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10 AZR 322/20

Beitragspflicht - Sozialkassen der Bauwirtschaft - betrieblicher Geltungsbereich - Bodenbeschichtungsarbeiten - Steinmetzhandwerk

Court Details

  • File Number

    10 AZR 322/20

  • ECLI Number

    ECLI:DE:BAG:2022:270422.U.10AZR322.20.0

  • Type

    Urteil

  • Date

    27.04.2022

  • Senate

    10. Senat

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Mai 2020 – 10 Sa 1424/19 SK – aufgehoben, soweit die Berufung des Klägers gegen die Klageabweisung in Höhe von 1.206.774,00 Euro im Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Oktober 2019 – 6 Ca 46/17 – zurückgewiesen wurde. Insoweit wird das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert.

Die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.206.774,00 Euro zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 13 % und die Beklagten wie Gesamtschuldner 87 % zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision haben die Beklagten wie Gesamtschuldner zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu entrichten.

2

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Der Kläger verlangt von den Beklagten Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte für die Monate Januar 2012 bis Juli 2018 iHv. zuletzt 1.209.274,00 Euro. Die Beitragsansprüche für die gewerblichen Arbeitnehmer berechnet der Kläger anhand der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne im Baugewerbe und der sich daraus ergebenden „Mindestbeiträge“, für die Angestellten anhand der tariflichen monatlichen Festbeiträge.

3

Der Kläger stützt die Beitragsforderungen auf den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) in den im Streitzeitraum maßgeblichen Fassungen iVm. § 7 Abs. 1 bis 6, Anlagen 26 bis 31 SokaSiG bzw. iVm. § 5 Abs. 4 TVG und den Allgemeinverbindlicherklärungen vom 6. Juli 2015 und vom 4. Mai 2016 (AVE VTV 2015 und 2016).

4

§ 1 VTV enthält – in allen vorgenannten Fassungen – unter anderem folgende Bestimmungen:

        

„§ 1 Geltungsbereich

        

(1) Räumlicher Geltungsbereich

        

Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

        

(2) Betrieblicher Geltungsbereich

        

Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

        

…     

        

Abschnitt II

        

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

        

…     

        

Abschnitt V

        

Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

        

…     

        

11.     

Estricharbeiten (unter Verwendung von Zement, Asphalt, Anhydrit, Magnesit, Gips, Kunststoffen oder ähnlichen Stoffen);

        

…     

        
        

Abschnitt VII

        

Nicht erfasst werden Betriebe

        

…     

        

13.     

des Steinmetzhandwerks, soweit die in § 1 Nummer 2.1 des Tarifvertrags über eine überbetriebliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 1. Dezember 1986 in der Fassung vom 28. August 1992 aufgeführten Tätigkeiten überwiegend ausgeübt werden.“

5

§ 1 Nr. 2.1 des Tarifvertrags über eine überbetriebliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 1. Dezember 1986 in der Fassung vom 28. August 1992 (TV Steinmetz) lautet:

        

„Alle Betriebe des Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks.

        

Dies sind Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen, die unter anderem die nachfolgenden Tätigkeiten ausüben:

        

Herstellen und Bearbeiten von Natur- und Betonwerkstein, Bekleidungen und Belägen,

        

Verlegen und Versetzen von Natursteinprodukten sowie – wenn diese Tätigkeiten nicht arbeitszeitlich überwiegend ausgeübt werden – Verlegen und Versetzen von Produkten aus anderen Materialien,

        

Restaurierungen und Antragsarbeiten in natürlichem und künstlichem Stein,

        

Reinigungs- und Imprägnierungsarbeiten,

        

Garten- und Landschaftsgestaltung in Natur- und Betonwerkstein, alle im Rahmen des Grabmalherstellens-, -bearbeitens und -versetzens anfallenden Arbeiten sowie alle Bildhauerarbeiten, einschließlich der künstlerischen”

6

Die Beklagte zu 1. unterhält im bayerischen L einen Betrieb mit zwei organisatorisch getrennten selbständigen Betriebsabteilungen. Die Beklagte zu 2. ist deren persönlich haftende Gesellschafterin. In der für den Rechtsstreit interessierenden Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ wurden im Streitzeitraum Beschichtungsarbeiten an Böden durchgeführt. Sie bestanden darin, auf vorhandene Böden einen flüssigen Bodenbelag aufzubringen, der aufgrund seiner Beschichtungen mit Kunstharz thermisch und chemisch hoch belastbar ist. Dabei wurden der Bodenbelagmasse Quarzsand bzw. Quarzkiesel beigemischt. Die Beschichtungen wurden aufgetragen, indem Misch-, Rühr- und Verdichtungsgeräte sowie Handglätten, Walzen, Rakeln und Pinsel zum Einsatz kamen. Die Beklagte zu 1. beschäftigte im Streitzeitraum keine gelernten Steinmetze.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1. unterliege in Bezug auf die selbständige Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ der Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft. Das Beschichten von Industrieböden mit Kunstharz stelle eine bauliche Tätigkeit iSd. VTV dar. Die Ausnahme zu Gunsten von Betrieben des Steinmetzhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV greife im Fall der Beklagten zu 1. selbst dann nicht, wenn in den Kunstharzböden auch Quarzsandbestandteile enthalten seien. Die Epoxidharzböden würden nicht zu Natursteinböden, wenn nur geringe Anteile an Quarzsand beigemischt würden. Die Betriebsabteilung sei kein Steinmetzbetrieb, weil keine für einen solchen Betrieb typischen Arbeiten ausgeführt würden. Naturstein werde weder verlegt noch versetzt. Zudem beschäftige die Beklagte zu 1. keine gelernten Steinmetze. Dies sei nach der sog. „Sowohl-als-auch-Rechtsprechung“ jedoch Voraussetzung, um ein Ausnahmegewerk nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV annehmen zu können. Mit Blick auf die Arbeitsweise handle es sich zudem nicht um einen Handwerksbetrieb.

8

Der Kläger hat zuletzt der Sache nach beantragt,

        

die Beklagten wie Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.209.274,00 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, der Kläger sei, da die Beklagte zu 1. die selbständige Betriebsabteilung in Bayern unterhalte, nicht prozessführungsbefugt. Aus der Funktion als Einzugsstelle nach § 3 Abs. 3 VTV ergebe sich nicht die Befugnis, einen Rechtsstreit in eigenem Namen zu führen. Im Übrigen seien mit dem Inkrafttreten des VTV 2018 die Vorgängertarifverträge außer Kraft getreten. Damit fehle eine wirksame Anspruchsgrundlage. Jedenfalls sei die selbständige Betriebsabteilung nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich der VTV ausgenommen. Gegenstand der betrieblichen Tätigkeit dieser Abteilung sei es gewesen, Natursteinböden herzustellen und zu verlegen. Den Bodenbelägen seien jeweils Quarzsand oder Kieselsteine zugesetzt worden. Bei dem verwendeten Quarzsand handle es sich um einen Naturstein. Die Quarzsande stellten die entscheidende, strukturbildende Komponente des Kunstharz-Quarz-Belags dar. Etwaige Ansprüche seien zudem verfallen, weil mit den Mahnbescheiden nur auf die AVE gestützte Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht worden seien, nicht aber solche auf der Grundlage des SokaSiG.

10

Der Kläger hat Beiträge gegen beide Beklagten in neun Mahnverfahren iHv. insgesamt 1.380.276,50 Euro anhängig gemacht. Nachdem die Beklagten Widerspruch gegen die ergangenen Mahnbescheide eingelegt hatten, hat das Arbeitsgericht die Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist weit überwiegend begründet. Die Vorinstanzen haben die Beitragsklage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Dies führt zur weitgehenden Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Abänderung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).

12

I. Die Klage ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

13

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben einem bestimmten Antrag auch eine bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Ob der Streitgegenstand hinreichend bestimmt ist, ist auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 10 mwN).

14

a) Der prozessuale Anspruch einer Beitragsklage der Sozialkasse für gewerbliche Arbeitnehmer ist der auf der Grundlage der VTV in einem Kalendermonat anfallende Sozialkassenbeitrag. Verlangt der Kläger Beiträge für einen längeren Zeitraum als einen Kalendermonat, handelt es sich um eine „Gesamtklage“. Der Kläger hat dann darzulegen, wie sich die Ansprüche auf die einzelnen Monate verteilen (BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 11 mwN).

15

b) Der prozessuale Anspruch einer Klage der Sozialkasse auf Beiträge für Angestellte ist jeweils der auf der Grundlage der VTV für jeden einzelnen beschäftigten Angestellten in einem Kalendermonat anfallende Festbeitrag. Bei Beiträgen für Angestellte für die einzelnen Monate macht die Sozialkasse keinen einheitlichen Beitragsanspruch, sondern im Weg der objektiven Klagehäufung zusammengefasste Einzelansprüche für die jeweilige Zahl der beschäftigten Angestellten geltend. Es ist daher erforderlich, die Zahl der beschäftigten Angestellten unter Angabe des jeweiligen Monats zu benennen (BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 12 mwN).

16

2. Diesen Anforderungen wird die Klage gerecht. Der Kläger hat in der Anlage zum Schriftsatz vom 19. Februar 2018 für den Großteil der geltend gemachten Beiträge – getrennt nach gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten – erläutert, wie sie sich auf die einzelnen Monate verteilen. Die erforderliche Individualisierung muss nicht zwingend in einem Schriftsatz vorgenommen werden, sondern kann auch durch konkret in Bezug genommene Schriftstücke erfolgen (BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 43/19 – Rn. 18 mwN). Im Übrigen hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer des Arbeitsgerichts am 10. April 2019 erläutert, wie sich die Ansprüche in den hinzuverbundenen Verfahren – 6 Ca 288/18 SK -, – 6 Ca 530/18 SK – und – 6 Ca 66/19 SK – zusammensetzen. Zwar fehlen in diesen drei Verfahren Angaben, wie sich die Ansprüche auf die einzelnen Monate verteilen. Mit Blick darauf, dass der Kläger jeweils den Zeitraum und eine gleichbleibende Zahl gewerblicher Arbeitnehmer und Angestellter angegeben hat, kann der auf die einzelnen Kalendermonate entfallende Teil aber ermittelt werden. Die nachträgliche, den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechende Begründung der Klage beseitigt den Mangel der Klageschrift (BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 43/19 – aaO).

17

II. Die Klage ist auch überwiegend begründet. Der Kläger hat für die Zeit von Januar 2012 bis Juli 2018 Ansprüche auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte gegen die Beklagte zu 1. iHv. 1.206.774,00 Euro.

18

1. Die Pflicht der Beklagten zu 1., Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu leisten, ergibt sich für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 30. Juni 2013 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 3, § 18 Abs. 2 Satz 1, § 19 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2011 und 2012. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 31. Juli 2018 beruht die Beitragspflicht auf § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 3, § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 I, 2013 II, 2014 und 2015. An die den Streitzeitraum abdeckenden VTV ist die Beklagte zu 1. nach § 7 Abs. 1 bis 6 iVm. den Anlagen 26 bis 31 SokaSiG gebunden. Es bestehen keine Bedenken daran, dass das SokaSiG als Geltungsgrund für die Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes verfassungsgemäß ist (BVerfG 11. August 2020 – 1 BvR 2654/17 – Rn. 14 ff.; 11. August 2020 – 1 BvR 1115/18 – Rn. 2; 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Rn. 42 ff., BAGE 164, 201). Die Bindung an den VTV 2014 und 2015 ergibt sich daneben auch aus § 5 Abs. 4 TVG iVm. den wirksamen AVE VTV 2015 und 2016 (vgl. BAG 20. November 2018 – 10 ABR 12/18 -; 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – BAGE 162, 166). Soweit es für den Verfall auf den VTV 2018 ankommt, ist die Beklagte zu 1. an ihn nach § 5 Abs. 4 TVG iVm. der AVE vom 7. Mai 2019 (BAnz. AT 17. Mai 2019 B1) gebunden.

19

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist mit dem in § 31 Satz 2 VTV 2018 geregelten Außerkrafttreten der VTV 2013 I bis 2015 zum 1. Januar 2019 nicht verbunden, dass diese Tarifverträge für Beitragsansprüche während des Geltungszeitraums nicht mehr als Anspruchsgrundlagen herangezogen werden können. Das Außerkrafttreten der VTV 2013 I bis 2015 nach § 31 Satz 2 VTV 2018 erfolgte mit Inkrafttreten des VTV 2018. Dadurch kam es lediglich zu einer Ablösung (vgl. dazu zB BAG 24. Februar 2021 – 7 AZR 99/19 – Rn. 21 mwN), nicht zu einer rückwirkenden Aufhebung des VTV 2015. Entsprechend sieht auch § 7 Abs. 1 SokaSiG vor, dass der VTV 2015 bis zur Beendigung des Tarifvertrags gilt.

20

3. Der im Freistaat Bayern gelegene Betrieb der Beklagten zu 1. mit der selbständigen Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich der Tarifverträge (§ 1 Abs. 1 VTV). Gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte werden vom persönlichen Geltungsbereich erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 VTV).

21

4. Die selbständige Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ wird vom betrieblichen Geltungsbereich der VTV erfasst. Bei den versehenen Arbeiten handelt es sich jedenfalls um bauliche Tätigkeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Betriebsabteilung nicht als Betrieb des Steinmetzhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen.

22

a) Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich der VTV erfasst, wenn im Kalenderjahr des Anspruchszeitraums in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V der jeweiligen VTV fallen. Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinn erbracht, sind ihnen auch diejenigen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an. Für den Geltungsbereich der VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihrer Abschnitte IV oder V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets vom betrieblichen Geltungsbereich der VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus festgestellt werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen (st. Rspr., zB BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 19).

23

b) Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang von § 1 Abs. 2 VTV wird der betriebliche Geltungsbereich in seinen Abschnitten I bis V positiv nach den verrichteten baulichen Tätigkeiten bestimmt. Abschnitt VI regelt, auf welche betriebliche Einheit abzustellen ist und wie die Zuordnung bei verschiedenen Tätigkeiten zu erfolgen hat (sog. Mischbetriebe). Nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 1 VTV fallen danach Betriebe grundsätzlich als Ganzes unter den Tarifvertrag, soweit die in den Abschnitten I bis V genannten Leistungen überwiegend erbracht werden. Der betriebliche Geltungsbereich wird ua. erweitert durch § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 2 VTV für den Fall, dass in einem Mischbetrieb überwiegend zwar baufremde, in einer selbständigen Betriebsabteilung aber bauliche Leistungen der Abschnitte I bis V erbracht werden (BAG 14. Juli 2021 – 10 AZR 190/20 – Rn. 21 mwN).

24

c) Daran gemessen unterfällt die selbständige Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ dem betrieblichen Geltungsbereich der VTV. Bei den dort versehenen Arbeiten handelt es sich jedenfalls um bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Offenbleiben kann daher, ob die Tätigkeiten auch als Estricharbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 11 VTV einzuordnen sind.

25

aa) Es spricht mit Blick auf das verwendete Bindemittel und die angewandte Technik Einiges dafür, dass die von der Beklagten zu 1. ausgeführten Bodenbeschichtungen als Estricharbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 11 VTV anzusehen sind.

26

(1) Estrich ist ein auf einem tragenden Untergrund oder auf einer zwischenliegenden Trenn- oder Dämmschicht hergestelltes Bauteil, das unmittelbar nutzfähig ist oder mit einem Belag wie zB PVC, Teppichboden, Parkett, keramischen Platten oder Naturstein versehen werden kann. Unterschieden werden nach dem Bindemittel Nass- bzw. Mörtelestriche, bitumengebundene Estriche sowie kunstharzgebundene Estriche; auch die Herstellungsart und -technik ist unterschiedlich. Der Annahme von Estricharbeiten steht nicht entgegen, wenn Beschichtungen auf bereits vorhandene Estrichschichten aufgebracht werden. Es ist für den Begriff der Estricharbeiten nicht notwendig, dass es sich um den einzigen Belag handelt, der auf dem Rohfußboden aufliegt (BAG 27. Oktober 2004 – 10 AZR 119/04 – zu II 3 b aa der Gründe mwN).

27

(2) Die Herstellung einer Bodenbeschichtung ist charakteristisch für das Berufsbild des Estrichlegers als einem Ausbildungsberuf des Bauhauptgewerbes (§ 53 ff. iVm. Anlage 10 [zu § 54] der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999 [BauWiAusbV] idF vom 20. Februar 2009 [BGBl. I S. 399]). Neben dem Herstellen von Estrichen nach § 53 Nr. 8 BauWiAusbV zählen ua. das Auftragen von Kunstharzschichten (§ 53 Nr. 10 BauWiAusbV) sowie das Sanieren und Instandsetzen von Estrichen und Belägen (§ 53 Nr. 12 BauWiAusbV) zum Ausbildungsberufsbild. Das Auftragen von Kunstharzschichten iSv. § 53 Nr. 10 BauWiAusbV beinhaltet, solche aus Reaktionsharzen für Imprägnierungen, Versiegelungen, Beschichtungen und Kunstharzestriche nach unterschiedlichen Verfahren aufzutragen (Nr. 10 der Anlage 10 [zu § 54] BauWiAusbV).

28

bb) Jedenfalls fallen die versehenen Arbeiten als bauliche Leistungen unter § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV.

29

(1) Die Beklagte zu 1. erbrachte im streitgegenständlichen Zeitraum in ihrer selbständigen Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ „nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung bauliche Leistungen“ iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Dieses Tarifmerkmal erfüllen Betriebe bzw. selbständige Betriebsabteilungen, wenn sie arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten ausführen, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung oder -haltung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können (st. Rspr., zB BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 28). Die Beschichtung von Fußböden durch Auftragen flüssiger Beläge, die den gewünschten Eindruck, die erstrebte Beschaffenheit oder Pflegeleichtigkeit aufweisen sollen, zählt zur Erstellung, Instandsetzung und Instandhaltung von Bauwerken. Ohne die von der Beklagten zu 1. aufgebrachte Beschichtung können die Böden und damit die Gebäude nicht die erwünschte Funktion erfüllen. Daher verfängt der Einwand der Beklagten nicht, dass die Beschichtung „keine Maßnahme [ausmacht], die die Vollendung oder Nutzung des Bauwerks an sich erfordert“. Die Beschichtung eines Bodens verändert ein Gebäude nach den Wünschen des Bauherrn und zählt damit zur Erstellung eines Bauwerks (vgl. BAG 14. Juli 2021 – 10 AZR 135/19 – Rn. 28 f.). Ebenso wenig kommt es darauf an, dass sich die Kunstharzbeschichtung rückstandslos entfernen lassen soll. Für baugewerbliche Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV ist es nicht erforderlich, dass die zu verbauenden Materialien zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes iSv. § 94 Abs. 2 BGB gehören (BAG 20. April 2005 – 10 AZR 282/04 – zu II 3 a der Gründe; vgl. zu Montagebauarbeiten BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 337/18 – Rn. 42, BAGE 171, 247).

30

(2) Die Beklagte zu 1. erbrachte auch „nach ihrer betrieblichen Einrichtung bauliche Leistungen“. Dieses Tarifmerkmal des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV erfüllen Betriebe, wenn sie Leistungen mit Werkstoffen, Arbeitsmitteln und -methoden des Baugewerbes ausführen (st. Rspr., zB BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19 – Rn. 31). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verwendete die Beklagte zu 1. Quarzsand, Quarzmehl und Epoxidharz. Dabei handelt es sich um Werkstoffe des Baugewerbes. Sie setzte baugewerbliche Arbeitsmittel in Form von Misch-, Rühr- und Verdichtungsgeräten sowie in Form von Walzen, Rakeln und Pinseln ein. Damit vollzogen sich die Arbeiten nach den Arbeitsmethoden des Baugewerbes (vgl. BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 21).

31

(3) Dass nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 38 VTV Bodenbelagsarbeiten nur dann als baulich zu werten sind, wenn sie in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen erbracht werden, steht der Qualifizierung der von der Beklagten zu 1. versehenen Bodenbeschichtungsarbeiten als bauliche Leistungen nicht entgegen. Die Bestimmung dient der Abgrenzung zum Raumausstattergewerbe. Da nicht jede Art der Herstellung von Bodenbelägen – wie zB das Beschichten von Böden durch das Aufbringen von Flüssigkeiten – zum Raumausstattergewerbe zählt, können solche Tätigkeiten auch ohne das Zusammentreffen mit anderen baulichen Leistungen den VTV unterfallen (vgl. BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 13 ff.; 22. Juni 1994 – 10 AZR 656/93 – zu II 2 b der Gründe).

32

d) Die selbständige Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV als Betrieb des Steinmetzhandwerks von dessen betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen. Dies kann der Senat – da alle notwendigen Feststellungen getroffen sind – selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

33

aa) Ein Betrieb im Sinn der Ausnahmetatbestände setzt voraus, dass in ihm arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind (BAG 28. April 2021 – 10 AZR 34/19 – Rn. 17 mwN). Dabei müssen nicht arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeübt werden, die das gesamte Spektrum dieses Gewerbes abbilden, um – hier – nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV aus dem betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen zu sein. Ausreichend ist grundsätzlich, dass einzelne diesem Gewerbe zuzuordnende Tätigkeiten arbeitszeitlich überwiegend verrichtet werden (BAG 28. April 2021 – 10 AZR 34/19 – aaO).

34

bb) Voraussetzung für das Vorliegen der Ausnahme für Betriebe des Steinmetzhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV ist, dass die in § 1 Nr. 2.1 TV Steinmetz aufgeführten Tätigkeiten arbeitszeitlich überwiegend ausgeübt werden. Dies war im Streitzeitraum nicht der Fall.

35

(1) Zu Gunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass die Arbeiten in der selbständigen Betriebsabteilung handwerklich ausgeführt werden (vgl. zur Abgrenzung zum Industriebetrieb zB BAG 27. März 2019 – 10 AZR 318/17 – Rn. 35 mwN).

36

(2) Ebenso kann mit der bisherigen Senatsrechtsprechung (vgl. BAG 27. Oktober 2004 – 10 AZR 119/04 – zu II 4 h der Gründe; 12. Februar 2003 – 10 AZR 251/02 – zu II 3 g der Gründe) zu deren Gunsten weiter angenommen werden, dass es auf die Beschäftigung von gelernten Steinmetzen nicht ankommt, weil die für „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ entwickelte sog. Geprägerechtsprechung des Senats (vgl. zB BAG 28. April 2021 – 10 AZR 34/19 – Rn. 19 mwN) bei § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 13 VTV keine Anwendung findet. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob die vom Kläger hiergegen vorgebrachten Argumente durchgreifen.

37

(3) Bei den in der selbständigen Betriebsabteilung „Beschichtung von Industrieböden“ durchgeführten Tätigkeiten handelt es sich jedenfalls nicht um Tätigkeiten, die § 1 Nr. 2.1 TV Steinmetz unterfallen. Die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten zu 1. haben im Tarifsinn des TV Steinmetz weder Natur- oder Betonwerkstein und Bekleidungen oder Beläge hergestellt oder bearbeitet noch Natursteinprodukte verlegt oder versetzt. Diese Tätigkeiten beziehen sich – soweit hier relevant – auf die Herstellung von Bodenbelägen aus Natur- oder ggf. Kunststeinen in fester Form und nicht auf deren Herstellung durch Ausbringen einer Beschichtungsmasse. Das ergibt die Auslegung des TV Steinmetz (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen die st. Rspr., zB BAG 13. Oktober 2021 – 4 AZR 365/20 – Rn. 21).

38

(a) Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich die Tätigkeit des Verlegens auf körperlich feste Gegenstände. „Etwas verlegen“ steht für „etwas legen, anbringen, zB Gleise, Leitungen, Kabel, Rohre, oder den Fußboden mit etwas belegen, mit einem Belag versehen“. „Legen“ bedeutet „etwas auf eine bestimmte Stelle, Fläche bringen und dort befestigen, an einen Platz tun“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichworte „verlegen“ und „legen“; Duden Deutsches Universalwörterbuch 9. Aufl. Stichworte „verlegen“ und „legen“). Die Tätigkeiten beziehen sich auf körperlich feste Gegenstände (vgl. die Beispiele unter www.duden.de Stichwort „legen“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022). Demgegenüber werden Flüssigkeiten nach allgemeinem Sprachgebrauch regelmäßig auf die Oberfläche gegossen, möglicherweise auch gestrichen, gespritzt oder auf andere Weise aufgebracht und verteilt. Sie werden, uU mithilfe eines Geräts, in einer Schicht über etwas verteilt, irgendwo aufgetragen, streichend verteilt (www.duden.de Stichworte „streichen“ und „verstreichen“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022). Nichts anders gilt für zähflüssige Massen, auf die sich die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berufen haben. Abgesehen davon, dass der Senat an die nicht mit einer Gegenrüge angegriffene und damit nach § 559 Abs. 2 ZPO bindende Feststellung des Landesarbeitsgerichts gebunden ist, dass die zu verteilende Masse flüssig ist, wird auch eine in der Konsistenz zähere Masse, die nicht als körperlich fester Gegenstand anzusehen ist, nicht verlegt, sondern verteilt, verstrichen und geglättet.

39

(b) Der Bezug auf einen festen Gegenstand ergibt sich zudem aus der Systematik des TV Steinmetz. Die Tätigkeit des Verlegens steht neben der des Versetzens. Beide beziehen sich in gleicher Weise auf Natursteinprodukte und Produkte aus anderen Materialien. Die Tätigkeiten sind damit an den identischen Werkstoffen zu versehen. „Versetzen“ steht für „Natursteine fest an- und einfügen“, für „das Einfügen von Stein-, Holz- und Eisenobjekten in den Bau“. Speziell mit Blick auf die Tätigkeit eines Steinmetzes geht es um „das Einsetzen der vom Steinmetz bearbeiteten Teile“ (vgl. Grimm Deutsches Wörterbuch Stichwort „versetzen“ Bedeutung 6). Damit können nur körperlich feste Gegenstände versetzt werden. Beziehen sich beide Tätigkeiten auf dieselben Produkte, setzt auch das Verlegen im Tarifsinn voraus, dass ein körperlich fester Werkstoff Gegenstand dieser Tätigkeit ist.

40

(c) Damit wird deutlich, dass die den TV Steinmetz schließenden Tarifvertragsparteien die „klassische“ Form des Verlegens von vorgefertigten oder vorher angefertigten Belägen in Form von Platten und Fliesen im Blick hatten, die – ggf. erst vor Ort – zugeschnitten, eingepasst und auf die Bodenoberfläche gelegt werden. Der tarifliche Wortgebrauch weist darauf hin, dass es sich um Produkte handeln muss, die nicht irgendwie, sondern in einer spezifischen Weise auf ihren Bestimmungsort gelangen. Es reicht nicht aus, dass sie im Ergebnis – als Beschichtungen – an der Oberfläche haften, sondern sie müssen „verlegt“ werden (vgl. zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 38 VTV BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 14). Soweit der Senat im Urteil vom 27. Oktober 2004 (- 10 AZR 119/04 – zu II 4 c der Gründe) ohne weitere Begründung angenommen hat, das Aufbringen eines fugenlosen Kunststoffbelags, dem gradierter Naturquarz beigegeben ist, stelle ein Verlegen und Versetzen von Natursteinprodukten iSd. Tätigkeitskatalogs des § 1 Abs. 2 Nr. 2.1 TV Steinmetz dar, hält er daran nicht fest.

41

(d) Die von der Beklagten zu 1. hergestellten Bodenbeschichtungen erfüllen auch nicht das Tarifmerkmal des Herstellens von Belägen, auf das sich die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berufen haben.

42

(aa) Der Wortlaut des TV Steinmetz lässt zwar kein eindeutiges Bild erkennen. Ein Belag kann nach allgemeinem Sprachgebrauch eine dünne Schicht sein, mit der etwas überzogen ist und die sich auf etwas gebildet hat. Sie ist aber auch als feste Schicht zu begreifen, die auf etwas gelegt und befestigt wird (www.duden.de Stichwort „Belag“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022). Dementsprechend ist es nicht ausgeschlossen, eine durch Aufbringen von Flüssigkeit entstandene Beschichtung eines Bodens als „Belag“ zu bezeichnen (BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 14).

43

(bb) Die Systematik des TV Steinmetz zeigt jedoch, dass es sich bei den Belägen im Tarifsinn um körperlich feste Gegenstände handeln muss. Die Tätigkeiten des Herstellens und Bearbeitens beziehen sich nicht nur auf Beläge, sondern ua. auch auf Natur- und Betonwerksteine sowie Bekleidungen. Dabei handelt es sich um körperlich feste Gegenstände. Ein Werkstein ist ein bearbeiteter, meist quaderförmig behauener Naturstein (www.duden.de Stichwort „Werkstein“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022) und damit ein körperlich fester Gegenstand. Als „Bekleidung“ wird nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Verkleidung, häufig einer Wand, bezeichnet (www.duden.de Stichwort „Bekleidung“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022). „Verkleiden“ wiederum steht für „etwas mit einer verhüllenden Schicht, Abdeckung oder Ähnlichem versehen“, „etwas verhüllen oder bedecken“ (www.duden.de Stichwort „verkleiden“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022). Dabei steht bei Steinmetzen die Verkleidung von Gegenständen mit Platten als körperlich festen Gegenständen im Mittelpunkt. Ein körperlich nicht festes Gemisch aus Sand, Wasser und Bindemittel, das insbesondere auf Wände aufgetragen wird, um sie zu verkleiden, wird im allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Bekleidung, sondern als Putz bezeichnet (vgl. www.duden.de Stichwort „Putz“, zuletzt abgerufen am 27. April 2022).

44

(e) Dementsprechend fällt die von der Beklagten zu 1. durchgeführte Herstellung von Bodenoberflächen mit einer Beschichtungsmasse – unabhängig vom Anteil des beigemischten Quarzsandes und Quarzmehls – auch nicht unter das Berufsbild des Steinmetzes.

45

(aa) Nach der bis zum 31. Juli 2018 geltenden und für den Streitzeitraum maßgeblichen Verordnung über die Berufsausbildung zum Steinmetz und Steinbildhauer/zur Steinmetzin und Steinbildhauerin vom 9. Mai 2003 (BGBl. I 2003 S. 690; BGBl. I 2004 S. 2601; SteinAusbV 2003) war Gegenstand der gemeinsamen Berufsausbildung ua. das Bearbeiten von natürlichen und künstlichen Steinen und Platten (§ 3 Abs. 1 Nr. 11 SteinAusbV 2003), das Herstellen von Bauteilen aus mineralisch- und kunststoffgebundenen Materialien (§ 3 Abs. 1 Nr. 12 SteinAusbV 2003) sowie das Herstellen von Bauteilen aus natürlichen und künstlichen Steinen, das Verlegen von Platten und Fliesen, das Versetzen von Werkstücken (§ 3 Abs. 1 Nr. 13 SteinAusbV 2003). In der Fachrichtung Steinmetzarbeiten war nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 SteinAusbV 2003 ua. das Verlegen von Bodenbelägen und Versetzen von Treppen (Buchst. a) zu erlernen. Für das Verlegen von Bodenbelägen iSv. § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SteinAusbV 2003 setzte der als Anlage zur SteinAusbV 2003 maßgebliche Ausbildungsrahmenplan in Abschn. II Buchst. A Nr. 1 an Fertigkeiten und Kenntnissen ua. voraus, Bodenplatten nach Gestaltungsmerkmalen in unterschiedlichen Verlegetechniken zu verlegen (Buchst. a), Anschlüsse herzustellen und Fugen zu schließen (Buchst. d).

46

(bb) Die im Zusammenhang mit der Verlegung von Bodenbelägen zu erlernenden Fertigkeiten und Kenntnisse beziehen sich auf die Belegung des Bodens mit vorgefertigten oder vorher angefertigten, körperlich festen Belägen. Steinmetze und Steinbildhauer der Fachrichtung Steinmetzarbeiten stellen Boden- und Fassadenplatten, Treppen oder Grabsteine aus Natur- und Kunststein her und verlegen bzw. versetzen die Erzeugnisse vor Ort (Tätigkeitsbeschreibung von Steinmetz/in und Steinbildhauer/in der Fachrichtung Steinmetzarbeiten, https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/faces/index?path=null/kurzbeschreibung&dkz=862, zuletzt abgerufen am 27. April 2022).

47

(cc) Auch der zum 1. August 2018 in Kraft getretenen Steinmetz- und Steinbildhauerausbildungsverordnung vom 13. April 2018 (BGBl. I S. 447, StmStb-AusbV), die das Landesarbeitsgericht irrtümlicherweise bereits herangezogen hat, liegt dieses Verständnis zugrunde. Soweit der als Anlage beigefügte Ausbildungsrahmenplan in Abschn. B Nr. 1 Buchst. a festhält, dass an Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen für das Verlegen von Bodenbelägen erforderlich ist, Bodenbeläge nach Vorgaben und Gestaltungsmerkmalen in unterschiedlichen Verlegetechniken verlegen zu können, ist damit keine Ausweitung auf Bodenbeschichtungen wie im Streitfall verbunden. Aus dem Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf „Steinmetz und Steinbildhauer und Steinmetzin und Steinbildhauerin“ nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 23. Februar 2018 ergibt sich, dass sich die Verlegetechniken, die im Klammerzusatz mit Buttering und Floating näher definiert werden, auf feste Körper beziehen.

48

5. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kläger Inhaber der Ansprüche und im Beitragsprozess aktivlegitimiert. Das ergibt sich aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VTV und gilt auch, soweit der Kläger als Einzugsstelle Beiträge einzieht, die anderen Sozialkassen zustehen. Der Kläger war und ist nach den Bestimmungen der VTV ausdrücklich ermächtigt, auch Sozialkassenbeiträge einzuziehen, soweit sie nicht ihm selbst, sondern anderen Sozialkassen zustehen. Die Arbeitgeber können und konnten im Klagezeitraum nach der tariflichen Regelung des Beitragseinzugsverfahrens auf die Beitragsforderungen aller systemangehörigen Sozialkassen befreiend nur an den Kläger leisten. Er hatte und hat die ausschließliche Empfangszuständigkeit für die Sozialkassenbeiträge. Er tritt gegenüber den Arbeitgebern wie ein Vollrechtsinhaber auf, wenn er die ihm tariflich eingeräumten Befugnisse wahrnimmt. Im Außenverhältnis zu den Arbeitgebern als Beitragsschuldnern ist er allein empfangszuständig und im Beitragsprozess aktivlegitimiert (st. Rspr., zB BAG 16. Juni 2021 – 10 AZR 217/19 – Rn. 34, 36; 16. September 2020 – 10 AZR 9/19 – Rn. 19 f. mwN).

49

6. Die Klage ist der Höhe nach überwiegend begründet. Dem Kläger stehen Beiträge iHv. 1.206.774,00 Euro zu. Damit ist die Klage iHv. 2.500,00 Euro unbegründet. Das beruht zum einen darauf, dass dem Kläger im hinzuverbundenen Verfahren – 6 Ca 832/17 – ein Rechenfehler unterlaufen ist. Er hat die zutreffend angegebenen Einzelwerte für gewerbliche Arbeitnehmer mit 28.000,00 Euro und für Angestellte mit 636,00 Euro fehlerhaft addiert und anstelle von 28.636,00 Euro eine um 400,00 Euro höhere Forderung erhoben. Zum anderen hat der Kläger im hinzuverbundenen Verfahren – 6 Ca 530/18 SK – 2.100,00 Euro zu viel verlangt. Nach der von ihm zuletzt abgegebenen Erklärung hat er in diesem Verfahren Ansprüche für 20 gewerbliche Arbeitnehmer und vier Angestellte im Zeitraum von Oktober 2017 bis März 2018 geltend gemacht. Ausweislich der Mahnanträge vom 24. Juli 2018 und deren Begründungen entfallen auf die vier Angestellten insgesamt 1.908,00 Euro und auf jeden gewerblichen Arbeitnehmer monatlich 700,00 Euro. Für den sechs Monate umfassenden Zeitraum ergeben sich Beiträge für 20 gewerbliche Arbeitnehmer iHv. 84.000,00 Euro. Insgesamt kann der Kläger demnach nur 85.908,00 Euro anstelle der geltend gemachten 88.008,00 Euro verlangen.

50

7. Die Ansprüche des Klägers sind nicht durch Aufrechnung mit eventuellen Erstattungsansprüchen der Beklagten zu 1. nach § 389 BGB erloschen. Es fehlt an einer hinreichend bestimmten Aufrechnungserklärung der Beklagten zu 1. iSv. § 388 BGB.

51

8. Die Ansprüche sind nicht verfallen. Sie wurden rechtzeitig innerhalb der maßgeblichen Ausschlussfrist von vier Jahren für Ansprüche, die bis zum 31. Dezember 2014 fällig geworden sind, bzw. von drei Jahren für Ansprüche, die ab dem 1. Januar 2015 fällig geworden sind, geltend gemacht (vgl. § 24 Abs. 1 VTV 2011 und 2012, § 21 Abs. 1 VTV 2013 I bis 2018). Dass sich der Kläger teilweise zunächst auf die AVE als Geltungsgrund und erst im Lauf des Prozesses auf das SokaSiG berufen hat, ist unschädlich. Bei den Beitragsansprüchen handelt es sich um denselben Streitgegenstand, unabhängig davon, ob die VTV aufgrund einer AVE oder nach § 7 SokaSiG zur Anwendung kommen (BAG 28. April 2021 – 10 AZR 404/18 – Rn. 35; 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18 – Rn. 44 mwN, BAGE 169, 285).

52

9. Die Beklagte zu 2. haftet für die Verbindlichkeiten der Beklagten zu 1. nach § 161 Abs. 2 iVm. § 128 Satz 1 HGB. Die zu 1. beklagte Kommanditgesellschaft und deren persönlich haftende Gesellschafterin als Beklagte zu 2. haften nach § 128 HGB jeweils in vollem Umfang für den gesamten Betrag. Sie sind zwar keine Gesamtschuldner, haften aber wie solche (BAG 19. Mai 2004 – 5 AZR 405/03 – zu II 3 der Gründe, BAGE 110, 372; BGH 29. Januar 2001 – II ZR 331/00 – zu B der Gründe, BGHZ 146, 341; MüKoHGB/Schmidt 4. Aufl. § 128 Rn. 19 mwN).

53

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 100 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat und unterlegen ist, hat er die Kosten der ersten Instanz zu tragen, im Übrigen die Beklagten. Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens haben die Beklagten zu tragen. Sie haften wie Gesamtschuldner.

        

    W. Reinfelder    

        

    Wemheuer    

        

    Pessinger    

        

        

        

    Claudia Scheck    

        

    C. Beuß