an der für Angestellte seit den 20er Jahren, für Arbeiter seit Ende der 60er Jahre geltenden Regelungssystematik, wonach sich die Kündigungsfrist abhängig von der Beschäftigungsdauer verlängert, festgehalten. Maßgeblich sind daher die Ziele, die er mit dieser Systematik verfolgt.

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(1) Das Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (RGBl. I S. 399) sah in Betrieben mit mehr als zwei Angestellten in § 2 Abs. 1 Satz 2 nach einer Beschäftigungsdauer von acht, zehn und zwölf Jahren Verlängerungen der Kündigungsfrist vor. Damit sollte der Schutz älterer Angestellter, die der Gesetzgeber als von der explodierenden Arbeitslosigkeit während der Wirtschaftskrise als besonders hart betroffen ansah, verbessert werden. Er hielt die Aufgabe des Grundsatzes gleicher Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Angestellte im Hinblick auf die aktuelle Notlage für notwendig, weil ältere Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit härter als jüngere getroffen würden. Ihnen falle ein Berufs- oder Wohnortwechsel besonders schwer (RT-Drs. 1924/26 Bd. 409 Nr. 2534 S. 2).

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(2) Eine im Detail anders ausgestaltete, im Grundsatz aber vergleichbare Regelung wurde für Arbeiter durch das Gesetz zur Änderung des Kündigungsrechtes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften (Erstes Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz) vom 14. August 1969 (BGBl. I S. 1106) eingeführt. Die im Gesetzentwurf (BT-Drs. V/3913 S. 3 f.) für Arbeiter mit längerer Beschäftigungsdauer zunächst vorgesehenen Kündigungsfristen wurden im Gesetzgebungsverfahren deutlich ausgeweitet (siehe die Gegenüberstellung in BT-Drs. V/4376 S. 10 f.). Dies sei wegen der in jüngster Zeit geführten Debatten über die Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer sozialpolitisch notwendig, aber auch wirtschaftlich vertretbar (BT-Drs. V/4376 S. 3). In der Folgezeit wies die Bundesregierung darauf hin, verlängerte Kündigungsfristen trügen der Notwendigkeit verstärkter Sicherung des Arbeitsplatzes älterer Arbeitnehmer Rechnung (Antwort vom 26. September 1969 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion BT-Drs. V/4651 S. 3 f.). Ältere Arbeitnehmer würden vor plötzlicher Arbeitslosigkeit geschützt und erhielten die Möglichkeit, sich noch während der Kündigungsfrist eine neue Arbeitsstelle zu suchen (vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 14. August 1974 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der SPD-und FDP-Fraktionen BT-Drs. 7/2484 S. 7).

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(3) Im Gesetzgebungsverfahren des Kündigungsfristengesetzes im Jahr 1993 stand zwar das vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Ziel, die Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten zu vereinheitlichen, im Vordergrund. Gleichwohl ließ der Gesetzgeber erkennen, dass er – wenn auch mit veränderten Staffelungen und Kündigungsterminen – aus den bisherigen Gründen und auf der Basis der bisherigen Grundannahmen an einer Verlängerung der Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeitnehmer festhalten wolle. Dies kam schon im Gesetzentwurf vom 11. Mai 1993 (BT-Drs. 12/4902 S. 7), auf den sich die Klägerin bezieht, zum Ausdruck. Darin wird angenommen, dass mit der Vereinheitlichung der Kündigungsfristen der Arbeiter und Angestellten auf mittlerem Niveau und einer stärkeren Staffelung der Fristen sowohl die Schutzbedürfnisse beider Arbeitnehmergruppen als auch das Interesse der Arbeitgeber an möglichst großer Flexibilität ausgewogen berücksichtigt würden. Noch deutlicher wurde dieser Wille des Gesetzgebers im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 22. Juni 1993 (BT-Drs. 12/5228 S. 6) sowie in der Debatte der Gesetzesänderung im Bundestag am 23. Juni 1993 (Plenarprotokoll 12/165 S. 14220) wurde auf die existentielle Bedeutung des Arbeitsplatzes und seines Schutzes durch ausreichende Kündigungsfristen verwiesen. Der Gesetzgeber sah dabei bewusst davon ab, unterschiedlich lange Kündigungsfristen nach Berufsgruppen bzw. Qualifikationsstufen zu schaffen. Branchenspezifische Lösungen sollten den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben (vgl. BT-Drs. 12/5228 S. 6; Staudinger/Preis (2012) § 622 Rn. 3).

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(4) Auch im Rahmen der gescheiterten Bemühungen, § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als Reaktion auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Januar 2010 (- C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 25 f., Slg. 2010, I-365) zu streichen, wurde der Wille deutlich, das Prinzip, die Dauer der Kündigungsfrist an die Beschäftigungsdauer zu koppeln, unangetastet zu lassen, weil es sich bewährt habe (BT-Drs. 17/775 S. 3).

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dd) Der verstärkte (formelle) Kündigungsschutz von länger beschäftigten Arbeitnehmern unter Ausgleich der divergierenden, rechtmäßigen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an (formellem) Bestandsschutz auf der einen und personalwirtschaftlicher Flexibilität auf der anderen Seite ist entgegen der Ansicht der Klägerin unzweifelhaft ein beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisches Ziel (vgl. EuGH 12. Oktober 2010 – C-45/09 – [Rosenbladt] Rn. 68, Slg. 2010, I-9391; 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 35 f., Slg. 2010, I-365; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 7. Juli 2009 – C-555/07 – Rn. 38, 43). Ein solches Differenzierungsziel, das sogar als Rechtfertigungsgrund iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG in Betracht käme, ist rechtmäßig iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG.

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b) Das zur Erreichung des Differenzierungsziels gewählte Differenzierungskriterium einer von der Beschäftigungsdauer abhängigen Staffelung der Kündigungsfristen ist geeignet, erforderlich und angemessen.

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aa) Dieses Kriterium ist geeignet, zeitlich begrenzten Kündigungsschutz als Differenzierungsziel zu gewähren. Verlängerte Kündigungsfristen für länger beschäftigte und damit typischerweise ältere Arbeitnehmer führen zu einem beschränkten Kündigungsschutz, indem sie formelle Kündigungsschranken aufbauen (vgl. BAG 18. April 1985 – 2 AZR 197/84 – zu II 1 a der Gründe: zeitlicher Bestandsschutz; Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 13; ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 622 BGB Rn. 2). Die formellen Kündigungsschranken schützen zwar das konkrete Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht in seinem Bestand (Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 13). Sie geben dem Arbeitnehmer aber jedenfalls länger Gelegenheit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden (vgl. BVerfG 16. November 1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 62, 256; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 7. Juli 2009 – C-555/07 – Rn. 43). Das erhöht zugleich seine Chance, ein neues Arbeitsverhältnis mit vergleichbarem Verdienst und Arbeitsbedingungen zu begründen und so seinen Lebensstandard zu wahren (BVerfG 30. Mai 1990 – 1 BvL 2/83 – zu C I 3 der Gründe, BVerfGE 82,126).

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bb) Dem Gesetzgeber kommt bei der Beurteilung, ob das gewählte Differenzierungskriterium erforderlich zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ist, ein weiter Wertungs- und Ermessensspielraum zu. Ob er diesen Spielraum überschritten hat, haben die nationalen Gerichte festzustellen (EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 41, 51 f., Slg. 2009, I-1569). Ein milderes, ebenso geeignetes Mittel ist nicht erkennbar.

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(1) Die Entscheidung, Kündigungsfristen nicht nach Branchen oder abhängig von der Qualifikation zu staffeln, ist vom Ermessensspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Mit § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB hat er den Tarifvertragsparteien bzw. mit Satz 2 dieser Bestimmung den Arbeitsvertragsparteien unter den darin genannten Umständen die Möglichkeit gegeben, branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. An die Qualifikation musste er die Kündigungsfristen schon deshalb nicht binden, weil die Anforderungen des Arbeitsmarktes und damit der Wert von Qualifikationen ständig wechseln.

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(2) Arbeitsförderungsmaßnahmen zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer wie zB der Eingliederungszuschuss nach § 131 SGB III sind ausgehend vom Differenzierungsziel des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB keine milderen Mittel. Das Konzept des Gesetzgebers ist darauf gerichtet, vorrangig dem von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist selbst Gelegenheit zur Suche eines neuen, geeigneten Arbeitsplatzes zu geben. Erst wenn diese erfolglos geblieben ist, setzt nachgelagert die besondere Förderung älterer Arbeitsloser ein.

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(3) Weil die in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB eingeräumten Kündigungsfristen den von Arbeitslosigkeit Bedrohten ausreichend Zeit geben sollen, sich selbst um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, ist auch die in § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III genannte Meldefrist von drei Monaten kein Maßstab für die Bemessung der Dauer der Kündigungsfristen. Mit § 38 Abs. 1 SGB III sowie der Sanktion in § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 iVm. § 159 Abs. 6 SGB III hat der Gesetzgeber in einem gänzlich anderen Regelungszusammenhang einen verfassungskonformen Ausgleich zwischen den verfassungsmäßigen Rechten des Versicherten und dem gesetzgeberischen Ziel, Arbeitslosigkeit zu vermeiden bzw. zu verkürzen, gefunden (vgl. BSG 28. August 2007 – B 7/7a AL 56/06 R – Rn. 20 ff. für die Vorgängervorschrift des § 37b SGB III; Böttiger in Eicher/Schlegel SGB III nF Stand Februar 2013 § 38 Rn. 62; Rademacker in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Januar 2014 K § 38 Rn. 54 f.).

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cc) Schließlich ist die an die Dauer der Beschäftigung geknüpfte Verlängerung der Kündigungsfristen auch angemessen iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i RL 2000/78/EG, dh. verhältnismäßig im engeren Sinn (vgl. BAG 6. April 2011 – 7 AZR 524/09 – Rn. 27; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 60). Bei der gebotenen Abwägung der Schwere der mittelbaren Benachteiligung Jüngerer mit Gewicht und Dringlichkeit der dafür vom Gesetzgeber gesehenen Gründe ist die Grenze der Zumutbarkeit für die nachteilig betroffenen jüngeren Arbeitnehmer deutlich gewahrt.

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(1) Welche Chancen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt besitzen, kann der Gesetzgeber nur typisierend und nicht individuell einschätzen. Seine ua. der Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB zugrundeliegende Annahme, dass mit steigendem Lebensalter die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt sinken, trifft empirisch nach wie vor zu. Zwar steigt die Erwerbstätigenquote älterer Arbeitnehmer, dh. der Anteil der erwerbstätigen Personen einer Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung in dieser Altersgruppe (BfA Der Arbeitsmarkt in Deutschland Arbeitsmarktberichterstattung – September 2013 S. 9 Fn. 9), seit einigen Jahren an. Dabei fällt der Anstieg kräftiger aus als der im Durchschnitt über alle Altersklassen, so dass Deutschland inzwischen eine der höchsten Erwerbstätigenquoten Älterer in der Europäischen Union aufweist (BfA aaO S. 10 f.; vgl. auch BiB Pressemitteilung Nr. 10/2013). Nach wie vor liegt aber der Anteil der Erwerbstätigen bei den Älteren insbesondere in der Gruppe der Angestellten und Arbeiter deutlich unter dem Durchschnitt jüngerer Angehöriger dieser Gruppe, während Beamte und Selbständige unter den 55- bis unter 65-Jährigen häufiger vertreten sind (BfA aaO S. 12). Insbesondere bleibt die Arbeitsmarktsituation älterer Arbeitnehmer schwierig. Ihre Arbeitslosenquote übertrifft die im Durchschnitt über alle Altersklassen errechnete um 1,4 Prozentpunkte (BfA aaO S. 20). Zwar haben sie im Vergleich zum Durchschnitt über alle Altersgruppen als Folge des in Deutschland bestehenden Bestandsschutzes, der ältere Arbeitnehmer besonders schützt, ein geringeres Risiko, aus einem Arbeitsverhältnis heraus arbeitslos zu werden (vgl. BfA aaO S. 29). Kommt es trotz dieses Bestandsschutzes zu einem Verlust des Arbeitsplatzes, sind ältere Arbeitnehmer schwieriger als Jüngere wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, weil ihr Alter selbst bei vorhandener Ausbildung nach wie vor ein Vermittlungshemmnis ist (BfA aaO S. 25 f.). 55- bis unter 60-Jährige hatten noch im Jahr 2012 eine nur halb so hohe Chance, ihre Arbeitslosigkeit durch eine Beschäftigungsaufnahme zu beenden, wie sie Arbeitslose im Durchschnitt über alle Altersklassen besaßen, bei den 60- bis unter 65-Jährigen sanken diese Chancen noch deutlich weiter (BfA aaO S. 29). Das bewirkte eine um knapp 55 % längere durchschnittliche Arbeitslosigkeit der 55- bis unter 65-jährigen Arbeitnehmer (BfA aaO S. 30; vgl. auch Statistisches Bundesamt Ältere Menschen in Deutschland und der EU 2011 S. 46).

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Diese empirischen Daten stützen die Einschätzung des Gesetzgebers, dass ältere Arbeitnehmer nach wie vor längere Zeit als jüngere Arbeitnehmer für die Arbeitsplatzsuche benötigen (vgl. BAG 15. Dezember 2011 – 2 AZR 42/10 – Rn. 56, BAGE 140, 169). Ihre steigende Erwerbstätigkeit ist vor allem auf eine Verlängerung der Erwerbsphase im bestehenden Arbeitsverhältnis und nicht auf überproportional häufigere Einstellungen im fortgeschrittenen Alter zurückzuführen (vgl. IAQ Altersübergangs-Report 2014-02 S. 16).

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(2) Darüber hinaus sind ältere Arbeitnehmer bei der Arbeitsplatzsuche häufig weniger flexibel als jüngere (vgl. BAG 15. Dezember 2011 – 2 AZR 42/10 – Rn. 56, BAGE 140, 169; 15. November 2012 – 6 AZR 359/11 – Rn. 43).

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(3) Schließlich haben Arbeitnehmer mit längerer Beschäftigungsdauer über einen entsprechend langen Zeitraum Betriebstreue bewiesen. Dies durfte der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung, diesem Personenkreis einen besseren (formellen) Kündigungsschutz zu gewähren, berücksichtigen.

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(4) Der Gesetzgeber durfte auch das Interesse der Arbeitgeber an personalwirtschaftlicher Flexibilität berücksichtigen und davon ausgehen, dass Arbeitgeber erst nach längerer Beschäftigungsdauer und damit länger erwiesener Betriebstreue längere Kündigungsfristen als zumutbar ansehen. Hätten Arbeitgeber bereits unmittelbar nach Einstellung oder nach wenigen Jahren der Betriebszugehörigkeit lange Kündigungsfristen zu beachten, wäre das ein Einstellungshindernis bzw. würde neu eingestellte Arbeitnehmer in befristete Arbeitsverhältnisse abdrängen.

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(5) § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB führt nicht zu einer „Überkompensation“ der Schwierigkeiten, die ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor haben. Zwar werden diese Arbeitnehmer auch durch den materiellen gesetzlichen Kündigungsschutz, insbesondere durch die Berücksichtigung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit bei der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG, im Einklang mit der RL 2000/78/EG aus demselben Grund besonders geschützt (BAG 15. Dezember 2011 – 2 AZR 42/10 – Rn. 49 ff., BAGE 140, 169). Das Kündigungsschutzgesetz verfolgt jedoch ein gänzlich anderes Schutzkonzept als § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB. Es will das Arbeitsverhältnis in seinem Bestand erhalten und so den Arbeitnehmer gänzlich vor dem mit einem Arbeitsplatzverlust verbundenen Arbeitsplatzwechsel schützen. Kommt es gleichwohl zu einem solchen Verlust oder wird der Arbeitnehmer von diesem Gesetz nicht erfasst, greift der komplementäre Schutz des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB, der dem typischerweise älteren, lange betriebstreuen Arbeitnehmer Gelegenheit geben will, während einer längeren Frist vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus dem noch bestehenden Arbeitsverhältnis heraus einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Die dargestellten empirischen Daten belegen, dass diese Arbeitnehmer nach wie vor gerade bei einer solchen Suche besonders schutzbedürftig sind.

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(6) Allerdings profitieren von der Verlängerung der Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht nur Arbeitnehmer, die zwischen 55 und 65 Jahre oder jedenfalls mindestens 50 Jahre alt und damit nach herkömmlichem Verständnis „älter“ sind (vgl. unter Bezug auf die Lissabon-Strategie BfA Der Arbeitsmarkt in Deutschland Arbeitsmarktberichterstattung – September 2013 S. 5). Dies wird dadurch verstärkt, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB altersdiskriminierend und deswegen unanwendbar ist (BAG 9. September 2010 – 2 AZR 714/08 – BAGE 135, 278). Eine Nachfolgeregelung gibt es bisher nicht. Insbesondere hat der Gesetzgeber die Erwägung, die ersten Jahre des Arbeitsverhältnisses bei der Ermittlung der Beschäftigungsdauer generell außer Betracht zu lassen (BT-Drs. 17/7489 S. 5; Plenarprotokoll 17/24 S. 2164), nicht umgesetzt. Nicht in Betracht gezogen hat er auch die Möglichkeit, die Verlängerung der Kündigungsfristen ausgehend vom ursprünglichen Regelungskonzept erst in einem typischerweise höheren Lebensalter beginnen zu lassen, indem die erforderliche Mindestdauer der Beschäftigung bis zur ersten Staffelungsstufe deutlich verlängert wird.

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(a) Die Reduzierung des § 622 Abs. 2 BGB auf die Regelung in Satz 1 bewirkt, dass der Schutz durch formelle Kündigungsschranken schon wesentlich früher einsetzt als ursprünglich vom Gesetzgeber beabsichtigt. Die letzte der sieben Staffelungsstufen wird jetzt nicht mehr mit frühestens 45 Jahren erreicht, sondern kann theoretisch schon mit 35 Jahren erreicht sein, weil auch Zeiten der Berufsausbildung bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer zu berücksichtigen sind (BAG 2. Dezember 1999 – 2 AZR 139/99 -).

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(b) Gleichwohl ist die Regelung noch angemessen.

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(aa) Der Gesetzgeber durfte im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative typisierend darauf abstellen, dass die Betriebszugehörigkeit nicht im Regelfall mit 15 Jahren beginnt und im selben Betrieb ununterbrochen fortbesteht, sondern in einer Vielzahl von Fällen Arbeitsverhältnisse – wie auch im vorliegenden Fall – in deutlich höherem Alter neu begründet werden, so dass die gesetzliche Regelung ihre Schutzwirkung typischerweise im höheren Lebensalter entfaltet.

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(bb) Der Gesetzgeber durfte in seine Wertung auch einbeziehen, dass mit der von ihm gewählten Regelungssystematik die Betriebstreue der begünstigten Arbeitnehmer honoriert wird (vgl. BAG 15. Dezember 2011 – 2 AZR 42/10 – Rn. 58, BAGE 140, 169).

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(cc) Schließlich belastet die vom Gesetzgeber gewählte Gestaltung die kürzer beschäftigten, typischerweise jüngeren Arbeitnehmer nicht zusätzlich. Die Kündigungsfristen für kürzer Beschäftigte werden nicht verkürzt. Sie profitieren nur nicht im selben Umfang von der Verlängerung der Fristen wie länger Beschäftigte (vgl. Wendeling-Schröder NZA 2007, 1399, 1403; Rehm Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters im Kündigungsrecht S. 93).

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(7) Der Gesetzgeber musste die Kündigungsfristen nicht in Jahresabständen verlängern, sondern durfte Staffelungsstufen vorsehen. Er hat zudem bei der konkreten Ausgestaltung der Staffelung nicht längere Beschäftigungszeiten unangemessen gewichtet, sondern bis zur längst möglichen Kündigungsfrist ein annähernd gleiches proportionales Verhältnis zwischen der Beschäftigungsdauer und der Länge der Kündigungsfrist beibehalten. Dieses beträgt nach zwei Jahren und damit mit Beginn der ersten Stufe der Verlängerung gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB 4,2 % und schwankt in den weiteren Stufen zwischen 2,1 % im letzten Jahr der ersten Stufe und 3,5 % nach zwölf Jahren des Arbeitsverhältnisses. Mit Beginn der siebenten und letzten Stufe beträgt es 2,9 % (vgl. die Aufstellung bei Rehm Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters im Kündigungsrecht S. 94). Danach sinkt es kontinuierlich ab, weil die Kündigungsfrist bei sieben Monaten zum Monatsende eingefroren wird.

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II. Die Kündigung der Beklagten vom 20. Dezember 2011 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit der Frist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB und damit zum 31. Januar 2012 beendet. Die Klägerin wies im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 28. Dezember 2011 eine Beschäftigungsdauer von mehr als zwei, aber weniger als fünf Jahren auf. Zwar ist auch die Zeit der abgebrochenen Ausbildung zu berücksichtigen (vgl. BAG 2. Dezember 1999 – 2 AZR 139/99 -). Selbst unter Einbeziehung dieser Zeit war die Klägerin bei Zugang der Kündigung jedoch erst etwas mehr als viereinhalb Jahre beschäftigt.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Biebl    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    Lauth    

        

    Kreis