10 AZR 610/10

(Beitragsansprüche zur Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes - Zuordnung baulicher Haupt- und Nebenleistungen)

Details

  • Aktenzeichen

    10 AZR 610/10

  • Art

    Urteil

  • Datum

    14.03.2012

  • Senat

    10. Senat

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Juli 2010 – 8 Sa 883/09 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. März 2009 – 61 Ca 62092/08 – abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.968,00 Euro zu zahlen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über Sozialkassenbeitragsansprüche für die Monate Oktober und November 2005 in unstreitiger Höhe von 1.968,00 Euro. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob der Beklagte dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) unterfiel.

2

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und nach den allgemeinverbindlichen tariflichen Regelungen die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

3

Die Klägerin hat zunächst behauptet, der Beklagte habe als Einzelunternehmer im streitigen Zeitraum einen baugewerblichen Betrieb unterhalten, in dem die gewerblichen Arbeitnehmer während ihrer jeweiligen individuellen Beschäftigungszeit ausschließlich bauliche Arbeiten ausgeführt hätten. Nach einer aus Sicht der Klägerin unergiebigen Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat die Klägerin – unter Bezugnahme auf Aussagen zweier Zeugen vor dem Hauptzollamt Erfurt – behauptet: Der Beklagte sei mit seinem Einzelunternehmen gemeinsam mit der ebenfalls von ihm beherrschten H Bau GbR (im Folgenden: GbR) baulich tätig gewesen. Er habe seine Arbeitnehmer und die der GbR durch die Anweisungen der bei der GbR beschäftigten Zeugen je nach Erfordernis gemeinsam auf den Baustellen der GbR eingesetzt. Die Tätigkeiten aller Arbeitnehmer des Beklagten und der GbR hätten demselben arbeitstechnischen Zweck gedient, nämlich der Erledigung der Bauaufträge der GbR. Alle diese Arbeitnehmer einschließlich der zugezogenen Leiharbeitnehmer hätten auf den Baustellen der GbR zusammengearbeitet und zwar „Hand in Hand“ mit der Folge, dass bei dem Bauergebnis zum Schluss nicht mehr habe unterschieden werden können, wer was gemacht habe. Alle Arbeitskräfte seien von den Vorarbeitern der GbR beaufsichtigt worden.

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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.968,00 Euro zu zahlen.

5

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, seine Arbeitnehmer hätten Bauservice-Arbeiten wie Gerüstkehren, Baustellenreinigung und Materialtransport ausgeführt. Zu den im Berufungsverfahren erhobenen Behauptungen der Klägerin hat der Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe ungeprüft die am grünen Tisch gewonnenen Erkenntnisse des Hauptzollamts übernommen. Die so gewonnenen Feststellungen und Erkenntnisse seien äußerst fragwürdig. Es reiche nicht aus, auf irgendwelche Feststellungen irgendwelcher Behörden Bezug zu nehmen. Die Klägerin sei ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin nach Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter. Die zunächst erhobenen Auskunftsansprüche hat die Klägerin im Laufe des Revisionsverfahrens für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist begründet.

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I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 18 Abs. 1 VTV in der im Streitzeitraum geltenden Fassung einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Sozialkassenbeiträge. Der Beklagte unterfiel dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags.

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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen.

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a) Nebenarbeiten können dann baugewerblichen (Haupt-)Tätigkeiten zugeordnet werden, wenn sie zu einer sachgerechten Ausführung baulicher Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen (sog. Zusammenhangstätigkeiten; vgl. BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 722/10 – Rn. 12; 17. November 2010 – 10 AZR 215/10 – Rn. 10; 17. November 2010 – 10 AZR 845/09 – Rn. 20; 27. Oktober 2010 – 10 AZR 362/09 – Rn. 13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 328; 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 31, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 324; 28. April 2004 – 10 AZR 370/03 – zu II 1 b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264).

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aa) Voraussetzung für ein „Zusammenrechnen“ ist grundsätzlich ein Zusammenhang der Nebenarbeiten mit einer eigenen baulichen Haupttätigkeit (BAG 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 32, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 324; 20. März 2002 – 10 AZR 507/01 – zu II 2 der Gründe). Erbringt ein Betrieb ausschließlich Nebenarbeiten, ohne zugleich baugewerbliche Tätigkeiten und Arbeiten auszuführen, unterfällt er regelmäßig nicht dem VTV (BAG 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 32, aaO; 20. März 2002 – 10 AZR 507/01 – zu II 2 b ee der Gründe).

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bb) Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Juni 2010 (- 4 AZR 934/08 – Rn. 35, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 324) sind jedoch Nebenarbeiten wie der Transport von Baumaterialien, die Entsorgung von Bauschutt, das Einrichten, Reinigen und Aufräumen von Baustellen dazu bestimmt, eine sachgerechte Durchführung und Beendigung von Bauarbeiten zu gewährleisten. Sie können deshalb dann als bauliche Leistungen im Sinne des VTV gelten, wenn dem Arbeitgeber, der die Nebenarbeiten ausführt, die baulichen Hauptleistungen zugerechnet werden müssen. Das ist zB dann der Fall, wenn er die Hauptleistungen einem Subunternehmen anvertraut, sie beaufsichtigt und mit den von ihm selbst erbrachten Nebenleistungen koordiniert. Werden Neben- und Bauleistungen tatsächlich in einem engen organisatorischen Zusammenhang einheitlich geleitet, so kann durch eine „nur auf dem Papier stehende“, für die Arbeitspraxis aber folgenlose Trennung der Nebenarbeiten von den Hauptarbeiten die Anwendung des VTV nicht vermieden werden (BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 722/10 – Rn. 19).

13

cc) Dabei ist nicht entscheidend, welcher der mehreren zusammenwirkenden Unternehmer als „Subunternehmer“ anzusehen sein mag, wer wen mit welchen Tätigkeiten beauftragt hat und welche Abrechnungswege dabei gewählt werden. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob die Zusammenarbeit die Voraussetzungen erfüllt, die von der Rechtsprechung an das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (Gemeinschaftsbetrieb) gestellt werden. Maßgeblich ist, ob die baulichen Hauptleistungen und die Nebenleistungen tatsächlich unter einheitlicher Leitung im Wesentlichen so organisiert werden, wie das in einem Baubetrieb der Fall ist, in dem sie nicht getrennten Unternehmen zugewiesen sind. Diese Voraussetzung ist regelmäßig gegeben, wenn die Arbeitsanweisungen auf den Baustellen für die Bauleistungen und für die Nebenleistungen von ein und derselben Person oder von mehreren Personen koordiniert ausgeübt werden. Ist dies der Fall, spricht alles dafür, dass die sachgerechte Ausführung der baulichen Arbeit die Koordination der Bauleistungen und der Nebenleistungen erfordert (BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 722/10 – Rn. 20).

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b) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der ZVK (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 190/10 – Rn. 12, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 332; 25. April 2007 – 10 AZR 246/06 – Rn. 28, NZA-RR 2007, 528). Ihr Sachvortrag ist schlüssig, wenn sie Tatsachen vorträgt, die den Schluss rechtfertigen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 VTV zuordnen lassen, auch die Darlegung, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen (BAG 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 25, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 324; 28. April 2004 – 10 AZR 370/03 – zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264). Nicht erforderlich ist, dass die ZVK jede Einzelheit der behaupteten Tätigkeiten vorträgt. Dies kann sie in der Regel auch nicht, da sie in ihrer Funktion als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien regelmäßig keine näheren Einblicke in die dem Gegner bekannten Arbeitsabläufe hat und ihr eine Darlegung deshalb erschwert ist. Sie kann deshalb, wenn Anhaltspunkte für einen Baubetrieb vorliegen, auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen. Unzulässig ist dieses prozessuale Vorgehen erst dann, wenn die ZVK ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „ins Blaue hinein“ aufstellt. Dies kann in der Regel nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte angenommen werden oder wenn sie selbst nicht an die Richtigkeit ihrer Behauptungen glaubt (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 190/10 – Rn. 12, aaO; 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 25, aaO). Liegt ein entsprechender Tatsachenvortrag der ZVK vor, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Ihm obliegt regelmäßig die Last des substanziierten Bestreitens, weil die ZVK außerhalb des Geschehensablaufs steht und sie keine näheren Kenntnisse der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber sie kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind.

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2. Nach diesen Maßgaben unterfiel der Betrieb des Beklagten dem Geltungsbereich des VTV.

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a) Richtig ist allerdings, dass der Betrieb ohne Berücksichtigung der von der GbR erbrachten Bauleistungen nicht dem Geltungsbereich des VTV unterfiele. Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts, nach der von den Arbeitnehmern im Betrieb des Beklagten nicht überwiegend bauliche Hauptleistungen ausgeführt wurden, ist nicht zu beanstanden.

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b) Der Beklagte unterfiel jedoch deshalb dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, weil die gemeinsam unter einheitlicher Leitung von den Arbeitnehmern beider Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten Bauleistungen waren. Die Nebenarbeiten sind den baugewerblichen (Haupt-)Tätigkeiten zuzuordnen, weil sie zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig waren und deshalb mit ihnen im Zusammenhang standen. Das ergibt sich aus den zweitinstanzlich aufgestellten Behauptungen der Klägerin, die vom Beklagten nicht bestritten wurden und daher nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen sind.

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aa) Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010 unter Beweisantritt und ausführlicher Darstellung näherer Einzelheiten behauptet, auf den Baustellen, für die der Zeuge Le von der GbR als Polier eingesetzt worden sei, habe dieser alle Arbeitnehmer, also die der GbR und des Beklagten, eingesetzt, diese Arbeitnehmer hätten „Hand in Hand“ gearbeitet und generell seien alle Arbeitskräfte von Vorarbeitern der GbR beaufsichtigt und eingesetzt worden. Auch der Zeuge Li – Arbeitnehmer der GbR – habe auf den Baustellen allen, auch den Arbeitnehmern des Beklagten, die Arbeit zugeteilt und habe alle, auch die Arbeitnehmer des Beklagten, beaufsichtigt. Insgesamt hätten auf den Baustellen der GbR deren Arbeitnehmer mit den Arbeitnehmern des Beklagten „Hand in Hand“ und ohne Trennung zwischen Haupt- und Nebenarbeiten zusammen gearbeitet.

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bb) Der Beklagte hat diese Behauptungen der Klägerin nicht bestritten. Er hat lediglich die Art der Informationsgewinnung durch die Klägerin getadelt. Es sind jedoch keine rechtlichen Gesichtspunkte erkennbar, unter denen die Behauptungen der Klägerin unzureichend oder unbeachtlich sein könnten. Die Behauptungen sind nicht „ins Blaue hinein“ aufgestellt, sondern beruhen auf genauen und ins Einzelne gehenden Erklärungen von Arbeitnehmern der GbR gegenüber dem Hauptzollamt. Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin die Auskünfte des Hauptzollamts ungeprüft übernommen hat, sondern darauf, ob sie zutreffen. Letzteres hat der Beklagte nicht in Abrede gestellt.

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cc) Nach dem damit gemäß § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO unstreitigen Sachverhalt unterfiel der Betrieb des Beklagten deshalb dem Geltungsbereich des VTV, weil die baulichen Hauptleistungen und die Nebenleistungen von den Arbeitnehmern des Beklagten und der GbR tatsächlich unter einer einheitlichen Leitung erbracht wurden. Die von den Arbeitnehmern des Beklagten erbrachten Nebenleistungen sind nach den oben dargestellten Grundsätzen mit den Bauarbeiten zusammenzurechnen. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es komme nicht darauf an, ob die Arbeitnehmer des Beklagten aufgrund von Weisungen von Mitarbeitern der GbR tätig waren, verkürzt den Vortrag der Klägerin um seinen entscheidenden Gehalt, nämlich den Zweck der Weisungen. Dieser bestand darin, die gemeinsame Leitung und das Ineinandergreifen von Haupt- und Nebenarbeiten ungeachtet betrieblicher Zuordnungen der Arbeitnehmer zu gewährleisten.

21

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a ZPO.

        

    Mikosch    

        

    W. Reinfelder    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    W. Guthier    

        

    Petri