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10 AZR 162/24

Bezugnahme auf einen Tarifvertrag - Inhaltskontrolle

Court Details

  • File Number

    10 AZR 162/24

  • ECLI Number

    ECLI:DE:BAG:2025:020725.U.10AZR162.24.0

  • Type

    Urteil

  • Date

    02.07.2025

  • Senate

    10. Senat

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Februar 2024 – 8 Sa 196/23 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Leitsatz

Arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifliche Regelungen unterliegen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Eine beschränkte Verweisung auf einzelne Tarifnormen oder sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags führt hingegen nicht zu deren Kontrollfreiheit.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Monate Januar bis März 2022 in Anspruch. Im Kern streiten die Parteien darüber, ob der Kläger infolge einer Eigenkündigung verpflichtet ist, die ihm gewährte Jahressonderzahlung für das Jahr 2021 zurückzuzahlen.

2

Der nicht tarifgebundene Kläger war bei der Beklagten seit dem 15. April 2020 als Rettungssanitäter beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 31. März 2020 lautet auszugsweise:

        

„§ 3   

        

Arbeitsbedingungen

        

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem DRK-Reformtarifvertrag.

        

…       

        

§ 5     

        

Eingruppierung

        

Der Arbeitnehmer ist in die Entgeltgruppe 6b, Stufe 2 (Anlage A1) des DRK-Reformtarifvertrages eingruppiert. Zusätzlich werden Zeitzuschläge gemäß § 14 des DRK-Reformtarifvertrages und eine Jahressonderzahlung gemäß § 23 DRK-Reformtarifvertrag gezahlt.

        

…       

        

§ 16   

        

Nebentätigkeit

        

Die Übernahme jeder Nebentätigkeit bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Arbeitgebers. Die Einwilligung wird erteilt, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt werden. In begründeten Fällen kann der Arbeitgeber eine Einwilligung versagen. Die Erlaubnis kann jederzeit eingeschränkt oder widerrufen werden und wird grundsätzlich nur befristet erteilt.

        

§ 17   

        

Geschenke und sonstige Vergünstigungen

        

Der Arbeitnehmer darf insbesondere von Patienten, Geschäftspartnern und/oder Kunden keine Geschenke und Vergünstigungen annehmen, die in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit stehen. Dies gilt nicht für Geschenke und Vergünstigungen, die lediglich geringwertig anzusehen sind.

        

…       

        

§ 20   

        

Ausschlussfrist

        

Sämtliche Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis sind innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, schriftlich gegenüber dem Vertragspartner geltend zu machen. Nach Ablauf der Frist verfällt der Anspruch.“

3

Der DRK-Reformtarifvertrag (RTV) enthält nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ua. folgende Regelungen:

        

„§ 5   

        

Belohnung und Geschenke

        

(1)     

Der Mitarbeiter darf Belohnungen, Geschenke und sonstige geldwerte Vorteile, die ihm im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit angeboten werden, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Arbeitgebers annehmen. Dies gilt auch für Zuwendungen, soweit sie auf letztwilligen Verfügungen beruhen.

        

(2)     

Von dem Angebot einer Zuwendung im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit hat der Mitarbeiter den Arbeitgeber unverzüglich und unaufgefordert zu unterrichten; desgleichen von Zuwendungen aus Testamenten und Erbverträgen, die der Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit erhält.

        

…       

        

§ 7     

        

Nebentätigkeiten

        

Nebentätigkeiten haben die Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber rechtzeitig vorher schriftlich mitzuteilen. Der Arbeitgeber kann die Nebentätigkeit untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn diese geeignet ist, die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Mitarbeiter oder berechtigte Interessen des Arbeitgebers zu beeinträchtigen.

        

…       

        

§ 23   

        

Jahressonderzahlung

        

(1)     

Der Mitarbeiter, der am 1. Dezember in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht und mindestens seit 1. Juni beschäftigt ist, hat Anspruch auf eine Sonderzahlung.

        

…       

        
        

(3)     

Der Anspruch ermäßigt sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem der Mitarbeiter keinen Anspruch auf Entgelt (§ 29), Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 25) oder Fortzahlung des Entgelts während des Erholungsurlaubs (§ 31) gegen den Arbeitgeber hat.

                 

…       

        

(4)     

Die Sonderzahlung wird mit dem für November zustehenden Entgelt ausgezahlt.

        

(5)     

Mitarbeiter, die bis einschließlich 31. März des Folgejahres aus eigenem Verschulden oder eigenem Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, sind mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, die erhaltene Sonderzahlung an den Arbeitgeber zurückzuzahlen.

        

…       

        

§ 41   

        

Ausschlussfrist

        

(1)     

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber dem Arbeitsvertragspartner geltend gemacht werden. Satz 1 gilt nicht für Ansprüche aus einem Sozialplan sowie für Ansprüche, soweit sie kraft Gesetzes einer Ausschlussfrist entzogen sind.

        

(2)     

Ansprüche aus unerlaubten oder mit Strafe bedrohten Handlungen bleiben unberührt.“

4

Die Beklagte gewährte dem Kläger zusätzlich zum Gehalt für November 2021 eine Jahressonderzahlung in Höhe von 2.767,19 Euro brutto. Mit Schreiben vom 19. Januar 2022 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. März 2022.

5

In einer internen E-Mail der Bereichsleitung M der Beklagten vom 19. Januar 2022 heißt es auszugsweise:

        

„Herr B wäre sehr froh, wenn wir die Rückzahlung der Jahressonderzahlung auf die kommenden drei Gehälter dritteln könnten.“

6

Mit Schreiben vom 21. Januar 2022 bestätigte der Geschäftsführer der Beklagten die Kündigung des Klägers zum 31. März 2022. Weiter heißt es darin ua.:

        

„… machen wir Sie darauf aufmerksam, dass Sie aufgrund Ihrer Kündigung nach § 23 Abs. 5 des DRK Reformtarifvertrages die im November 2021 erhaltene Jahressonderzahlung an uns zurückzahlen müssen. Der Abzug erfolgt wunschgemäß zu je einem Drittel mit den Gehaltsabrechnungen in den Monaten Januar, Februar und März 2022.“

7

Die Beklagte brachte von den Nettovergütungsansprüchen des Klägers für die Monate Januar und Februar 2022 jeweils 446,16 Euro und von denen für den Monat März 2022 446,17 Euro in Abzug.

8

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung verlangt der Kläger mit der Klage – soweit für die Revision noch von Interesse – die Zahlung restlicher Vergütung für die Monate Januar bis März 2022 in Höhe der von der Beklagten vorgenommenen Abzüge. Er hat die Auffassung vertreten, die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 23 Abs. 5 RTV seien nicht erfüllt, weil seine Kündigung das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 31. März 2022 beendet habe. Unabhängig davon benachteilige ihn die Rückzahlungsklausel unangemessen und sei deshalb unwirksam. Die Regelung unterliege einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB, weil der Arbeitsvertrag den RTV nicht vollständig in Bezug nehme.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

        

–       

für den Monat Januar 2022 weitere Vergütung in Höhe von 446,16 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2022,

        

–       

für den Monat Februar 2022 weitere Vergütung in Höhe von 446,16 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2022 und

        

–       

für den Monat März 2022 weitere Vergütung in Höhe von 446,17 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2022

        

zu zahlen.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Vergütungsansprüche des Klägers seien erloschen, weil sie zu den vorgenommenen Abzügen berechtigt gewesen sei. Der Kläger sei nach § 23 Abs. 5 RTV verpflichtet gewesen, die erhaltene Sonderzahlung zurückzuzahlen. Eine Inhaltskontrolle der tariflichen Regelung sei nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeschlossen, weil der Arbeitsvertrag den RTV vollumfänglich in Bezug nehme und die tarifvertraglichen Regelungen lediglich ergänze und flankiere. Die gesonderten arbeitsvertraglichen Abreden beträfen zudem keine Entgeltfragen; dieser Regelungskomplex sei vollständig in Bezug genommen. Auch seien die vertraglichen Vereinbarungen – jedenfalls bei einer Gesamtschau – für den Kläger günstiger als die tariflichen Bestimmungen. Letztlich komme es aber auf die Wirksamkeit der in Bezug genommenen Bestimmung nicht an, weil sich der Kläger in einer eigenständigen rechtsverbindlichen Vereinbarung zur Rückzahlung der Jahressonderzahlung verpflichtet habe. Er selbst habe ausdrücklich darum gebeten, dass die Rückzahlung durch Abzug von jeweils einem Drittel des Zahlungsbetrages von seiner Vergütung für die Monate Januar, Februar und März 2022 erfolgen solle. Dem habe sie mit Schreiben ihres Geschäftsführers zugestimmt.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision strebt die Beklagte eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat nach § 611a Abs. 2 BGB Anspruch auf Vergütung für die Monate Januar bis März 2022 in zugesprochener Höhe. Die nach Grund und Höhe unstreitig entstandenen Ansprüche des Klägers sind nicht – auch nicht teilweise – aufgrund Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen. Es fehlt an einer Aufrechnungslage iSv. § 387 BGB. Die Beklagte war zu keinem Zeitpunkt Gläubigerin einer aufrechenbaren Gegenforderung. Sie hatte weder aufgrund gesonderter vertraglichen Vereinbarung noch nach § 23 Abs. 5 RTV einen Anspruch auf Rückzahlung der an den Kläger geleisteten Jahressonderzahlung.

13

I. Der Kläger hat sich nicht unabhängig von der Geltung von § 23 Abs. 5 RTV verpflichtet, die an ihn geleistete Jahressonderzahlung zurückzuzahlen.

14

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Voraussetzungen eines konstitutiven Schuldversprechens (§ 780 BGB) oder Schuldanerkenntnisses (§ 781 BGB) bereits deshalb nicht vorliegen, weil es an der Einhaltung der gesetzlichen Schriftform nach § 126 BGB mangelt (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 931/12 – Rn. 38).

15

2. Das Landesarbeitsgericht ist zudem zutreffend davon ausgegangen, dass der Vortrag der Beklagten nicht die Annahme trägt, bei der Abrede der Parteien handele es sich um ein konstitutives Schuldversprechen oder selbständig verpflichtendes (abstraktes) Schuldanerkenntnis zu ihren Gunsten (zu den Voraussetzungen vgl. BAG 5. September 2023 – 9 AZR 356/22 – Rn. 24; 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 25). Es hat dabei die atypischen Erklärungen der Parteien unter Berücksichtigung aller wesentlichen Tatsachen rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt, dass sich die Parteien nur über die Abwicklung eines ggf. nach § 23 Abs. 5 RTV bestehenden Rückzahlungsanspruchs geeinigt hätten (zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab vgl. zB BAG 19. Februar 2025 – 10 AZR 57/24 – Rn. 33 f. mwN). Die von der Beklagten erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

16

II. Ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der Jahressonderzahlung für das Jahr 2021 bestand auch nicht nach der vertraglich in Bezug genommenen Bestimmung des § 23 Abs. 5 RTV. Zwar sind – entgegen der Ansicht des Klägers – deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger ist, weil das Arbeitsverhältnis aufgrund seiner Kündigung gemäß § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 31. März 2022 endete, bis einschließlich 31. März des auf die Jahressonderzahlung 2021 folgenden Kalenderjahres aus eigenem Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden (st. Rspr., vgl. zB BAG 25. April 2007 – 10 AZR 634/06 – Rn. 18, BAGE 122,174; 11. Januar 1995 – 10 AZR 180/94 – zu II 1 b der Gründe). Die von der Beklagten durch Verweisung auf § 23 Abs. 5 RTV als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte Rückzahlungsklausel hält aber einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Sie ist unangemessen benachteiligend iSd. § 307 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB und deshalb unwirksam.

17

1. Der RTV gilt mangels Tarifgebundenheit des Klägers nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend. Ebenso wenig ist der Tarifvertrag nach § 5 Abs. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt.

18

2. Bei den Bestimmungen des Arbeitsvertrags handelt es sich nach den mit der Revision ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 BGB, deren Wirksamkeit nach §§ 305 ff. BGB zu überprüfen ist.

19

3. § 3 und 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags nehmen den RTV zeitdynamisch in Bezug. Einer ausdrücklichen „Jeweiligkeits-Klausel“ bedurfte es nicht (st. Rspr., vgl. zB BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 16 mwN). Hiervon wird auch § 23 RTV erfasst.

20

4. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht erkannt, dass die Bestimmungen des RTV – entgegen der Auffassung der Beklagten – im Arbeitsvertrag nicht umfassend in Bezug genommen sind.

21

a) Belassen es nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien nicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem bestimmten Tarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren zu einzelnen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausformulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zum Ausdruck, dass unabhängig von dem in Bezug genommenen Tarifvertrag jedenfalls die in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollen. Letztere haben nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, ohne dass es einer ausdrücklichen Vereinbarung bedarf, Vorrang vor den tariflichen Regelungen. Damit beschränkt sich die Wirkung der Bezugnahmeklausel auf den verbleibenden Teil des Tarifvertrags (st. Rspr., vgl. BAG 16. Dezember 2020 – 5 AZR 131/19 – Rn. 16 mwN, BAGE 173, 242; 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18 – Rn. 29 f. mwN, BAGE 168, 96).

22

b) Die Annahme einer umfassenden Bezugnahme scheidet vorliegend aus, weil die Regelungen in §§ 16, 17 und 20 des Arbeitsvertrags von denen in §§ 5, 7 und 41 RTV abweichen und in den vertraglichen Bestimmungen die Bezugnahme nicht lediglich durch eine wörtliche Wiedergabe der bei Vertragsschluss geltenden Bestimmungen des Tarifvertrags in einem deklaratorischen Sinn „ausformuliert“ ist (vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 46; 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18 – Rn. 30, BAGE 168, 96; 28. Januar 2015 – 5 AZR 122/13 – Rn. 16 f. mwN). Eine Kollisionsregel, nach der den tariflichen Regelungen im Verhältnis zu den ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klauseln der Vorrang zukommen soll, haben die Parteien nicht vereinbart (vgl. BAG 25. September 2013 – 5 AZR 778/12 – Rn. 15).

23

5. Die Prüfung der Angemessenheit der vertraglich in Bezug genommenen Rückzahlungsklausel des § 23 Abs. 5 RTV nach § 307 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil der Arbeitsvertrag der Parteien den RTV nicht insgesamt in Bezug nimmt und die abweichenden Regelungen des Arbeitsvertrags auch nicht ausschließlich zugunsten des Klägers wirken. Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert die Inbezugnahme des „Regelungskomplexes Entgelt“ daran nichts.

24

a) Nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge keine Anwendung. Diese sind von einer AGB-Kontrolle ausgenommen. Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB stehen Tarifverträge Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 BGB gleich. Eine Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglich insgesamt in Bezug genommenen Tarifverträgen erfolgt infolge dieser Gleichstellung nicht, weil eine solche gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet. Das gilt unabhängig davon, aufgrund welcher Regelungstechnik der betreffende Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 33 mwN; vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/6857 S. 54). Voraussetzung ist, dass der Tarifvertrag – was vorliegend außer Streit steht – das Arbeitsverhältnis in seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich erfasst (st. Rspr., BAG 7. Juli 2020 – 9 AZR 323/19 – Rn. 21; 3. Juli 2019 – 10 AZR 300/18 – Rn. 14; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 29, BAGE 163, 144).

25

b) Das Kontrollprivileg nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB setzt allerdings eine Inbezugnahme der Gesamtheit der Regelungen des einschlägigen Tarifvertrags voraus. Nur diese ist geeignet, die dem Kontrollprivileg zugrunde liegende Angemessenheitsvermutung zu begründen. Beschränkt sich die Bezugnahme auf einzelne Vorschriften eines Tarifvertrags, entfällt die durch § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB erzeugte Privilegierung (st. Rspr., vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 40; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 29 f. mwN, BAGE 163, 144; 6. Mai 2009 – 10 AZR 390/08 – Rn. 29). Dies gilt auch dann, wenn sich die beschränkte Verweisung auf sachlich und inhaltlich zusammenhängende geschlossene Regelungsbereiche oder -komplexe bezieht (ebenso Bieder in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht 13. Aufl. Anh. § 310 Rn. 42; Däubler/Deinert/Walser/Däubler AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 5. Aufl. § 310 Rn. 52; Clemenz/Kreft/Krause/Kreft AGB Arbeitsrecht 3. Aufl. BGB § 310 Rn. 76; ErfK/Preis 25. Aufl. BGB § 310 Rn. 11 f.; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 3 Rn. 562; Däubler/Ulber TVG 5. Aufl. Einleitung Rn. 673; offengelassen in BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 41; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 31, aaO; 18. September 2012 – 9 AZR 1/11 – Rn. 25; 15. Juli 2009 – 5 AZR 867/08 – Rn. 19, BAGE 131, 215; 6. Mai 2009 – 10 AZR 390/08 – Rn. 29 f.; verneinend Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp AGB Arbeitsrecht 3. Aufl. BGB § 307 Rn. 187; MüKoBGB/Spinner 9. Aufl. BGB § 611a Rn. 64; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 35 Rn. 21; Wiedemann/Oetker TVG 9. Aufl. § 3 Rn. 406; Stoffels in Wolf/Lindacher/Pfeiffer AGB-Recht 7. Aufl. ArbR Rn. 129). Dies ergibt die Auslegung von § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB (zu den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Grundsätzen vgl. die st. Rspr., zB BAG 20. August 2024 – 3 AZR 286/23 – Rn. 12 mwN).

26

aa) Bereits der Gesetzeswortlaut spricht für das Erfordernis einer Globalverweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag. Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB hat eine Inhaltskontrolle von vertraglichen Bestimmungen bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften zu erfolgen. Aufgrund der Gleichstellung von Tarifverträgen mit Rechtsvorschriften liegt ein Abweichen von Rechtsvorschriften vor, wenn nicht der gesamte Tarifvertrag in Bezug genommen wird (vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 35 mwN).

27

bb) Für dieses Verständnis spricht zudem die Gesetzessystematik.

28

(1) Ausgangspunkt ist § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, wonach die Regelungen der §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge keine Anwendung finden. Dieser Teil der Norm erfasst den Fall der beiderseitigen Tarifgebundenheit iSv. § 3 Abs. 1 TVG. In diesem „Normalfall“ des TVG gelten die gesamten Normen des Tarifvertrags unmittelbar und zwingend für die beiderseits Tarifgebundenen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten (§ 4 Abs. 3 TVG; vgl. zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG und zu § 9 Nr. 2 Halbs. 2 und 3 AÜG aF BAG 16. Dezember 2020 – 5 AZR 131/19 – Rn. 13 f. mwN, BAGE 173, 242; 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18 – Rn. 19, BAGE 168, 96).

29

(2) § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB erstreckt über die vorgenannte Fallgestaltung der beiderseitigen Tarifgebundenheit hinaus die Kontrollfreiheit, wenn nicht (beiderseits) tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags vereinbaren. Aus § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit ein geringeres Maß an Tarifanwendung verlangt wird und das Kontrollprivileg auch bei Einzelverweisungen auf tarifliche Bestimmungen oder bei Verweisungen gelten soll, die sich auf sachlich und inhaltlich zusammenhängende geschlossene Regelungsbereiche oder -komplexe, also nur auf Teile eines Tarifvertrags beschränken.

30

cc) Für das Erfordernis, dass der Tarifvertrag in seiner Gesamtheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden muss, sprechen auch Sinn und Zweck der Bereichsausnahme und des Kontrollprivilegs.

31

(1) Tarifverträge sind von der Inhaltskontrolle nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausgenommen, weil für sie aufgrund der vorauszusetzenden Verhandlungsparität der Tarifpartner die Vermutung der Angemessenheit besteht (BAG 21. Mai 2014 – 4 AZR 50/13 – Rn. 29, BAGE 148, 139; 7. Juni 2006 – 4 AZR 316/05 – Rn. 30 mwN, BAGE 118, 232). Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis richtig ist und die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringt (BVerfG 11. Dezember 2024 – 1 BvR 1109/21, 1 BvR 1422/23 – Rn. 144 mwN).

32

(2) Allerdings begründet erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrags grundsätzlich die Vermutung, dass dieser die divergierenden Interessen angemessen ausgleicht (vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 36; Bieder in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht 13. Aufl. Anh. § 310 Rn. 36 mwN).

33

(a) Tarifverträge stellen einen in einer spezifischen Verhandlungssituation gefundenen Verhandlungskompromiss dar (vgl. BVerfG 11. Dezember 2024 – 1 BvR 1109/21, 1 BvR 1422/23 – Rn. 160, 167 mwN). Begünstigungen bei einzelnen Regelungen werden häufig um den Preis von Benachteiligungen durch andere Vorschriften erwirkt. Die Richtigkeitsgewähr beruht auf dem Ausgleich von Vor- und Nachteilen für die tarifschließenden Parteien. Sie entfällt, wenn eine einzelne Bestimmung aus diesem Gesamtwerk herausgenommen wird (vgl. Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 35 Rn. 21).

34

(b) Der Tarifvertrag muss daher, soll die dem Kontrollprivileg zugrunde liegende Vermutung der Angemessenheit tariflicher Regelungen auch für eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Verweisung auf einen Tarifvertrag gelten, einschränkungslos und grundsätzlich in seiner Gesamtheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden (BAG 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 28 ff., BAGE 163, 144). Aus diesem Grund kann Einzelverweisungen nicht dieselbe Angemessenheitsvermutung und Richtigkeitsgewähr zukommen wie Globalverweisungen. Zudem besteht hier die Gefahr einer einseitigen Benachteiligung des Arbeitnehmers, denn der Arbeitgeber wird in von ihm gestellten Vertragsbedingungen vorrangig auf für ihn vorteilhafte Bestimmungen verweisen (ErfK/Preis 25. Aufl. BGB § 310 Rn. 10; MüKoBGB/Spinner 9. Aufl. BGB § 611a Rn. 63). Einzelverweise auf bestimmte Regelungen schließen deshalb die Inhaltskontrolle grundsätzlich auch dann nicht aus, wenn auf Vorschriften des einschlägigen Tarifvertrags verwiesen wird (st. Rspr., vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 40; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 28 f. mwN, aaO; 6. Mai 2009 – 10 AZR 390/08 – Rn. 29). Gleiches gilt für auf sachlich und inhaltlich zusammenhängende geschlossene Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags beschränkte Verweisungen. Auch hier entfällt die Grundlage für die Angemessenheitsvermutung und besteht die Gefahr einer einseitigen Benachteiligung des Arbeitnehmers.

35

dd) Die Entstehungsgeschichte von § 310 Abs. 4 Satz 3 und § 307 Abs. 3 BGB bestätigt dieses Verständnis.

36

(1) Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt neben dem Wortlaut und der Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfs, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG) und Bundesregierung (Art. 76 Abs. 3 Satz 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen. Dabei dürfen die Gerichte sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 74, BVerfGE 149, 126; BAG 31. Mai 2023 – 5 AZR 305/22 – Rn. 27 mwN, BAGE 181, 149).

37

(2) Ausweislich der Begründung der Bundesregierung für den – nachfolgend insoweit letztlich unverändert übernommenen – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (vgl. die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 14/6857 S. 54) sollte die Anwendung der Regelungen der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge und damit die Aufhebung der vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes für Verträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts nach § 23 Abs. 1 AGBG geltende Bereichsausnahme bewirken, „dass das Schutzniveau der Vertragsinhaltskontrolle im Arbeitsrecht nicht hinter dem des Zivilrechts zurückbleibt“ und insgesamt ein ausreichender Schutz der Arbeitnehmer vor unangemessenen Vertragsbedingungen gewährleistet wird. Für Tarifverträge sollte allerdings, wie mit der Neufassung von § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB vorgeschlagen, die Bereichsausnahme bestehen bleiben; in diesem nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG „normsetzenden“ Bereich dürfe eine AGB-Kontrolle nicht eingreifen, weil anderenfalls das System der Tarifautonomie konterkariert werde.

38

(3) Gleichzeitig wurde in der vorgeschlagenen Neufassung von § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB klargestellt, dass ua. Tarifverträge Rechtsvorschriften im Sinn der vorgeschlagenen Neufassung von § 307 Abs. 3 BGB gleichstehen. Nach der Begründung der Bundesregierung (BT-Drs. 14/6857 S. 54) folgt daraus, „dass auch Einzelarbeitsverträge, die Bezug auf einen Tarifvertrag nehmen, ohne dass eine beiderseitige Tarifbindung besteht oder die mit Kollektivverträgen übereinstimmen und lediglich deren gesamten Inhalt wiedergeben, ebenfalls nicht der Inhaltskontrolle unterliegen, sondern nur am Transparenzgebot zu messen sind“. Die unveränderte Übernahme des auf dieser Begründung basierenden Gesetzesentwurfs der Bundesregierung bestätigt, dass das Kontrollprivileg nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB nach der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers nur greifen sollte, wenn der „gesamte“ Tarifvertrag in Bezug genommen wird (ebenso BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 38).

39

(4) Wenn der Gesetzgeber in einzelnen Bestimmungen, wie zB § 622 Abs. 4 Satz 2, § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, § 7 Abs. 3 ArbZG, § 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG, punktuelle Abweichungen durch Tarifvertrag oder in dessen Geltungsbereich bei fehlender Tarifgebundenheit die Anwendung der tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung zulässt, beruht dies auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Gestattung. Eine bei der Auslegung von § 310 Abs. 4 Satz 3 und § 307 Abs. 3 BGB zu berücksichtigende gesetzgeberische Wertentscheidung, bei beschränkten Verweisungen auf einzelne tarifliche Regelungskomplexe gelte generell eine Angemessenheitsvermutung, die eine Inhaltskontrolle entbehrlich macht und ausschließt (in diesem Sinn wohl Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp AGB Arbeitsrecht 3. Aufl. BGB § 307 Rn. 187; MüKoBGB/Spinner 9. Aufl. BGB § 611a Rn. 64; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 35 Rn. 21), kann hieraus nicht abgeleitet werden (vgl. Clemenz/Kreft/Krause/Kreft AGB Arbeitsrecht 3. Aufl. BGB § 310 Rn. 76 f.; ErfK/Preis 25. Aufl. BGB § 310 Rn. 11 f.). Dieses Verständnis von § 310 Abs. 4 Satz 3 und § 307 Abs. 3 BGB würde sich über den in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen.

40

ee) Soweit Ausführungen in der Entscheidung des Senats vom 6. Mai 2009 (- 10 AZR 390/08 – Rn. 29 f.) – über die Situation der vollständigen Inbezugnahme eines geschlossenen Regelungssystems für einen bestimmten Personenkreis innerhalb eines Tarifvertrags hinaus (dort: Angestellte des Versicherungsaußendienstes; vgl. auch BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 39) – anders verstanden werden könnten, hält der Senat aus den genannten Gründen daran nicht fest.

41

c) Unschädlich sind hingegen vertragliche Regelungen über Gegenstände, die tariflich nicht geregelt sind und deshalb keine verdrängende Wirkung entfalten sowie Vertragsbestimmungen, die zugunsten des Arbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen und deshalb auch im Fall einer beiderseitigen Tarifgebundenheit nach § 4 Abs. 3 TVG maßgebend wären (vgl. BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 40 mwN; vgl. im Zusammenhang mit § 9 Nr. 2 Halbs. 3 AÜG aF BAG 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18 – Rn. 16, BAGE 168, 96).

42

d) Auch verlangt das Kontrollprivileg nach § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB nicht eine Inbezugnahme des zwischen den jeweiligen Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifwerks. Die Vermutung der Angemessenheit gilt bereits für die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrags. Die Tarifvertragsparteien machen dadurch, dass sie Gegenstände in getrennten Tarifverträgen regeln, die ggf. zu unterschiedlichen Zeitpunkten in und außer Kraft treten, selbst deutlich, dass zwischen diesen Regelungsbereichen kein untrennbarer Zusammenhang besteht (vgl. hierzu ausführlich BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 42 ff.; zu den Besonderheiten der Tariföffnungsklauseln in § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG und § 9 Nr. 2 Halbs. 2 und 3 AÜG aF BAG 16. Dezember 2020 – 5 AZR 131/19 – Rn. 13, BAGE 173, 242; 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18 – Rn. 16 ff., BAGE 168, 96).

43

6. Danach unterliegt die in Bezug genommene Rückzahlungsklausel des § 23 Abs. 5 RTV einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB. Die vom RTV abweichenden arbeitsvertraglichen Bestimmungen wirken nicht ausschließlich zugunsten des Klägers. Die Voraussetzungen von § 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB sind deshalb selbst dann nicht erfüllt, wenn unterstellt würde – wovon die Beklagte ausgeht -, die abweichenden Vertragsbestimmungen berührten weder die Rechte des Klägers aus § 23 RTV noch den Regelungskomplex „Entgelt“.

44

a) Bei den vom RTV abweichenden Bestimmungen des Arbeitsvertrags handelt es sich nicht um Vereinbarungen, die – wie die Beklagte meint – die tarifvertraglichen Regelungen lediglich ergänzen oder flankieren. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht mit zutreffender Begründung ausgegangen. Die vom Landesarbeitsgericht insoweit getroffenen Feststellungen zum Inhalt des „nur“ vertraglich in Bezug genommen RTV hat die Beklagte nicht angegriffen (vgl. zB BAG 29. Januar 2025 – 4 AZR 83/24 – Rn. 48 mwN; 12. Juni 2024 – 4 AZR 202/23 – Rn. 44 mwN).

45

aa) Während § 7 RTV lediglich eine Anzeige- bzw. Mitteilungspflicht für die Aufnahme von Nebentätigkeiten vorsieht, soll nach § 16 des Arbeitsvertrags für die Übernahme der Nebentätigkeit eine vorherige schriftliche Einwilligung des Arbeitgebers erforderlich sein. Der Arbeitsvertrag stellt insoweit eine weitere, im RTV nicht vorgesehene Tatbestandsvoraussetzung für die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten auf. Dies ist für den Arbeitnehmer ungünstiger.

46

bb) Auch hinsichtlich der Annahme von Geschenken und Vergünstigungen unterscheiden sich der Arbeitsvertrag und der RTV. Während § 17 des Arbeitsvertrags die Annahme grundsätzlich untersagt und lediglich bei geringwertigen Geschenken und Vergünstigungen Ausnahmen zulässt, sieht § 5 RTV einen generellen arbeitgeberseitigen Zustimmungsvorbehalt vor. Die Regelung in § 17 des Arbeitsvertrags ist deshalb nicht ausschließlich günstiger, sondern wirkt allenfalls – abhängig vom Einzelfall – ambivalent (vgl. dazu zB BAG 15. April 2015 – 4 AZR 587/13 – Rn. 27 ff., BAGE 151, 221).

47

cc) § 20 des Arbeitsvertrags sieht für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis eine Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vor. Ansprüche sind jedoch spätestens innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. § 41 RTV belässt es demgegenüber auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit. Die Regelung in § 20 des Arbeitsvertrags ist ambivalent. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die für beide Seiten geltende, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verkürzte Ausschlussfrist für den Arbeitnehmer günstiger ist.

48

b) Ohne Bedeutung ist, ob die vom RTV abweichenden Bestimmungen des Arbeitsvertrags einer Inhaltskontrolle standhielten. Auf die Unwirksamkeit der Regelungen könnte sich die Beklagte als Verwenderin der von ihr gestellten Vertragsbedingungen im Verhältnis zum Kläger nicht berufen (st. Rspr., zuletzt zB BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 69 mwN). Ob noch weitere vertragliche Bestimmungen von den einschlägigen Tarifbestimmungen abweichen und ob diese ggf. zugunsten des Klägers wirken, was zwischen den Parteien streitig ist, bedarf keiner weiteren Prüfung.

49

7. Die nach § 3 und 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags in Bezug genommene Rückzahlungsklausel des § 23 Abs. 5 RTV benachteiligt den Kläger unangemessen iSv. § 307 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB (zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 19. März 2025 – 10 AZR 67/24 – Rn. 35 mwN).

50

a) Die Jahressonderzahlung nach § 23 RTV dient nicht nur der Honorierung vergangener und künftiger Betriebstreue, sondern auch der Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung.

51

aa) Den Regelungen in § 23 Abs. 1 und 5 RTV ist zunächst zu entnehmen, dass die Jahressonderzahlung erbrachte Betriebstreue honorieren und Anreiz für künftige Betriebstreue sein sowie der Motivation von Mitarbeitern dienen soll, die nach der Auszahlung noch bis zum 31. März des Folgejahres im Arbeitsverhältnis verbleiben (vgl. BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 48; 15. November 2023 – 10 AZR 288/22 – Rn. 63). Eine Regelung, die den Anspruch auf eine Sonderzahlung von dem ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig macht, bezweckt typischerweise die Honorierung erwiesener Betriebstreue. Zukünftige Betriebstreue soll hingegen regelmäßig belohnt werden, wenn die Sonderzuwendung nur bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus bis zum Ende eines zumutbaren Bindungszeitraums gezahlt wird oder der Arbeitnehmer diese zurückzuzahlen hat, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf zumutbarer Bindungsfristen endet (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 14).

52

bb) Die Jahressonderzahlung ist jedoch nicht auf die genannten Zwecke beschränkt. Bei ihr handelt es sich, wie vom Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, um Entgelt, das jedenfalls auch als Gegenleistung für die Erbringung der Arbeitsleistung geschuldet ist. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 RTV ermäßigt sich der Anspruch auf die Jahressonderzahlung um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, „in dem der Mitarbeiter keinen Anspruch auf Entgelt (§ 29), Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 25) oder Fortzahlung des Entgelts während des Erholungsurlaubs (§ 31) gegen den Arbeitgeber hat“. Dies bringt deutlich den auch bestehenden Entgeltcharakter der Leistung zum Ausdruck (vgl. BAG 8. September 2021 – 10 AZR 322/19 – Rn. 54, BAGE 175, 367; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 27, BAGE 163, 144).

53

cc) Dass die Jahressonderzahlung erbrachte Betriebstreue honorieren und Anreiz für künftige Betriebstreue sein soll, schließt die Annahme eines arbeitsleistungsbezogenen Entgeltcharakters nicht aus (st. Rspr., vgl. BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 48; 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 18 ff., BAGE 146, 284; zu einer Betriebsvereinbarung vgl. BAG 15. November 2023 – 10 AZR 288/22 – Rn. 62 ff.).

54

b) Der Rückzahlungsvorbehalt in § 23 Abs. 5 RTV ist unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BGB, weil er im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611a Abs. 2 BGB steht und die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers verkürzt. Der Anspruch auf Zahlung verdienten Entgelts nach § 611a Abs. 2 BGB ist nicht davon abhängig, dass weitere Zwecke, wie die künftige Betriebstreue von Mitarbeitern, erfüllt werden (vgl. BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 53; ausführlich BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 612/10 – Rn. 18 ff., BAGE 140, 231). Der Rückzahlungsvorbehalt verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil er die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit ggf. vorenthalten zu können, ist nicht ersichtlich (vgl. BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 51; 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 20 ff., BAGE 163, 144; 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 28 ff., BAGE 146, 284).

55

c) Dass eine tarifvertragliche Bestimmung mit vergleichbarem Inhalt, die normativ im Arbeitsverhältnis gilt oder kraft vollständiger Inbezugnahme Anwendung findet, keinen Rechtmäßigkeitsbedenken ausgesetzt ist (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB BAG 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – Rn. 23, BAGE 163, 144; 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 30 ff.), führt entgegen der in der Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis. Dies ist vielmehr die Folge der Angemessenheitsvermutung und der Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen, die – wie ausgeführt – nicht im Hinblick auf einzelne in Bezug genommene Bestimmungen gilt.

56

d) Die Unwirksamkeit von § 23 Abs. 5 RTV führt nach § 306 Abs. 1 BGB zu dessen ersatzlosem Wegfall unter Aufrechterhaltung der Bestimmung im Übrigen. Eine geltungserhaltende Reduktion ist im Rechtsfolgensystem des § 306 BGB nicht vorgesehen (st. Rspr., zuletzt zB BAG 3. Juli 2024 – 10 AZR 171/23 – Rn. 30; 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22 – Rn. 29 mwN).

57

III. Der Anspruch des Klägers nach § 611a Abs. 2 BGB besteht, wie vom Landesarbeitsgericht zugesprochen, in Höhe der von der Beklagten vorgenommenen Abzüge. Die Zinsentscheidung beruht auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

58

IV. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    W. Reinfelder    

        

    Günther-Gräff    

        

    Weber    

        

        

        

    Kuhny    

        

    Gehrlein    

                 
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