2 AZR 371/22

Luftverkehrsbetrieb - Inlandsbezug - Massenentlassung

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 01.06.2023, 2 AZR 150/22.

Details

  • Aktenzeichen

    2 AZR 371/22

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2023:141223.U.2AZR371.22.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    14.12.2023

  • Senat

    2. Senat

Tenor

1. Auf die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2022 – 3 Sa 368/21 – aufgehoben, soweit es den Kündigungsschutzanträgen des Klägers gegen beide Beklagte stattgegeben hat.

2. Im Umfang der Aufhebung werden die Berufungen des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. März 2021 – 10 Ca 5924/20 – und das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. Mai 2021 – 5 Ca 5896/20 – zurückgewiesen.

3. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2022 – 3 Sa 368/21 – wird zurückgewiesen.

4. Der Kläger hat die Kosten des Revisions- und Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom 1. Juni 2023 (- 2 AZR 150/22 -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. betreffend die Kündigungsschutzanträge des Klägers sind begründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufungen des Klägers die diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidungen zu Unrecht abgeändert und den Klagen insoweit stattgegeben. Die Kündigungen beider Beklagten sind vielmehr wirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie seien mangels Bestimmtheit unwirksam, erweist sich als rechtsfehlerhaft, weshalb das Berufungsurteil insoweit aufzuheben ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da der Senat aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit der Frage eines Betriebsübergangs selbst in der Sache entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Abweisung des auf einen Betriebsübergang abzielenden Feststellungsantrags des Klägers erweist sich hingegen als rechtsfehlerfrei.

3

I. Die deutschen Gerichte sind international zuständig (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 19 f.).

4

II. Auf die Arbeitsverhältnisse des Klägers mit beiden Beklagten fand deutsches Recht Anwendung (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 21 ff.).

5

III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 10. September 2020 ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

6

1. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des Klägers und des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 25 ff.).

7

2. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in Deutschland stillgelegt.

8

a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 KSchG im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt wurden. Der Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland ist dabei nicht allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in Düsseldorf zu beziehen. Auch deren in Stuttgart stationierte Flugzeuge sind in den Blick zu nehmen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 32 ff.).

9

b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom April 2019 ursprünglich die Geltung österreichischen Rechts vereinbart hatte (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 38).

10

c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in Deutschland – auch unter Berücksichtigung der am Flughafen Stuttgart stationierten Flugzeuge – vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 39 ff.).

11

d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl. BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – Rn. 91, BAGE 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 45 ff.).

12

e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 54 ff.).

13

3. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 58 ff.).

14

IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

15

1. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 74).

16

2. Sie bedurfte keiner sozialen Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG absolviert hat (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 76 ff.).

17

3. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG als unwirksam oder nichtig (vgl. BAG 1. Juni 2023 – 2 AZR 150/22 – Rn. 86).

18

V. Da der Kläger den Antrag auf Feststellung, dass sein mit der Beklagten zu 1. bestehendes Arbeitsverhältnis ab dem 1. November 2020 mit der Beklagten zu 2. fortbesteht, ausdrücklich als sein „vordringliches Klageziel“ bezeichnet hat, war über ihn als Hauptantrag zu entscheiden. Der auf einen Betriebsübergang abzielende Feststellungsantrag ist aber unbegründet, da ein Betriebsübergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. nicht erfolgt ist (vgl. oben Rn. 11).

19

VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Cl. Peter    

        

    T. Prinz