9 AZR 48/24
Erteilung von Entgeltabrechnungen als elektronisches Dokument aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs
Vorbericht
Neunter Senat Dienstag, 28. Januar 2025, 10:00 Uhr
Erteilung der Entgeltabrechnung – Form des Zugangs
W. (RAe. Hahn & Grünewald, Peine)
./.
E. GmbH (RAe. von Trott zu Solz Lammek, Berlin)
– 9 AZR 48/24 –
Die Parteien streiten darüber, ob Entgeltabrechnungen nach § 108 der Gewerbeordnung dadurch erteilt werden können, dass sie in ein neu eingeführtes digitales Mitarbeiterpostfach eingestellt werden.
Die Beklagte betreibt einen Lebensmitteldiscount-Markt, in dem die Klägerin als Verkäuferin beschäftigt ist. Unter dem 7. April 2021 schloss die Beklagte mit dem Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs (folgend: KBV Mitarbeiterpostfach). Diese regelte ua., dass alle Personaldokumente zukünftig – nach einer neunmonatigen Übergangsfrist ausschließlich – durch einen externen Anbieter in einem neu geschaffenen digitalen Mitarbeiterpostfach bereitgestellt würden und dort durch die Arbeitnehmer eingesehen werden könnten. Gemäß der KBV Mitarbeiterpostfach hat der Arbeitgeber es zu ermöglichen, das Postfach auch unabhängig von einem privaten Endgerät einzusehen und gegebenenfalls Unterlagen auszudrucken. Alle Personaldokumente müssen für mindestens zwölf Monate im Postfach abrufbar sein. Nachdem die Klägerin eine Entgeltabrechnung zuletzt für Februar 2022 in Papierform erhalten hatte, forderte sie die Beklagte erfolglos auf, davon abzusehen, die Abrechnungen zukünftig ausschließlich über das digitale Mitarbeiterpostfach zur Verfügung zu stellen.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter und verlangt die Erteilung monatlicher Entgeltabrechnungen für den Zeitraum März 2022 bis März 2023. Durch das Einstellen der Abrechnungen in das digitale Mitarbeiterpostfach seien diese nach ihrer Auffassung nicht erteilt. Für einen Zugang über das digitale Mitarbeiterpostfach habe sie, die Klägerin, ihre Zustimmung nicht erteilt. Die in der KBV Mitarbeiterpostfach getroffenen Regelungen könnten ihr fehlendes Einverständnis nicht ersetzen. Die Beklagte meint, die Entgeltabrechnungen seien erteilt worden. Bei dem digitalen Mitarbeiterpostfach handele es sich um einen Cloud-Dienst, auf dem die Entgeltabrechnung gespeichert werde. Damit sei die entsprechende Datei wie eine E-Mail in dem Moment der Speicherung in der Cloud und der damit einhergehenden Zugriffsmöglichkeit der Klägerin in deren Machtbereich gelangt und ihr folglich zugegangen. Maßgeblich sei nicht, ob die Klägerin damit einverstanden sei, die Entgeltabrechnung über das digitale Mitarbeiterpostfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern ob ihr dies zumutbar sei. Dies sei zweifelsfrei der Fall, weil die Klägerin selbst digital kommuniziert habe, als sie der Nutzung des Mitarbeiterpostfachs widersprochen habe. Die KBV Mitarbeiterpostfach stelle auch eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erteilung der Entgeltabrechnung ausschließlich über das Mitarbeiterpostfach dar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage vollumfänglich stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 16. Januar 2024 – 9 Sa 575/23 –