2 AZR 196/22 (A)

Kündigung wegen Kirchenaustritts - Benachteiligung wegen der Religion

Details

  • Aktenzeichen

    2 AZR 196/22 (A)

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2024:010224.B.2AZR196.22A.0

  • Art

    EuGH-Vorlage

  • Datum

    01.02.2024

  • Senat

    2. Senat

Tenor

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

1. Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), vereinbar,

wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht,

von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten

oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt,

wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören

und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?

2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen gelten gemäß der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Leitsatz

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

1. Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) (juris: EGRL 2000/78) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) (juris: EUGrundrCharta), vereinbar, wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt, wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?

2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen gelten gemäß der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion?

Entscheidungsgründe

A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen wegen eines Kirchenaustritts sowie damit verbundene Zahlungsansprüche.

2

Der beklagte Verein ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland, der sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihrer Familien in besonderen Lebenslagen widmet. Zu seinen Aufgaben gehört die Beratung von schwangeren Frauen. Für die Schwangerschaftsberatung gelten bei dem Beklagten Richtlinien, auf deren Einhaltung sich die Klägerin verpflichtet hat. Diese lauten auszugsweise:

        

„Der Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zum Ende ist ein Gebot Gottes. Auf dieser Grundlage leistet die Katholische Kirche Beratung und Hilfe … Diese Beratungstätigkeit gehört zum Selbstverständnis und zum eigenen Auftrag der Katholischen Kirche. … Der kirchliche Einsatz für den Schutz des ungeborenen Lebens und das Angebot zur Beratung und Hilfe für schwangere Frauen in Not- und Konfliktsituationen werden auch weiterhin aufrechterhalten. …

                 
        

§ 1     

Zielsetzung und Aufgaben

        

(1)     

Ziel der Beratung ist der Schutz des ungeborenen Kindes durch Unterstützung der Frau (und ihrer Familie) in allen Phasen der Schwangerschaft sowie nach der Geburt des Kindes.

        

(2)     

Die Beratung hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft sowie zur Annahme ihres Kindes zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen, insbesondere wenn sie sich in einer Not- und Konfliktlage befindet. …

                          
        

§ 12   

Kirchliche Anerkennung der Beratungsstellen

        

(1)     

Die katholischen Beratungsstellen bedürfen der kirchlichen Anerkennung. …

                          
                          
        

§ 13   

Verpflichtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

                 

Alle in den katholischen Beratungsstellen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichten sich schriftlich auf die Einhaltung dieser Richtlinien. Diese Erklärung (Anlage 1) ist zu den Personalakten zu nehmen. Die Nichteinhaltung dieser Richtlinien hat arbeitsrechtliche Konsequenzen.

                          
        

§ 15   

Inkrafttreten

        

(1)     

Diese Richtlinien werden zum 1.1.2001 in Kraft gesetzt.“

3

In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nur nach einer Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage durch eine anerkannte Beratungsstelle unter den Voraussetzungen der §§ 218, 219 StGB straflos. Aufgrund eines im Jahr 2002 an den Bischof von Limburg gerichteten päpstlichen Schreibens stellt der Beklagte – anders als andere Beratungsstellen in Deutschland – keine Beratungsscheine aus, die Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch sind.

4

Die Klägerin ist Mutter von fünf Kindern und bei dem Beklagten seit dem Jahr 2006 beschäftigt, zunächst als projektbezogene Beraterin in der Schwangerschaftsberatung. Vom 11. Juni 2013 bis zum 31. Mai 2019 befand sie sich in Elternzeit. Zuvor war sie bei dem Beklagten in der Schwangerschaftsberatung eingesetzt. Die Klägerin erklärte im Oktober 2013 vor einer kommunalen Behörde als der für sie zuständigen staatlichen Stelle den Austritt aus der katholischen Kirche.

5

Der Kirchenaustritt ist nach deutschem Recht eine zulässige Beendigung der staatlich registrierten Kirchenmitgliedschaft. Mit Wirksamwerden des Austritts entfallen für den staatlichen Teil des „Kirchenrechts“ sämtliche Pflichten, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zur verfassten Kirche beruhen. Eine zuvor bestehende Kirchensteuerpflicht der ausgetretenen Person endet mit Ablauf des Monats, in dem die Austrittserklärung wirksam geworden ist. Die kommunale Behörde benachrichtigt sowohl die Finanzverwaltung als auch die betroffene Kirche bzw. Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft über die Austrittserklärung. Von dieser erhält der Arbeitgeber der ausgetretenen Person nur deshalb Kenntnis, weil ihm die geänderten Besteuerungsmerkmale (Wegfall der Kirchensteuerpflicht) seines Arbeitnehmers von der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt werden.

6

Aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme ist die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ Bestandteil des Arbeitsverhältnisses. Diese lautet in der hier maßgeblichen Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015 (nachfolgend Grundordnung) auszugsweise:

        

„Artikel 1 Grundprinzipien des kirchlichen Dienstes

        

Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). …

                          
        

Artikel 4 Loyalitätsobliegenheiten

        

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. …

        

(2) Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.

        

(3) Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.

        

(4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. …

                          
        

Artikel 5 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

        

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.

        

(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten im Sinn des Art. 4 als schwerwiegend an:

        

1. Bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:

        

a)    

das öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass), …

        

2. Bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:

        

a)    

den Austritt aus der katholischen Kirche, …

        

(3) Liegt ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nach Absatz 2 vor, so hängt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von der Abwägung der Einzelfallumstände ab. Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwiegen. Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die pastoral, katechetisch, aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, schließt das Vorliegen eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nach Absatz 2 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in der Regel aus. Von einer Kündigung kann in diesen Fällen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. Gleiches gilt für den Austritt einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus der katholischen Kirche.“

7

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Elternzeit der Klägerin mit Schreiben vom 1. Juni 2019 außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2019. Zuvor hatte der Beklagte erfolglos versucht, die Klägerin zum Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Beklagte in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, die der katholischen Kirche und zwei Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten.

8

Beide Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Daneben hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Beklagten gegen seine erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe von 2.314,22 Euro sowie Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 1. Juni 2019 bis 31. Mai 2020 zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter.

B. Einschlägiges deutsches Recht

I. Verfassungsrecht und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

9

Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung:

        

„(1)   

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

        

 (2)   

Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

10

Art. 140 GG:

        

„Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“

11

Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (WRV):

        

„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“

12

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützen Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG auch die korporative Religionsfreiheit. Deren elementarer Bestandteil sei die Bestimmung der Eigenart des kirchlichen Dienstes (kirchliches Proprium). Seine Formulierung obliege allein den Kirchen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 101, BVerfGE 137, 273). Es umfasse alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienten. Bedienten sich die Kirchen oder ihre Einrichtungen der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, finde auf diese Arbeitsverhältnisse als Folge der Rechtswahl zwar das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Die Einbeziehung der Arbeitsverhältnisse unter anderem bei den kirchlichen Einrichtungen in das staatliche Arbeitsrecht hebe die Zugehörigkeit dieser Arbeitsverhältnisse zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche aber nicht auf (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 110, BVerfGE 137, 273). Die Kirchen könnten deshalb der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer Mitarbeiter zugrunde legen (BVerfG 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138). Bei Streitigkeiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen hätten die staatlichen Gerichte die Vorgaben der jeweiligen verfassten Kirche, insbesondere deren glaubensdefiniertes Selbstverständnis und die Eigenart des kirchlichen Dienstes als Maßstab zu beachten und diese ihren Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen, solange sie nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen stünden (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 118, BVerfGE 137, 273). Besondere Rechtsvorschriften, die Rechtsbeziehungen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen ausgestalten, bestehen im nationalen Recht – soweit hier von Interesse – nicht.

II. Gesetzliche Vorschriften

13

1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Art. 14, 15 des Gesetzes vom 22. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 414):

        

„§ 1 Ziel des Gesetzes

        

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

                          
        

§ 2 Anwendungsbereich

        

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

        

1. …   

        

2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,

        

…       

        
        

§ 3 Begriffsbestimmungen

        

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. …

        

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

        

…       

        
        

§ 7 Benachteiligungsverbot

        

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

        

…       

        
        

§ 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen

        

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

        

…       

        
        

§ 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung

        

…       

        
        

(2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“

14

2. § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, berichtigt S. 2909 und BGBl. 2003 I S. 738):

        

„§ 134 Gesetzliches Verbot

        

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

C. Unionsrecht

15

Nach Auffassung des Senats sind im Unionsrecht einschlägig:

        

•       

Art. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16; nachfolgend RL 2000/78/EG),

        

•       

Art. 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. EU C 202 vom 7. Juni 2016 S. 47, berichtigt ABl. EU C 400 vom 28. Oktober 2016 S. 1; nachfolgend AEUV) sowie

        

•       

Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. EU C 202 vom 7. Juni 2016 S. 389; nachfolgend Charta).

D. Erforderlichkeit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Erläuterung der Vorlagefragen

I. Zur ersten Vorlagefrage

16

1. Nach Auffassung des Senats wird die Klägerin durch die Kündigungen des Beklagten vom 1. Juni 2019 aus Gründen der Religion unmittelbar im Sinne von §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt. Dies entspricht einer unmittelbaren Diskriminierung wegen der Religion im Sinne von Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG.

17

a) Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unter anderem in Bezug auf Entlassungsbedingungen unzulässig. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist eine solche Entlassungsbedingung. Der Geltungsbereich der RL 2000/78/EG ist nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. c eröffnet.

18

b) Die Klägerin, die weder pastoral, katechetisch, aufgrund einer Missio canonica noch einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung tätig ist, wird wegen ihrer ursprünglichen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche durch die Kündigungen des Beklagten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG) und damit unmittelbar aus Gründen der Religion (§ 1 AGG) gegenüber anderen Beschäftigten benachteiligt.

19

aa) § 1 AGG nimmt mit dem Begriff „Religion“ den entsprechenden Begriff der RL 2000/78/EG auf. Zwar wird dieser in der Richtlinie selbst nicht definiert. Der Unionsgesetzgeber hat aber in Satz 2 des ersten Erwägungsgrundes der Richtlinie unter anderem auf die Grundrechte Bezug genommen, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachfolgend EMRK) gewährleistet sind. Hiervon ist auch Art. 9 EMRK erfasst. Danach hat jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, wobei dieses Recht nicht nur die Freiheit umfasst, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat zu bekennen, sondern auch die negative Religionsfreiheit (EGMR 25. Juni 2020 – 52484/18 – Rn. 43 f.; 6. April 2017 – 10138/11, 16687/11, 25359/11, 28919/11 – Rn. 77 ff.). So garantiert Art. 9 EMRK ebenso die Freiheit, einer Religion nicht anzugehören (EGMR 18. März 2011 – 30814/06 – Rn. 60). Eine gleichlautende Formulierung enthält Art. 10 Abs. 1 der Charta. Wie sich aus den Erläuterungen zur Charta (ABl. EU C 303 vom 14. Dezember 2017 S. 17) ergibt, entspricht das in Art. 10 Abs. 1 der Charta gewährleistete Recht dem durch Art. 9 EMRK garantierten; es hat nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses (vgl. EuGH 15. Juli 2021 – C-804/18 und C-341/19 – [WABE und MH Müller Handel] Rn. 48; 14. März 2017 – C-157/15 – [G4S Secure Solutions] Rn. 25 ff.). Hiervon dürfte daher das Recht umfasst sein, ein Mitgliedschaftsverhältnis zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft zu beenden.

20

bb) Der Beklagte beruft sich darauf, dass er – entsprechend den Vorgaben der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Grundordnung – Mitarbeitern, die – nach staatlichem Recht – aus der katholischen Kirche ausgetreten sind und dieser nicht erneut wieder beitreten, allein wegen des Kirchenaustritts kündigen dürfe. Die mit der durch diese Kündigung bewirkte Benachteiligung der Klägerin knüpft unmittelbar an die Ausübung ihrer negativen Religionsfreiheit an. Die Kündigung eines Beschäftigten, der nie zuvor Mitglied der katholischen Kirche war, kann nicht auf Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 4 der Grundordnung gestützt werden. Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung mit Personen, die ihre Mitgliedschaft zu anderen Religionsgemeinschaften beenden, und solchen, die ihnen nie angehört haben, erfolgt damit unmittelbar aus Gründen der Religion im Sinne der §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.

21

cc) Es liegt somit keine nur mittelbare Ungleichbehandlung der Klägerin wegen der Religion bzw. nur mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor. Der Beklagte differenziert nicht anhand von dem „Anschein nach neutrale[n] Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“, sondern unmittelbar und ausschließlich danach, ob ein Mitarbeiter nach staatlichem Recht sein Mitgliedschaftsverhältnis zur katholischen Kirche aufgegeben hat. Dabei ist für ihn auch nicht von Bedeutung, ob der Mitarbeiter nach seinem Austritt entsprechend der in Art. 4 Abs. 2 der Grundordnung formulierten Erwartung an nichtkatholische christliche Mitarbeiter die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achtet und dazu beiträgt, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen, bzw. ob er nach seinem Austritt entsprechend der in Art. 4 Abs. 3 der Grundordnung formulierten Erwartung an nichtchristliche Mitarbeiter bereit ist, die ihm übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.

2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

22

Es bedarf einer Beantwortung der ersten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend Gerichtshof), damit der Senat beurteilen kann, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin entweder nach § 9 oder nach § 8 AGG gerechtfertigt ist. Erst dann kann der Senat über die vorrangig zu entscheidende Frage der Unwirksamkeit der Kündigungen befinden.

23

a) Der Senat geht davon aus, dass keine weiteren gegen die Wirksamkeit der Kündigungen vom 1. Juni 2019 geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe vorliegen. Insbesondere vermag die nach Art. 5 Abs. 3 Satz 5 und 6 der Grundordnung für den kündigenden Arbeitgeber gebotene Einzelfallbetrachtung die Unwirksamkeit der Kündigungen nicht zu begründen. Diese Regelungen berechtigen nur den Arbeitgeber, von einer Kündigung im Einzelfall abzusehen. Dessen Entscheidung obliegt aber keiner darauf bezogenen gerichtlichen Kontrolle.

24

b) Damit ist für den Senat entscheidungserheblich, ob die durch die Kündigungen bewirkte unmittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche unter Berücksichtigung der Vorgaben des Unionsrechts gerechtfertigt sein kann.

25

aa) Nach nationalem Recht wären § 9 oder § 8 AGG unter Berücksichtigung der zuletzt ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszulegen. Nach dieser ist der Kirchenaustritt aus Sicht der katholischen Kirche weder mit deren Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien vereinbar (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – zu B II 4 c der Gründe, BVerfGE 70, 138).

26

bb) Allerdings setzt § 9 AGG Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 RL 2000/78/EG und § 8 AGG unter anderem deren Art. 4 Abs. 1 um (BT-Drs. 16/1780 S. 35). Beide Bestimmungen des nationalen Rechts sind daher, soweit möglich, unionsrechtskonform auszulegen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – [IR] Rn. 63 ff.; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 71 ff.).

27

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts billigt das Grundgesetz mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, auch die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Dieser gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht und führt bei einer Kollision in aller Regel zur Unanwendbarkeit des nationalen Rechts im konkreten Fall (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 und andere – [OMT-Programm] Rn. 118).

28

(2) Die RL 2000/78/EG konkretisiert in dem von ihr erfassten Bereich das zwischenzeitlich in Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot (EuGH 21. Oktober 2021 – C-824/19 – [Komisia za zashtita ot diskriminatsia] Rn. 32; 26. Januar 2021 – C-16/19 – [Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie] Rn. 33). Der Senat ist – entgegen vereinzelter Stimmen aus dem den Kirchen nahestehenden nationalen Schrifttum – der Auffassung, dass das Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs nicht seinerseits in Deutschland unanwendbar ist. Es beruht weder auf einem Akt ultra vires noch berührt es die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu die ausführliche Begründung BAG 20. Februar 2019 – 2 AZR 746/14 – Rn. 48 ff.).

29

cc) Ob ein Verständnis von § 9 AGG dahingehend in Betracht kommt, dass die Obliegenheit, während eines Beschäftigungsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Religionsgemeinschaft auszutreten bzw. dieser nach erfolgtem Austritt wieder beizutreten, eine gerechtfertigte Loyalitätsanforderung sein kann, wenn gleichzeitig Personen beschäftigt werden, bei denen die Beendigung ihrer Mitgliedschaft zu einer anderen Religionsgemeinschaft oder ihr völliges Fernbleiben von einer solchen sanktionslos bleibt, hängt deshalb davon ab, ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 21 der Charta ein solches Verständnis erlaubt. Dies ist nach dem Richtlinienwortlaut zumindest zweifelhaft. Einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt hierzu – soweit ersichtlich – bislang nicht vor. Sollte § 9 AGG unter Berücksichtigung des Unionsrechts die Ungleichbehandlung der Klägerin wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche nicht rechtfertigen können, käme es darauf an, ob Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG ein entsprechendes Verständnis von § 8 AGG zulässt.

30

dd) Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Beklagten um eine private Organisation handelt, deren Ethos im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 RL 2000/78/EG auf religiösen Grundsätzen beruht. Dies folgt schon aus dem durch die Satzung des Beklagten abgesicherten Einfluss des Bischofs der Diözese Limburg.

31

ee) Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch eine gerechtfertigte berufliche Anforderung einerseits (Unterabs. 1) und Loyalitätsanforderungen andererseits (Unterabs. 2).

32

(1) Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG nennt unter anderem die Religion als mögliche gerechtfertigte berufliche Anforderung. Dies umfasst zumindest dem Wortlaut nach die Anforderung, nicht aus einer bestimmten Religionsgemeinschaft auszutreten bzw. dieser erneut beizutreten. Zudem kann nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG die Religion oder Weltanschauung einer Person nur nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellen (vgl. dazu auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger]).

33

(a) Im vorliegenden Fall macht der Beklagte die bei ihm auszuübenden Tätigkeiten nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten verfassten Kirche oder Religionsgemeinschaft abhängig. Er verlangt nicht, dass die Beschäftigten der katholischen Kirche angehören müssen. Die Mitarbeiter dürfen – entsprechend den Vorgaben der Grundordnung – nur nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten sein. Sofern ein solcher Austritt nicht erfolgt ist, können sie im Übrigen keiner oder einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören und aus dieser austreten.

34

(b) Allerdings hält es der Senat nicht für ausgeschlossen, dass nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG mit Blick auf die von Art. 17 AEUV und Art. 10 Abs. 1 der Charta geschützte Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht (vgl. dazu EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50), über seinen Wortlaut hinaus nicht nur das Innehaben einer bestimmten Religion, sondern auch der Umstand, nicht aus einer bestimmten Religionsgemeinschaft ausgetreten zu sein bzw. das Verlangen, dieser erneut beizutreten, eine gerechtfertigte berufliche Anforderung sein kann. Nach Art. 3 Abs. 4 der Grundordnung ist für keinen Dienst in der Kirche geeignet, wer aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Der Kirchenaustritt gehört nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – zu B II 4 c der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die erste Vorlagefrage betrifft daher die Frage, ob der nach staatlichem Recht erklärte Austritt eines Arbeitnehmers aus der katholischen Kirche ohne Hinzutreten von weiteren Umständen zur Ungeeignetheit der betreffenden Person für den Dienst bei einem der Kirche zugeordneten Arbeitgeber führt.

35

(c) Die Klägerin hat im Verlauf des Rechtsstreits behauptet, sie sei aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil die Diözese Limburg – zusätzlich zur staatlichen Kirchensteuer – ein besonderes Kirchgeld von Personen erhebe, die – wie die Klägerin – mit einem gut verdienenden Ehepartner in einer „glaubensverschiedenen Ehe“ leben. Der Beklagte hat vorgetragen, er habe aufgrund des Austritts aus der katholischen Kirche kein Vertrauen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit den ethischen Vorgaben des Beklagten Rechnung trägt und sich an die Lehre der katholischen Kirche noch gebunden fühlt. Durch den Austritt habe sie nach außen zu erkennen gegeben, sie wolle mit der katholischen Kirche nichts mehr zu tun haben.

36

(d) Nach Ansicht des Senats kann allein die nach staatlichem Recht vollzogene Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche die in der Kündigung eines ehemals katholischen Beschäftigten liegende Ungleichbehandlung wegen der Religion nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG nicht rechtfertigen. Zwar kann die Nichteinhaltung der ethisch-religiösen Vorgaben eines der Kirche zugeordneten Arbeitgebers einen Eignungsmangel des Arbeitnehmers begründen. Für eine solche Annahme ist aber der Austritt für sich genommen keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Die Motive für die Beendigung der Mitgliedschaft müssen – wie bei dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin – nicht auf ethisch-religiösen Gründen beruhen, sondern können auch aus dem privaten Bereich herrühren, der einer Beurteilung durch den Arbeitgeber entzogen ist. Deshalb fehlt es an jeglicher tatsächlichen Grundlage für die Annahme, dass der Arbeitnehmer allein aufgrund seiner Austrittserklärung nicht wie bisher den für ihn geltenden beruflichen Anforderungen genügen wird. Dies gilt gleichermaßen für die Behauptung des Arbeitgebers, er habe aufgrund der bloßen Beendigung der Mitgliedschaft das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung seines Arbeitnehmers verloren. Vielmehr muss der Arbeitgeber Vortrag halten, wonach aufgrund nachprüfbarer Tatsachen Zweifel daran bestehen, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines geänderten Glaubens oder ethischen Vorstellungen nicht mehr bereit oder in der Lage ist, den entsprechenden beruflichen Anforderungen seines Arbeitgebers zu genügen. Folgte man hingegen der Sichtweise des Beklagten (Rn. 35), wäre die Nachprüfung der behaupteten entfallenden Eignung des Arbeitnehmers einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen. Dies gilt umso mehr, als sich die Beschäftigten in der Beratungsstelle nach § 13 der Richtlinien des Beklagten (Rn. 2) arbeitsvertraglich zu deren Einhaltung verpflichten mussten.

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(2) Ebenso kann die Beendigung der staatlichen Mitgliedschaft in einer Kirche ohne Hinzutreten von besonderen Umständen eine durch eine Kündigung bewirkte Ungleichbehandlung nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG nicht rechtfertigen.

38

(a) Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG enthält gegenüber Unterabs. 1 dieser Vorschrift die ergänzende Angabe, dass zu den beruflichen Anforderungen, die eine Kirche oder eine andere öffentliche oder private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, die Anforderung gehört, dass sich diese Personen loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Kirche oder Organisation verhalten. Wie sich insbesondere aus dem Satzteil „[s]ofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden“ ergibt, muss diese Befugnis jedoch unter Beachtung der übrigen Bestimmungen der RL 2000/78/EG und insbesondere der in ihrem Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 genannten Kriterien ausgeübt werden, die gegebenenfalls einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen können müssen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – [IR] Rn. 46). Insofern ist eine etwaige Rechtfertigung der unmittelbaren Diskriminierung anhand der vom Gerichtshof in den Urteilen vom 17. April 2018 (- C-414/16 – [Egenberger]) und 11. September 2018 (- C-68/17 – [IR]) aufgestellten Kriterien zu prüfen.

39

(b) Nach Auffassung des Senats ist eine nach staatlichem Recht vollzogene Beendigung der Mitgliedschaft in einer verfassten Kirche für sich allein genommen kein illoyales Verhalten eines Arbeitnehmers. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu einem der katholischen Kirche zugeordneten Arbeitgeber steht. Beschäftigt der Arbeitgeber Angehörige anderer christlicher Religionen oder Weltanschauungen oder Nichtchristen, besteht für einen der katholischen Kirche angehörenden Arbeitnehmer keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis, die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche beizubehalten. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der sich aus dem kanonischen Recht ergebenden Pflicht, die Gemeinschaft der Kirche zu wahren (Canon [Can.] 209 § 1 Codex Iuris Canonici [CIC]). Durch die Grundordnung könnte eine solche arbeitsvertragliche Verpflichtung nur wirksam begründet werden, wenn sie durch die beruflichen Anforderungen im Einzelfall gerechtfertigt wäre. Ansonsten würde sie zu einer gegenüber den nichtchristlichen Arbeitnehmern zusätzlichen Pflichtenstellung führen, für die grundsätzlich keine berufsbezogenen Gründe bestehen. Ebenso führt die nach dem Recht der katholischen Kirche bestehende Pflicht zur Erbringung eines finanziellen Beitrags zur Aufgabenerfüllung der Kirchen (Can. 222 § 1 iVm. Can. 1263 CIC, Bl. 354 der Vorakten) nicht dazu, dass ein katholischer Arbeitnehmer seine kirchenrechtliche Mitgliedschaft als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dauerhaft beibehalten müsste. Eine nur für katholische Arbeitnehmer bestehende finanzielle Beitragsleistung für die Aufgaben der katholischen Kirche kann auch ein dieser Kirche zugeordneter Arbeitgeber nicht verlangen.

40

(c) Hinzu kommt, dass die Erklärung über die Beendigung der Mitgliedschaft in der katholischen Kirche vor einer staatlichen Stelle erfolgt. Von ihr erhalten nach nationalem Recht nur die betroffene Kirche und der Arbeitgeber Kenntnis. Letzterer nur, damit dieser die zutreffenden Besteuerungsmerkmale berücksichtigt und die Vergütung sowie die darauf entfallenden Abzüge zutreffend berechnet. Eine darüber hinausgehende Publizität ist mit der Beendigung der Mitgliedschaft nicht verbunden. Nur wenn der Austritt öffentlichkeitswirksam und in unangemessener Weise vom Arbeitnehmer verbreitet würde, könnte hierin ein kirchenfeindliches und damit ein illoyales Verhalten liegen, dass – wie bei anderen Arbeitnehmern – nach Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 der Grundordnung zu einer auf verhaltensbedingte Gründe gestützten Kündigung führen kann.

41

(d) Unabhängig davon könnte der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG eine Differenzierung zwischen einem loyalen und aufrichtigen Verhalten im Sinne des Ethos der Kirche oder Organisation und einem loyalen und aufrichtigen Verhalten gegenüber der Organisation als Arbeitgeber zulassen. So kann sich ein Arbeitnehmer durch die Beendigung seiner Mitgliedschaft zwar illoyal gegenüber der Kirche verhalten haben, was aber nicht zwangsläufig ein illoyales Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber darstellen könnte, dessen Ethos er bei seiner Arbeit beachten muss.

42

(e) Durch das Urteil des Gerichtshofs vom 11. September 2018 (- C-68/17 – [IR]) ist die vom Senat erbetene Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG nicht obsolet. Es betrifft nicht die vorliegende Konstellation, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangt, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus der Kirche auszutreten bzw. dieser nach erfolgtem Austritt wieder beizutreten. Entscheidungserheblich war vielmehr eine kirchenrechtlich unzulässige Eingehung einer zweiten Zivilehe. Hierfür könnten allerdings aufgrund der etwaig einschlägigen Unterscheidung zwischen loyalem Verhalten gegenüber der Kirche und loyalem Verhalten im Sinne des Ethos der Kirche andere Maßstäbe gelten.

43

ff) Nach Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG kann eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, gerechtfertigt sein, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Die Eignungsanforderung, nicht aus einer bestimmten Religionsgemeinschaft ausgetreten zu sein, könnte ein solches mit der Religion „zusammenhängendes Merkmal“ sein (zur Abgrenzung vom Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, vgl. EuGH 21. Oktober 2021 – C-824/19 – [Komisia za zashtita ot diskriminatsia] Rn. 44; 7. November 2019 – C-396/18 – [Cafaro] Rn. 59). Die Frage, ob eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sowie ein rechtmäßiger Zweck und eine angemessene Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG vorliegen, wäre aber dem Wortlaut der Bestimmung nach, anders als nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG, nicht mit Blick auf das „Ethos der Organisation“ zu beantworten. Dagegen spräche auch, dass der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG auf eine Anforderung verweist, die sich nicht auf subjektive Erwägungen des Arbeitgebers erstreckt, sondern die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist (EuGH 14. März 2017 – C-188/15 – [Bougnaoui und ADDH] Rn. 40). Für eine Tätigkeit in der Schwangerschaftsberatung ist es indes nicht objektiv erforderlich, nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten zu sein. Es erscheint jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, das Ethos einer auf religiösen Grundsätzen beruhenden Organisation als eine hinreichend von bloß subjektiven Erwägungen abgrenzbare objektive Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG anzusehen, wobei dann auch die obige Differenzierung zwischen Ethos und Selbstverständnis zu berücksichtigen wäre. In diesem Zusammenhang könnte die von Art. 17 AEUV und Art. 10 Abs. 1 der Charta geschützte Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zu berücksichtigen sein (zu Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG vgl. EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50). Allerdings ist Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG, soweit er es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, im Licht ihres 23. Erwägungsgrundes, der auf „sehr [begrenzte] Bedingungen“ Bezug nimmt, unter denen eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann, eng auszulegen (EuGH 21. Oktober 2021 – C-824/19 – [Komisia za zashtita ot diskriminatsia] Rn. 45; 15. Juli 2021 – C-795/19 – [Tartu Vangla] Rn. 33).

II. Zur zweiten Vorlagefrage

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Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, stellt sich die Frage, welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen an eine Rechtfertigung der hier in Rede stehenden Ungleichbehandlung wegen der Religion gelten. Da der Senat ohne die mit der ersten Vorlagefrage erbetene Auslegung durch den Gerichtshof nicht beurteilen kann, ob eine Rechtfertigung nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 RL 2000/78/EG oder Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta in Betracht kommt, ist unklar, ob und gegebenenfalls welche weiteren Voraussetzungen für eine Rechtfertigung vorliegen müssen.

        

    Koch    

        

    Schlünder    

        

    Niemann    

        

        

        

    K. Schierle    

        

    Söller