5 AZR 22/23

Arbeit auf Abruf - Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit


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Details

  • Aktenzeichen

    5 AZR 22/23

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2023:181023.U.5AZR22.23.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    18.10.2023

  • Senat

    5. Senat

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. November 2022 – 6 Sa 200/22 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Leitsatz

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs und – im Wege der Feststellungsklage – über die für ihr Arbeitsverhältnis ab dem Jahr 2020 maßgebliche Arbeitszeit.

2

Die Klägerin ist seit Juli 2009 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Mitarbeiterin auf Abruf beschäftigt. Ihr Stundenlohn betrug im Streitzeitraum zunächst 15,59 Euro brutto, ab August 2021 15,74 Euro brutto.

3

Der von der Klägerin mit der P GmbH geschlossene Arbeitsvertrag vom 20. Juli 2009 lautet auszugsweise:

        

„1.     

Frau A wird zum 22.07.2009 als Mitarbeiterin auf Abruf eingestellt.

        

 2.     

Die Tätigkeit umfasst die Bereiche Einlage/Verpackung/Post.

        

 3.     

Die Erbringung der Arbeitsleistung erfolgt auf Abruf. Dabei wird die Lage der Arbeitszeit jeweils mindestens 4 Kalendertage im voraus mitgeteilt.

                 

Die Arbeitsleistung ist auch ohne Einhaltung der Ansagefrist zu erbringen, soweit die Mitarbeiterin im Einzelfall hierauf verzichtet hat.

        

 4.     

Die Vergütung ist abhängig von der Dauer des jeweiligen Arbeitseinsatzes und erfolgt nach Tariflohngruppe II mit € 13,28 brutto pro Stunde.

        

 5.     

…     

                 

Das Arbeitsverhältnis unterliegt im übrigen den geltenden Betriebsvereinbarungen sowie den Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Druckindustrie in der jeweils geltenden Fassung.“

4

Das Arbeitsverhältnis ging zum 1. Januar 2014 auf die Beklagte über. In deren Betrieb wurde bis Ende 2019 auch samstags gearbeitet, wobei es dazu in mehreren von der Beklagten mit ihrem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarungen heißt:

        

„1.     

        

 Die Produktion der Objekte am Samstag fällt nicht in die wöchentliche Regelarbeitszeit.

        

 2.     

        

 Der Samstag bleibt grundsätzlich freiwillig. Durch die Ablehnung der Samstagsarbeit dürfen den Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern keinerlei Nachteile entstehen.“

5

Im Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2019 zog die Beklagte die Klägerin nach Bedarf in unterschiedlichem Umfang zur Arbeit heran. Nachdem seit Januar 2020 die Samstagsarbeit entfallen war, verringerte sich der Umfang des Abrufs der Arbeitsleistung der Klägerin.

6

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer am 13. Januar 2021 anhängig gemachten und mehrfach erweiterten Klage Vergütung wegen Annahmeverzugs – zuletzt für die Monate August, September, November und Dezember 2020 sowie Juli und August 2021 – geltend gemacht und die Feststellung einer bestimmten, ab dem Jahr 2020 ihrer Auffassung nach für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit verlangt. Dazu hat sie im Wesentlichen vorgebracht, unter Einschluss der Arbeit an Samstagen habe sie in den Jahren 2017 bis 2019 durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich gearbeitet. Diese Zeit sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung als nunmehr vereinbarte Arbeitszeit anzusehen. Die Beklagte habe deshalb unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs für die Monate, in denen ihre Arbeitsleistung nicht im Umfang von 103,2 Monatsstunden abgerufen wurde, entsprechende Differenzvergütung zu zahlen.

7

Nachdem das Arbeitsgericht der Klägerin – rechtskräftig – 202,66 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen hatte, hat sie zuletzt sinngemäß beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin weitere 1.862,41 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter betragsmäßiger und zeitlicher Staffelung zu zahlen;

        

2.    

festzustellen, dass die von der Klägerin als Abrufkraft Helferin Einlage ab dem Jahr 2020 zu erbringende regelmäßige monatliche Arbeitszeit 103,2 Stunden,

                 

hilfsweise im Januar 113,76 Stunden, im Februar 79,8 Stunden, im März 99,93 Stunden, im April 94,93 Stunden, im Mai 102,17 Stunden, im Juni 92,8 Stunden, im Juli 105,43 Stunden, im August 101,78 Stunden, im September 119,7 Stunden, im Oktober 125,3 Stunden, im November 110,33 Stunden und im Dezember 92,13 Stunden,

                 

beträgt.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, mangels anderslautender Festlegung der Parteien gelte nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Angesichts der gesetzlichen Fiktion scheide eine ergänzende Vertragsauslegung aus. Zudem sei das Abstellen auf den Abruf der Arbeitsleistung in den Jahren 2017 bis 2019 willkürlich, auch dürfe die freiwillige Samstagsarbeit bei der Berechnung einer durchschnittlichen Arbeitszeit nicht berücksichtigt werden.

9

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass die von der Klägerin zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden beträgt und auf dieser Basis dem Zahlungsantrag teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der von ihm zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihren weitergehenden Anträgen fest, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision begehrt.

10

Im Laufe des Revisionsverfahrens hat – wie die Parteien in der Revisionsverhandlung übereinstimmend mitteilten – die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen Betriebsstilllegung ordentlich zum 31. Dezember 2023 gekündigt und die Klägerin ab dem 1. August 2023 von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das die Klage im Übrigen abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass im Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gilt. Eine allein auf die tatsächlichen Verhältnisse in einem willkürlich gegriffenen Zeitraum nach Beginn des Arbeitsverhältnisses abstellende ergänzende Vertragsauslegung kommt nicht in Betracht. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs wegen eines die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG nicht unterschreitenden, aber den Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 nicht erreichenden Abrufs der Arbeitsleistung der Klägerin scheidet daher aus.

12

I. Die Klage ist insgesamt zulässig.

13

Dabei kann dahinstehen, ob nach der im Laufe des Revisionsverfahrens von der Beklagten wegen Betriebsstilllegung erklärten, von der Klägerin nach ihrer Mitteilung in der Revisionsverhandlung nicht angegriffenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie der bereits erfolgten Freistellung der Klägerin von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung noch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung besteht. Denn das Feststellungsinteresse ist echte Prozessvoraussetzung nur für das stattgebende Urteil (BAG 6. April 2022 – 5 AZR 325/21 – Rn. 33; 23. März 2016 – 5 AZR 758/13 – Rn. 18, BAGE 154, 337).

14

II. Die Leistungsklage ist im noch anhängigen Umfang unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, dass der Klägerin insoweit ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2 BGB) nicht zusteht.

15

1. Der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung scheitert nicht schon an einem fehlenden Angebot der Klägerin, mehr Arbeitsleistung erbringen zu wollen, als die Beklagte im Streitzeitraum abgerufen hat.

16

a) Nach § 293 BGB kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers genügt, wenn der Arbeitgeber ihm zuvor erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder er sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Lediglich für den Fall der unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung davon aus, ein Angebot der Arbeitsleistung sei regelmäßig nach § 296 BGB entbehrlich. Darüber hinaus kann ein Angebot der Arbeitsleistung ausnahmsweise nicht erforderlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt (st. Rspr., vgl. aus letzter Zeit BAG 10. August 2022 – 5 AZR 154/22 – Rn. 15; 1. Juni 2022 – 5 AZR 28/22 – Rn. 16; 18. September 2019 – 5 AZR 240/18 – Rn. 19, BAGE 168, 25, jeweils mwN).

17

b) Diese allgemeinen Grundsätze zum Annahmeverzug des Arbeitgebers gelten uneingeschränkt auch in Arbeitsverhältnissen, bei denen Arbeit auf Abruf vereinbart ist (offengelassen in BAG 24. September 2014 – 5 AZR 1024/12 – Rn. 18, BAGE 149, 138). Danach war ein über den jeweiligen Abruf der Arbeitsleistung hinausgehendes und auf durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich gerichtetes Angebot der Arbeitsleistung nicht erforderlich. Denn die Beklagte hat sich in Reaktion auf die vorprozessuale Geltendmachung darauf berufen, es sei allenfalls eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden vereinbart. Damit war offenkundig, dass die Beklagte an der von ihr geübten Praxis festhalten würde und ein über den tatsächlichen Abruf hinausgehendes Angebot an Arbeitsleistung mangels Bedarf nicht angenommen hätte.

18

2. In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich grundsätzlich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit, denn diese bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 1024/12 – Rn. 17, BAGE 149, 138). Danach konnte die Beklagte nicht in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang in Annahmeverzug geraten, weil im Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 1. Januar 2019 nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von (nur) 20 Wochenstunden als vereinbart galt.

19

a) Obwohl § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG – wie zuvor schon § 4 Abs. 1 Halbs. 1 BeschFG 1985 – vorschreibt, dass bei der Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festgelegt werden muss, haben die Klägerin und die Rechtsvorgängerin der Beklagten dies bei Abschluss des Arbeitsvertrags im Jahr 2009 unterlassen und eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht vereinbart.

20

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten würde allerdings für § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG auch eine konkludente Vereinbarung genügen (hM, vgl. etwa ErfK/Preis 23. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 16; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 43 Rn. 8, 9; HWK/Rennpferdt 10. Aufl. § 12 TzBfG Rn. 6; MHH/TzBfG 6. Aufl. § 12 Rn. 36; Sievers TzBfG 7. Aufl. § 12 Rn. 15; aA MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 13; HK-TzBfG/Boecken 6. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 4, 17; Uffmann/Kredig NZA 2020, 137, 139 f.; BeckOK ArbR/Bayreuther Stand 1. September 2023 TzBfG § 12 Rn. 8a; Bayreuther NZA 2022, 951, 952). Soweit dagegen vorgebracht wird, „die Schutzregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG (mache) deutlich, dass eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefordert (sei)“ (HK-TzBfG/Boecken aaO Rn. 4), zudem verlangten das berechtigte Bedürfnis des Arbeitnehmers nach Planungssicherheit sowie das Bestimmtheitsgebot des § 307 Abs. 1 BGB eine ausdrückliche Regelung (BeckOK ArbR/Bayreuther aaO), vermag dies nicht zu überzeugen. Damit wird nicht genügend berücksichtigt, dass in der Rechtsgeschäftslehre ausdrückliche und konkludente Willenserklärungen grundsätzlich gleichgestellt sind (MüKoBGB/Armbrüster 9. Aufl. Vor § 116 Rn. 7; Staudinger/Singer (2021) Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 58, jeweils mwN). Daher können Willenserklärungen, soweit keine Form vorgeschrieben ist, stets auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden (BGH 10. November 1983 – VII ZR 175/82 – zu 2 der Gründe; Erman/Arnold BGB 17. Aufl. Vor § 116 Rn. 7). Im Interesse der Rechtssicherheit können allerdings im Einzelfall strenge Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten zu stellen sein (BGH 16. September 2021 – IX ZR 213/20 – Rn. 12 mwN). Hiervon ausgehend kommt auch eine konkludente Einigung über eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit bei vereinbarter Abrufarbeit in Betracht. § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG verlangt keine bestimmte Form. Den im Schrifttum angesprochenen Bedenken ist bei der Auslegung der maßgeblichen Begleitumstände, aus denen im konkreten Fall auf eine konkludente Einigung geschlossen wird, Rechnung zu tragen (dazu allgemein MüKoBGB/Armbrüster aaO; BeckOK BGB/Wendtland Stand 1. August 2023 § 133 Rn. 8). Auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm kommt daher eine teleologische Reduktion des § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG dahin, dass nur ausdrückliche Vereinbarungen wirksam sind (so Uffmann/Kredig NZA 2020, 137, 140), nicht in Betracht.

21

bb) Nach diesen Grundsätzen ist eine Festlegung der Dauer der Arbeitszeit durch konkludente Vereinbarung nicht erfolgt. Für eine bei Vertragsschluss konkludent getroffene Vereinbarung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit, zumal einer solchen von durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich, fehlt nach dem Sachvortrag der Klägerin jeglicher Anhaltspunkt.

22

b) Die Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit soll verhindern, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht zur Arbeitsleistung heranzieht (BAG 7. Dezember 2005 – 5 AZR 535/04 – Rn. 29, BAGE 116, 267 unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zu dem durch § 12 TzBfG abgelösten § 4 BeschFG 1985, BT-Drs. 10/3206 S. 30). Doch führt die fehlende Festlegung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 1024/12 – Rn. 24, BAGE 149, 138, allgA). Vielmehr gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG seit dem 1. Januar 2019 eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (zur Anwendung der Neufassung des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG auch auf vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene Abrufarbeitsverhältnisse vgl. nur Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 43 Rn. 6; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 13).

23

c) Eine über die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG hinausgehende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit ergibt sich im Streitfall entgegen der Auffassung der Revision nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.

24

aa) Die ergänzende Vertragsauslegung setzt zwingend eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus (ganz hM, vgl. nur BGH 20. Juni 2023 – XI ZR 116/22 – Rn. 14 mwN; BAG 21. Juli 2021 – 5 AZR 10/21 – Rn. 32; 23. Februar 2021 – 5 AZR 314/20 – Rn. 29), die grundsätzlich von Anfang an bestanden haben muss oder im Laufe des Vertragsverhältnisses entstanden sein kann (BAG 18. November 2015 – 5 AZR 751/13 – Rn. 29; BGH 26. Juni 2014 – III ZR 299/13 – Rn. 13; sh. zum Ganzen auch MüKoBGB/Busche 9. Aufl. § 157 Rn. 38 ff.; Staudinger/Roth (2020) § 157 Rn. 15 ff.; BRHP/Wendtland 5. Aufl. BGB § 157 Rn. 35 ff.; Soergel/Riesenhuber BGB 14. Aufl. § 157 Rn. 14 ff.; Grüneberg/Ellenberger BGB 82. Aufl. § 157 Rn. 2 ff., jeweils mwN). Jedoch scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, wenn die Regelungslücke durch Heranziehung des dispositiven Gesetzesrechts sachgerecht geschlossen werden kann (BGH 20. Juni 2023 – XI ZR 116/22 – Rn. 15 mwN). Nur wenn feststeht, dass die Parteien nach ihrem mutmaßlichen Willen die gesetzliche Regelung nicht wollten und ohne die Vervollständigung der Abreden eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht (vgl. BGH 4. Mai 2022 – XII ZR 64/21 – Rn. 27, BGHZ 233, 266; 20. Februar 2019 – VIII ZR 7/18 – Rn. 47, BGHZ 221, 145; 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 – Rn. 23, jeweils mwN, st. Rspr.; ebenso etwa Staudinger/Roth aaO Rn. 15; BRHP/Wendtland aaO Rn. 39; MüKoBGB/Busche aaO Rn. 46; Grüneberg/Ellenberger aaO Rn. 6). Für diese ist maßgeblich, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten (st. Rspr., vgl. aus neuerer Zeit BAG 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22 – Rn. 27; 9. Mai 2023 – 3 AZR 174/22 – Rn. 50; 28. April 2021 – 4 AZR 230/20 – Rn. 72; 24. September 2019 – 9 AZR 273/18 – Rn. 28, BAGE 168, 54; 18. November 2015 – 5 AZR 751/13 – Rn. 29; BGH 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 – Rn. 30).

25

bb) Nach diesen Grundsätzen kommt bei Arbeit auf Abruf eine Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann in Betracht, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG, die gerade die durch den Verstoß der Arbeitsvertragsparteien gegen § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG entstandene Regelungslücke schließen soll, im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart (zur Bestimmung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf durch ergänzende Vertragsauslegung vgl. auch – allerdings meist ohne nähere Begründung – ErfK/Preis 23. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 16; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 43 Rn. 8, 9; Arnold/Gräfl/Arnold TzBfG 5. Aufl. § 12 Rn. 56; Laux/Schlachter TzBfG 2. Aufl. § 12 Rn. 49; Sievers TzBfG 7. Aufl. § 12 Rn. 21; Bayreuther NZA 2022, 951, 953; Böttcher Der Null-Stunden-Vertrag S. 99 ff.; wohl auch MHdB ArbR/Schüren 5. Aufl. Bd. 1 § 45 Rn. 20; im Ergebnis ähnlich BeckOK ArbR/Bayreuther Stand 1. September 2023 TzBfG § 12 Rn. 8b; zweifelnd MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 13; MHH/TzBfG 6. Aufl. § 12 Rn. 36b; aA HK-TzBfG/Boecken 6. Aufl. TzBfG § 12 Rn. 22; Uffmann/Kredig NZA 2020, 137, 141). Für eine solche Annahme hat die Klägerin jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen. Allein das Abrufverhalten der Beklagten in den weit nach Vertragsbeginn liegenden Jahren 2017 bis 2019 lässt einen Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten bei Vertragsschluss nicht zu.

26

cc) Wird wie im Streitfall die durch den Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG entstandene anfängliche Regelungslücke mit dem Beginn des Abrufarbeitsverhältnisses durch die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschlossen, gilt fortan kraft Gesetzes eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Eine nachträgliche Regelungslücke kann deshalb nicht mehr entstehen. Dementsprechend hat der Senat bei einer Vertragsgestaltung, bei der ohne Festlegung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit eine „Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen“ vereinbart war und der Arbeitnehmer in unterschiedlichem Umfang zur Arbeitsleistung herangezogen wurde, die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG angewendet (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 1024/12 – Rn. 24, BAGE 149, 138).

27

(1) Dies steht nicht in Widerspruch zu der von der Revision angezogenen Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2005 (- 5 AZR 535/04 – BAGE 116, 267). Diese betrifft eine andere Fallgestaltung. Dort hatten die Parteien eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden und darüber hinaus eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, auf Aufforderung des Arbeitgebers mehr als 30 Wochenstunden zu arbeiten, vereinbart. Damit war für die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG kein Raum. Weil eine solche Arbeitszeitvereinbarung – also eine Kombination aus fester Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit und einem darüber hinausgehenden flexiblen Anteil auf Abruf des Arbeitgebers – im damals zu entscheidenden Fall der AGB-Kontrolle nicht standhielt, hat der Senat die dadurch hinsichtlich des flexiblen Anteils der wöchentlichen Arbeitszeit entstandene Vertragslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen und angenommen, die zusätzlich zur fest vereinbarten (Mindest-)Arbeitszeit einseitig vom Arbeitgeber abrufbare Arbeit des Arbeitnehmers dürfe nicht mehr als 25 % der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit betragen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1. Januar 2019 in § 12 Abs. 2 TzBfG kodifiziert (vgl. Regierungsbegründung BT-Drs. 19/3452 S. 20).

28

(2) Ob – was die Revision offenbar in Zweifel ziehen will – § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG den Anforderungen des zum 1. August 2022 umzusetzenden Art. 11 Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union genügt, bedarf vorliegend keiner Klärung. Die danach von den Mitgliedstaaten zur Unterbindung missbräuchlicher Praktiken bei Abrufverträgen zu ergreifenden Maßnahmen betreffen erst die Zeit ab dem 1. August 2022. Deshalb kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob der nationale Gesetzgeber mit § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG bereits seit längerem eine Maßnahme zur wirksamen Verhinderung missbräuchlicher Praktiken bei der Arbeit auf Abruf im Sinne des nunmehrigen Unionsrechts getroffen hat. Jedenfalls sollte mit der Erhöhung der fingierten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit von zehn auf 20 Stunden nach der Regierungsbegründung ein wirksamer Anreiz gesetzt werden, tatsächlich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festzulegen (BT-Drs. 19/3452 S. 20).

29

3. Wird die anfängliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschlossen, können die Arbeitsvertragsparteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dies ist indes vorliegend nicht erfolgt.

30

a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass dem Abrufverhalten der Beklagten in den Jahren 2017 bis 2019 eine ausdrückliche Vereinbarung über eine höhere als in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG vorgesehene Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht zugrunde lag.

31

b) Auch an einer konkludenten Vereinbarung einer von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichenden Dauer der Arbeitszeit fehlt es. Die Klägerin hatte sich zwar in den Vorinstanzen auf eine solche berufen, daran in der Revision aber nicht mehr festgehalten und ausgeführt, die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Parteien hätten eine konkludente Vereinbarung zu einer höheren als der in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG fingierten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht getroffen, sei „zutreffend“. Dem ist in der Tat so. Für eine entsprechende konkludente Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien reicht das bloße Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, zudem lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus. Das Abrufverhalten der Beklagten in den Jahren 2017 bis 2019 basiert – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat – lediglich auf dem in diesem Zeitraum bestehenden Beschäftigungsbedarf. Als bloß tatsächlichem Verhalten kommt dem Abruf der Arbeitsleistung ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, der Arbeitgeber wolle sich für die Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, nicht zu (vgl. BAG 22. April 2009 – 5 AZR 133/08 – Rn. 13; 26. September 2012 – 10 AZR 336/11 – Rn. 14; LAG Hamm 20. April 2021 – 17 Sa 1203/20 – Rn. 98; aA BeckOK ArbR/Bayreuther Stand 1. September 2023 TzBfG § 12 Rn. 8b, der meint, bei einer „länger andauernden Mehrarbeit“ lasse sich „vertreten, dass der Arbeitnehmer von der Anordnung der Arbeit auf einen entsprechenden Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte“), zumal § 12 Abs. 2 TzBfG grundsätzlich die Möglichkeit vorsieht, den auf Abruf tätigen Arbeitnehmer in gewissem Umfang über eine festgelegte Mindestarbeitszeit hinaus heranzuziehen. Ebenso wenig rechtfertigt allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, der Arbeitnehmer wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.

32

III. Weil sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG bemisst, sind auch die Feststellungsanträge der Klägerin jedenfalls unbegründet. Die Parteien haben zu keinem Zeitpunkt eine Arbeitszeit von durchschnittlich 103,2 Monatsstunden oder eine solche im Umfang der im Hilfsantrag für die einzelnen Kalendermonate eines Jahres aufgeführten Stunden vereinbart.

33

IV. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Linck    

        

    Bubach    

        

    Biebl    

        

        

        

    Jungbluth    

        

    Mattausch