Impressionen zum Festakt zur Amtseinführung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts am 28.06.2022

Pressemitteilung Nr. 23/22

Herr Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil (MdB) hat am 28. Juni 2022 zum Festakt anlässlich der Amtseinführung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Frau Inken Gallner, im Bundesarbeitsgericht eingeladen. Nach der Begrüßung durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts hielt der Bundesminister eine Festansprache. In musikalischer Umrahmung richteten außerdem der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen und die neue Präsidentin eine Ansprache und ein Grußwort an die Festgemeinde.

Der Festakt fand pandemiebedingt mit zeitlicher Verzögerung statt. Frau Inken Gallner wurde bereits am 24. Januar 2022 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts ernannt.

Erfurt, 28. Juni 2022

Rede der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Inken Gallner

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bin sehr glücklich darüber, dass ich seit dem 24. Januar 2022 die verantwortungsvolle, herausfordernde und schöne Aufgabe der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts versehe.

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

erlauben Sie mir gleich zu Beginn ein persönliches Wort. Ich halte es für alles andere als selbstverständlich, dass Sie an dem Vorschlag, die Stelle mit mir zu besetzen, über eine Bundestagswahl und einen Regierungswechsel hinweg festgehalten haben. Meinen großen Dank werde ich zum Schluss ausdrücken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

nach mehr als zwei zermürbenden Jahren der Pandemie freue ich mich außerordentlich darüber, dass wir zu diesem Festakt in großer Zahl in Anwesenheit zusammenkommen können.

Zweiteilung der Aufgaben

Das Amt der Präsidentin eines obersten Gerichtshofs des Bundes liegt auf einer Schnittstelle zwischen der Zweiten und der Dritten Gewalt.

Ich bin die Vorsitzende des unter anderem für den Arbeitskampf und das materielle Betriebsverfassungsrecht zuständigen Ersten Senats.

Zugleich stehe ich an der Spitze der Verwaltung dieses schönen Hauses.

Etwas pathetisch ausgedrückt: Ich trage seit vielen Jahren zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite bin ich Teil der Rechtsprechung, auf der anderen Seite schätze ich nach früheren administrativen Aufgaben die gestaltende Kraft der Verwaltung.

Die Aufgabe der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts gibt mir Raum, diese beiden Seiten zu verbinden.

Dank an das Haus

Ich habe das Glück, dass ich schon seit dem Jahr 2007 mit vielen Kolleginnen und Kollegen aller Aufgabenbereiche des Bundesarbeitsgerichts sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten darf.

In diesem Zusammenhang möchte ich einige Worte aus meinem Dank an das Haus nach meiner Ernennung wiederholen.

Unser Haus steht im Zeichen der Rechtsprechung. Diese Rechtsprechung liegt in den Händen der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts. Sie ist jedoch nur möglich, wenn wir alle in unseren verschiedenen Aufgabenbereichen arbeitsteilig zusammenwirken. Wir alle haben daran teil, für die Rechtsuchenden im Arbeitsrecht da zu sein.

Das Arbeitsrecht ist für viele Menschen existenziell wichtig. Das deutsche Arbeitsrecht betrifft mehr als 41 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine ungezählte Menge von Menschen, die Arbeit geben. Das Arbeitsrecht ist nach meinem Empfinden ein vielfältiges und buntes Rechtsgebiet voller Leben.

Ich bin allen Kolleginnen und Kollegen im Bundesarbeitsgericht außerordentlich dankbar dafür, dass wir in den verschiedenen Verantwortungsbereichen unseres Hauses darin zusammenwirken, das Arbeitsrecht auszulegen und weiterzuentwickeln.

Das Arbeitsrecht ist von sehr unterschiedlichen Interessen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite geprägt.

Umso wertvoller finde ich es, dass wir auf allen „Bänken des Arbeitsrechts“ zusammenwirken. Damit meine ich Berufsrichterinnen und
-richter, ehrenamtliche Richterinnen und Richter, Arbeitgebervertreterinnen und Arbeitgebervertreter, Gewerkschaftsvertreterinnen und Gewerkschaftsvertreter, Universitätslehrerinnen und -lehrer, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.

Ich bitte Sie, diese Reihung nicht protokollarisch zu verstehen. Sie ist völlig willkürlich.

Auf diesen unterschiedlichen „Bänken des Arbeitsrechts“ wird nicht immer mit dem Florett gefochten, sondern durchaus auch mit dem Säbel.
Das ist gut und richtig so. Die verschiedenen Interessen und mitunter auch Interessengegensätze müssen zur Sprache gebracht, in Verhandlungen, Beratungen und schließlich Entscheidungen aufgearbeitet werden.

Die Zusammenarbeit mit unseren ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern ist dabei ein unschätzbar wertvolles Gut für uns Berufsrichterinnen und Berufsrichter.

Unsere ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen machen für uns häufig erst sichtbar, welche Interessen der einen und der anderen Seite bestehen und welche Hintergründe für sie eine Rolle spielen.

Sprache ist Macht

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

eines der Hauptmittel bei der Bearbeitung von juristischen Fällen und damit Interessenkonflikten ist Sprache.

Sprache ist Macht.

Ich werbe dafür, dass wir in Verhandlungen, Beratungen und Entscheidungen einerseits klar, andererseits behutsam miteinander reden, sei es als Richterinnen und Richter, sei es als Prozessbevollmächtigte, sei es als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Vielleicht ist es nicht nötig, der anderen Partei oder den Kolleginnen und Kollegen der Vorinstanz vorzuwerfen, dass sie etwas rechtsfehlerhaft verkannt haben.

Ich frage mich, ob es vielleicht genügt zu sagen: „Ich stimme der Auffassung des Landesarbeitsgerichts oder der anderen Partei aus diesen oder jenen Gründen nicht zu.“ Es gibt sicher noch viele andere klare und zugleich rücksichtsvolle Formulierungen.

Mit diesem Appell betrete ich unwegsames Gelände, weil diese Formulierungsfragen im richterlichen Bereich zentraler Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit und bei Prozessbevollmächtigten Ausdruck ihrer Individualität sind.

Die konkrete Formulierung liegt selbstverständlich in der Verantwortung der Sprechenden.
Ich wage diesen Appell nur deshalb, weil Botschaften in Entscheidungen und Schriftsätzen aus meiner Sicht nie nur auf der Sach-, sondern auch auf der Beziehungsebene ankommen.

Wer nicht durch eine wirkliche oder vermeintliche Abwertung verletzt ist, wer nicht die Ohrfeige einer Kränkung hinnehmen muss, kann besser zuhören.

Sprache und Medien

Für alle Richterinnen und Richter stellen sich zunehmend auch Fragen der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und den Medien.
Ich begrüße an dieser Stelle sehr herzlich die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Für uns als Revisionsrichterinnen und Revisionsrichter ist es häufig nicht leicht, unsere Fachsprache in Entscheidungen für die Öffentlichkeitsarbeit in möglichst einfache Allgemeinsprache und kurze Sätze zu übersetzen.

Diesen Anspruch darf die Öffentlichkeit in der Medienarbeit jedoch haben. Wir stehen in diesem Austausch in einem ständigen Lernprozess.

Europa tut not

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

diese Übersetzungsarbeit wird noch schwieriger, wenn Fälle „europäisch verschränkt“ sind.

Besonders arbeitsintensiv sind zurzeit Revisionen und Rechtsbeschwerden, in denen Fragen des Rechts der Europäischen Union zu klären sind.

Diese Fälle treten zunehmend auf, weil das deutsche Arbeitsrecht in weiten Teilen unionsrechtlich überformt ist. In diesen Verfahren sind häufig Vorlagen an den Gerichtshof der Europäischen Union nötig.

Beispiele sind das Arbeitszeitrecht, das Urlaubsrecht, das Leiharbeitsrecht, das Befristungsrecht, das Betriebsübergangsrecht, das Massenentlassungsrecht, das Datenschutzrecht und Fragen der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen.

Ich halte diese mitunter mühevolle zweistufige Arbeit der Arbeitsgerichtsbarkeit durch Vorlagen an den EuGH und abschließende Entscheidungen für wichtig und wertvoll. Gleiches gilt für Entscheidungen, die europäisches Recht in das deutsche Recht „einpassen“, wenn es schon Positionen des EuGH gibt.

Die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit erfährt dadurch aus meiner Sicht keinen Bedeutungsverlust. Sie formt das europäische Recht gemeinsam mit dem EuGH aus und sorgt dafür, dass es im deutschen Recht angewandt wird.

Ich halte es für notwendig, die europäische Rechtsgemeinschaft zu schützen. Sie ist ein zerbrechliches Konstrukt, weil sie nicht die besonderen Bindungskräfte eines Nationalstaats erzeugt.

Aus meiner Sicht ist es weniger schädlich, eine Frage zu viel an den EuGH zu richten als eine Frage zu wenig.

Ein solcher Fall könnte z. B. auftreten, wenn der EuGH in den Sachen Coca-Cola European Partners Deutschland am 7. Juli 2022 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts befindet.

Es könnte sein, dass Tarifnormen, die für Nachtarbeitszuschläge zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit unterscheiden, kein Unionsrecht durchführen.

Dieser Befund wäre nicht schmerzlich für die vorlegenden Richter. Vielmehr wäre die Frage dann für alle Beteiligten geklärt.

Wie wichtig der Zusammenhalt in der Europäischen Union ist, wird im Augenblick besonders deutlich.

Ich erlaube mir, meine Worte aus dem 10. Europarechtlichen Symposion im Mai zu wiederholen. Sie sind zu meinem großen Bedauern noch immer aktuell:

Mitten in Europa herrscht Krieg.

Angesichts dieses unfassbaren Leids, Grauens und Sterbens steht für mich außer Frage:

Europa tut not.

Und mehr noch: Multilateraler Zusammenhalt tut mehr denn je not, ob nun in der Europäischen Union, im Europarat, in der Nato oder in den Vereinten Nationen, die durch das Vetorecht im Sicherheitsrat allerdings zum Teil blockiert sind.

Was können wir in der arbeitsrechtlichen Gemeinschaft tun, um den Zusammenhalt in den verschiedenen Rechtsordnungen zu fördern?
Wir können uns gerade in der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft verstehen und mit den Mitteln des Rechts versuchen, autoritäre Angriffe von innen und außen abzuwehren.

Das hilft den Menschen in der Ukraine im Augenblick nicht.

Das Zusammenstehen, das sich in der Rechtsgemeinschaft ausdrückt, ist jedoch eine mächtige zivile Verteidigungswaffe gegen Angriffe auf liberale Demokratien und Rechtsstaaten.

Frieden in Europa ist das Kodifikationsziel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Nach dem ersten Absatz ihrer Präambel sind die Völker Europas entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden.

Dank

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

ich danke Ihnen von Herzen dafür, dass ich die Aufgabe der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts übernehmen durfte.

In diesen großen Dank möchte ich einige Menschen einbeziehen:

  • meinen Mann Andreas Gallner,
  • meine langjährige Wegbegleiterin, Frau Ursula Locher-Keßler,
  • meinen verstorbenen Vorvorgänger im Amt, Herrn Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts a. D. Prof. Dr. Hellmut Wißmann,
  • Frau Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts a. D. Ingrid Schmidt,
  • Herrn Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Rüdiger Linck,
  • Herrn Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht a. D. Prof. Franz Josef Düwell,
  • Herrn Prof. Dr. Clemens Höpfner, an dessen Lehrstuhl ich seit 2016 tätig sein darf,
  • Frau Carmen Bielstein und Frau Claudia Koster stellvertretend für alle Damen und Herren, die mein Vorzimmer oder meine Geschäftsstelle in meinem bisherigen Berufsleben verantwortet haben,
  • stellvertretend für alle Mitglieder des Organisationsteams Frau Gajane Weigelt, Frau Petra Brauner und Frau Ulrike Emmeluth und alle Menschen im Bundesarbeitsgericht und auf allen „Bänken des Arbeitsrechts“, mit denen ich schon so lange sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten darf.

Sie alle haben meinen beruflichen und persönlichen Weg begleitet und geebnet.

Schließlich freue ich mich sehr, dass wir wieder das Duo Wollner genießen dürfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.