88. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV
Grußwort der Präsidentin
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sie alle haben uns als Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein zu dieser ausgesprochen interessanten Tagung eingeladen. Dafür möchte ich mich im Namen aller Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts ganz herzlich bedanken. Sie sind in diesem Haus hochwillkommen.
Diesen Dank möchte ich stellvertretend für Sie alle an Ihre Funktionsträgerinnen und -träger richten und diese Kolleginnen und Kollegen namentlich begrüßen.
Ich bitte Sie, mit mir die Vorsitzende und die Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein und den in der DAV-Geschäftsführung Zuständigen zu begrüßen:
- sehr geehrte Frau Vorsitzende Dr. Schuster, liebe Doris,
- sehr geehrte Frau Dr. Oberthür, liebe Nathalie, zugleich in Deiner Funktion als Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein,
- sehr geehrte Frau Dr. Schulze Zumkley, liebe Kathrin,
- sehr geehrter Herr Markowski, lieber Jürgen,
- sehr geehrter, lieber Herr Dr. Meyer,
- sehr geehrter Herr Dr. Sittard, lieber Ulrich, und
- sehr geehrter, lieber Herr Gröning.
Außerdem möchte ich eine Vertreterin und zwei Vertreter der Fachverlage und Fachmedien ganz herzlich begrüßen:
- sehr geehrte, liebe Frau Rülfing für Otto Schmidt,
- sehr geehrter Herr Professor Dr. Schunder, lieber Achim, für die NZA und
- sehr geehrter, lieber Herr Dr. Glanz für Beck.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist eine außerordentliche Freude und Ehre für uns, Sie alle hier im Bundesarbeitsgericht willkommen heißen zu dürfen.
Sie alle gemeinsam sind als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, als Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV mit einer sehr großen Zahl von Mitgliedern eine der machtvollsten Interessengruppen in der arbeitsrechtlichen Community.
Mit Ihrer Expertise gestalten Sie eine Vielzahl von Mandaten und Rechtsbeziehungen forensisch und außerforensisch in einer Weise, die mit großer Komplexität umgehen kann. In einer Weise, wie sie Künstliche Intelligenz – KI oder AI – nach meiner – zugegeben mutigen – Prognose jedenfalls nicht vollständig wird leisten können.
Sie sorgen dafür, dass Rechtsuchende Recht bekommen oder jedenfalls ihre Position klar und rechtsförmig vertreten können. Sie finden sorgsam ausgehandelte und austarierte Kompromisse in einem Rechtsgebiet, das – rechtlich und soziologisch betrachtet – von gegenläufigen Interessen geprägt ist. Interessengegensätze und konstruktiver Streit sind essenziell für dieses Rechtsgebiet, das Arbeitsrecht.
Sie wirken im Ausschuss Arbeitsrecht des DAV tatkräftig gestaltend an Gesetzgebungsvorhaben mit.
Die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV hat vor mittlerweile vielen Jahren ein wunderbares neues Format aus der Taufe gehoben, den Deutschen Arbeitsrechtstag. Ich dachte damals, es gebe schon genug arbeitsrechtliche Formate. Damit habe ich mich getäuscht. Dieses rechtspolitisch-rechtliche Format ist außerordentlich wertvoll. Einer der früheren Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses, mein guter Freund Professor Dr. Stefan Lunk, hat an der Entwicklung dieses Formats wesentlichen Anteil.
Für diese vielen großen Leistungen von Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle einfach einmal meinen großen Dank sagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
und Sie haben aus meiner Sicht einen ausgezeichneten Zeitpunkt gewählt, um in Erfurt in der Landeshauptstadt des Freistaats – Thüringen zu tagen.
Das Bundesarbeitsgericht hat zehn Jahre nach der friedlichen Revolution, neun Jahre nach der Wiedervereinigung am 22. November 1999 – als erster oberster Gerichtshof des Bundes – seinen Sitz im sogenannten Beitrittsgebiet genommen. Ich wage es zu sagen: in Ostdeutschland – trotz der These des 1967 in Gotha geborenen Literaturwissenschaftlers Dirk Oschmann, der Osten sei eine westdeutsche Erfindung.
Ich ziehe es vor, mich den Thesen des 1968 in Rostock geborenen Soziologen Steffen Mau über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschen anzuschließen, die er in seinem jüngsten Werk mit „Ungleich vereint“ zusammenfasst – „Warum der Osten anders bleibt“.
Wir alle – in Ost- und Westdeutschland – haben atemlos zugesehen, wie Sachsen und Thüringen vor knapp zwei Wochen gewählt haben.
Viele von uns, die wir in Sachsen oder Thüringen leben, hatten schon vor und nach den Regionalwahlen im Mai und der Europawahl im Juni große Sorge um die freiheitliche Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und Europa. Ich will es so sagen: Meine Sorge ist nach den Landtagswahlen in Sachsen, aber vor allem in Thüringen nicht geringer geworden.
Wir, die wir uns den deutschen und den Unionsverfassungsprinzipien der liberalen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet fühlen, müssen darum kämpfen, dass der Wert und die existenzielle Bedeutung dieser Grundsätze wieder sichtbar werden.
Ich möchte mit gewisser Penetranz eine Aussage wiederholen, die ich getan habe, als wir im Juni den 70. Geburtstag des Bundesarbeitsgerichts gefeiert haben.
Vieles ist nach der Wiedervereinigung gut gegangen. Die biografischen Brüche, die der im Zug der Wende uneingeschränkt gewünschte Beitrittsprozess etwa durch längere Arbeitslosigkeit ausgelöst hat, sind in Ost- und Mitteldeutschland in vielen Familien jedoch noch immer spürbar. Sie setzen sich durch das kollektive Gedächtnis der Familien mitunter in den jüngeren Generationen fort. Die Treuhand ist in der Rückschau noch immer ein Menetekel für viele Ostdeutsche. Ich frage mich manchmal, ob wir, die wir Westdeutsche sind, behutsam und wertschätzend genug mit der Lebensleistung der Menschen umgegangen sind, die einen großen Teil ihres Lebens in der früheren DDR verbracht haben.
Außerdem gibt es in Ostdeutschland weniger erarbeitetes und vererbtes Vermögen als in Westdeutschland. Die Vergütungen Ostdeutscher sind überwiegend geringer als die Westdeutscher. Es gibt unter Ostdeutschen eine gewisse Furcht davor, sich Vereinigungen – Kollektiven – anzuschließen.
Deshalb ist es besonders wichtig, dass Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, aus ganz Deutschland nach Erfurt gekommen sind, um das Arbeitsrecht und damit die Rechtsstaatlichkeit zu pflegen. Das tun Sie, indem Sie sich zum Beispiel über das Arbeitskampfrecht oder auch das Spannungsverhältnis von Privat- oder Tarifautonomie einerseits und Antidiskriminierungsrecht andererseits austauschen.
Es ist ein Fest für alle Angehörigen des Bundesarbeitsgerichts, dass Sie in unserem Haus tagen. Damit wird deutlich, dass das BAG ein offenes Haus ist, in dem pointiert diskutiert und konstruktiv gestritten wird. In diesem Haus haben Meinungsfreiheit, Meinungsaustausch, Meinungsvielfalt, gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz prominenten Platz.
Ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie alle da sind und dieses Zeichen im Bundesarbeitsgericht setzen.