7 ABR 24/20

Betriebsratswahl - Anfechtung - Nichtigkeit - fehlerhafte Wählerliste

Details

  • Aktenzeichen

    7 ABR 24/20

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2021:300621.B.7ABR24.20.0

  • Art

    Beschluss

  • Datum

    30.06.2021

  • Senat

    7. Senat

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 24. Juni 2020 – 4 TaBV 12/19 – unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen – teilweise aufgehoben, soweit das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, dass die am 5. und 6. April 2018 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist. Zur Klarstellung wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts insgesamt neu gefasst:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 13. März 2019 – 3 BV 51/18 – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen – teilweise abgeändert, soweit das Arbeitsgericht den Antrag, die Betriebsratswahl vom 5. und 6. April 2018 für unwirksam zu erklären, abgewiesen hat.

Die Betriebsratswahl vom 5. und 6. April 2018 wird für unwirksam erklärt.

Entscheidungsgründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer am 5. und 6. April 2018 durchgeführten Betriebsratswahl.

2

Die zu 1. beteiligte Arbeitgeberin produziert und vertreibt Feinkostlebensmittel. Zur Zeit der Betriebsratswahl unterhielt sie drei Standorte. Die Produktion befand sich in B. Der Geschäftssitz und ein Verkaufsraum waren in E angesiedelt. Logistik und Verwaltung waren südlich von E in der Gemeinde A ansässig. Ob es sich bei den Standorten um selbstständige Betriebe oder Betriebsteile handelte, war zwischen den Beteiligten streitig.

3

Mit Beschluss vom 23. Januar 2017 bestellte der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat einen aus drei Mitgliedern bestehenden Wahlvorstand für die Durchführung der Betriebsratswahl. Ein von dem Wahlvorstand eingeleitetes Beschlussverfahren endete am 17. November 2017 mit einem vom Arbeitsgericht nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich, in dem sich die Arbeitgeberin verpflichtete, dem Wahlvorstand eine Liste mit allen „im Betriebsteil E“ beschäftigten Arbeitnehmern unter Angabe der Familien- und Vornamen, Geburts- und Eintrittsdaten sowie des Geschlechts zu übergeben. Der Wahlvorstand forderte die Arbeitgeberin auf, ihm auch Informationen über die am Standort A beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erteilen, um eine vollständige Wählerliste erstellen zu können. Dieser Aufforderung kam die Arbeitgeberin nicht nach. Der Wahlvorstand erstellte die Wählerliste für die Betriebsratswahl daraufhin unter Zuhilfenahme eines Telefonverzeichnisses.

4

Am 28. Februar 2018 wurde das Wahlausschreiben für die auf den 5. und 6. April 2018 anberaumte Betriebsratswahl durch Aushang bekanntgemacht. Danach war ein aus fünf Mitgliedern bestehender Betriebsrat zu wählen. Bestandteil des Wahlausschreibens war die Wählerliste. Auf ihr waren vier Arbeitnehmer als wahlberechtigt aufgeführt, deren Arbeitsverhältnisse am 28. Februar 2018 bzw. am 31. März 2018 und damit vor der Wahl endeten. Ferner befand sich eine Person auf der Wählerliste, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin stand, sondern in einem Arbeitsverhältnis zu einem Dienstleister der Arbeitgeberin. Auf der Wählerliste fehlten vier wahlberechtigte Arbeitnehmer sowie zwei wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen. Die Wählerliste enthielt nur in Bezug auf einen Teil der aufgeführten Personen Angaben zur Betriebszugehörigkeit.

5

Aus der am 5. und 6. April 2018 durchgeführten Wahl ist der zu 2. beteiligte Betriebsrat hervorgegangen. Das Wahlergebnis wurde am 6. April 2018 bekanntgegeben. Nach der Wahlniederschrift entfielen auf H B 26 Stimmen, auf A H 20 Stimmen, auf N L 17 Stimmen, auf S W 14 Stimmen, auf A K 13 Stimmen, auf H S 5 Stimmen, auf C E 18 Stimmen und auf I S 15 Stimmen.

6

Mit ihrem am 10. April 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin geltend gemacht, die durchgeführte Betriebsratswahl sei nichtig, zumindest jedoch anfechtbar. Der Betriebsbegriff sei bei der Wahl verkannt worden. Zudem beruhe die Wahl auf einer unzutreffenden Wählerliste. Der Wahlvorstand habe nicht lediglich eine inhaltlich falsche Wählerliste, sondern eine „Fantasieliste“ erstellt. Die darauf basierende Wahl genüge nicht den Mindestanforderungen an eine demokratische Wahl.

7

Die Arbeitgeberin hat – soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse – beantragt,

        

die am 5. und 6. April 2018 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.

8

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Arbeitgeberin könne sich nicht auf mögliche Fehler der Wählerliste berufen, da sie ihrer Pflicht zur Informationserteilung an den Wahlvorstand nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Außerdem verhalte sich die Arbeitgeberin widersprüchlich, wenn sie einerseits behaupte, die am Standort A beschäftigten Arbeitnehmer seien nicht wahlberechtigt gewesen und andererseits meine, dass sechs Arbeitnehmer von diesem Standort zu Unrecht nicht auf der Wählerliste vermerkt seien. Das Fehlen von sechs Arbeitnehmern auf der Wählerliste falle bei mehr als 60 Wahlberechtigten nicht ins Gewicht. Jedenfalls sei die Betriebsratswahl allenfalls anfechtbar, aber nicht nichtig.

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Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen und darüber hinaus auf Antrag eines zwischenzeitlich eingesetzten Wahlvorstands festgestellt, dass die von der Arbeitgeberin unterhaltenen Betriebsstätten in B, E sowie A eine betriebsratsfähige Organisationseinheit bilden. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin, mit der sich diese gegen die Abweisung ihres Antrags gewandt hatte, hat das Landesarbeitsgericht den erstinstanzlichen Beschluss teilweise abgeändert und die Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 5. und 6. April 2018 festgestellt. Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Rechtsbeschwerde. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist teilweise begründet.

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I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist durch die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ordnungsgemäß iSd. § 94 Abs. 1, § 11 Abs. 4 ArbGG eingelegt und begründet worden. Dabei bedarf es keiner Aufklärung, ob der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluss über die Bevollmächtigung seiner Verfahrensbevollmächtigten für die Einlegung der Rechtsbeschwerde getroffen hat. Die Verfahrensvollmacht nach § 81 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG berechtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln (BAG 20. Januar 2021 – 7 ABR 3/20 – Rn. 9 mwN).

13

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin folgt aus der Entscheidung des Senats vom 18. März 2015 (- 7 ABR 4/13 -) nichts anderes. Dort hat der Senat zwar angenommen, es bedürfe eines Beschlusses des Betriebsrats nicht nur vor der erstmaligen Beauftragung eines Rechtsanwalts, sondern grundsätzlich auch vor der Einlegung eines Rechtsmittels im Namen des Betriebsrats (BAG 18. März 2015 – 7 ABR 4/13 – Rn. 12). Dies bezieht sich jedoch nur auf die Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten der anwaltlichen Tätigkeit nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen. Der Senat hat zugleich darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel auch ohne Beschluss des Betriebsrats bei Bestehen einer zuvor erteilten Verfahrensvollmacht wirksam eingelegt sein kann (BAG 18. März 2015 – 7 ABR 4/13 – aaO).

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Es bestand für den Senat kein Anlass, die ordnungsgemäße Erteilung der Verfahrensvollmacht näher aufzuklären. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hatten sich erstinstanzlich gegenüber dem Arbeitsgericht für den Betriebsrat bestellt und ihre Vollmacht anwaltlich versichert. Die ordnungsgemäße Erteilung der Anwaltsvollmacht ist nach dem auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 88 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur auf Rüge eines Verfahrensbeteiligten zu prüfen. Eine solche Rüge hat die Arbeitgeberin nicht erhoben.

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2. Der Betriebsrat ist rechtsbeschwerdebefugt.

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a) Die Rechtsmittelbefugnis im Beschlussverfahren folgt der Beteiligungsbefugnis. Rechtsbeschwerdebefugt ist nur, wer nach § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren beteiligt ist (BAG 19. Dezember 2018 – 7 ABR 79/16 – Rn. 17; 20. Juni 2018 – 7 ABR 48/16 – Rn. 12; 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – Rn. 19 mwN, BAGE 141, 110). Das ist eine Person oder Stelle, die durch die zu erwartende Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen wird. Die Beteiligtenbefugnis ist vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens – auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz – von Amts wegen zu prüfen und zu berücksichtigen (vgl. BAG 28. April 2021 – 7 ABR 20/20 – Rn. 9; 23. Juli 2014 – 7 ABR 23/12 – Rn. 13; 9. Juli 2013 – 1 ABR 17/12 – Rn. 11).

17

b) Ist das Amt eines an einem Beschlussverfahren beteiligten Betriebsrats erloschen, ohne dass ein neuer Betriebsrat gewählt wurde, endet damit dessen Beteiligtenfähigkeit (vgl. BAG 19. Dezember 2018 – 7 ABR 79/16 – Rn. 19; 26. Mai 2009 – 1 ABR 12/08 – Rn. 13). Ein unstreitiger Verlust der Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrats führt grundsätzlich zur Unzulässigkeit eines von ihm eingelegten Rechtsmittels (vgl. BAG 18. März 2015 – 7 ABR 42/12 – Rn. 12; 27. August 1996 – 3 ABR 21/95 – zu II 2 b der Gründe). Fehlt die Rechtsmittelbefugnis, ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen (BAG 19. Dezember 2018 – 7 ABR 79/16 – aaO; 8. November 2011 – 1 ABR 42/10 – Rn. 12). Ist die Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrats streitig, wird sie hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels unterstellt. Es entspricht einem allgemeinen prozessualen Grundsatz, dass eine Partei, deren Parteifähigkeit oder gar rechtliche Existenz überhaupt im Streit steht, wirksam ein Rechtsmittel mit dem Ziel einlegen kann, hierüber eine Sachentscheidung zu erlangen (BAG 19. Dezember 2018 – 7 ABR 79/16 – Rn. 20 mwN).

18

c) Danach ist der Betriebsrat rechtsbeschwerdebefugt.

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aa) Der Rechtsbeschwerdebefugnis des Betriebsrats steht nicht entgegen, dass aufgrund der behaupteten Nichtigkeit der Wahl Streit über seine rechtliche Existenz besteht. Insoweit ist er als beteiligtenfähig anzusehen.

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bb) Sonstige Gründe, die zur Beendigung des Amts des Betriebsrats geführt haben könnten, liegen nicht vor.

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(1) Das Amt des Betriebsrats als Gremium endet, wenn alle Betriebsratsmitglieder – etwa durch Niederlegung des Betriebsratsamts (§ 24 Nr. 2 BetrVG), Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 24 Nr. 3 BetrVG), Verlust der Wählbarkeit (§ 24 Nr. 4 BetrVG) oder Ausschluss aus dem Betriebsrat (§ 24 Nr. 5 BetrVG) – aus ihrem Amt ausgeschieden und keine Ersatzmitglieder mehr vorhanden sind. Mit dem Amtsverlust des letzten Mitglieds ist die Amtszeit des Betriebsrats beendet und der Betrieb wird betriebsratslos. Eine Weiterführung der Geschäfte kommt hier anders als im Falle des Rücktritts des gesamten Betriebsrats nicht in Betracht (st. Rspr., vgl. BAG 24. Oktober 2001 – 7 ABR 20/00 – zu B II 2 a ff der Gründe mwN, BAGE 99, 208). Einem nicht (mehr) existenten Gremium kommen keine betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen (mehr) zu (BAG 25. Februar 2020 – 1 ABR 40/18 – Rn. 11 unter Bezugnahme auf BAG 24. Oktober 2018 – 7 ABR 1/17 – Rn. 10).

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(2) Danach hat das Amt des Betriebsrats – ungeachtet der streitigen Nichtigkeit der Wahl – nicht geendet. Ausweislich der vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Wahlniederschrift haben bei der Wahl acht Arbeitnehmer Stimmen erhalten. Demzufolge gab es neben den fünf gewählten Betriebsratsmitgliedern drei Ersatzmitglieder. Es ist nicht ersichtlich, dass alle Betriebsratsmitglieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden und keine Ersatzmitglieder mehr vorhanden sind. Selbst wenn entsprechend dem Vortrag der Arbeitgeberin in der Rechtsbeschwerde mit Ausnahme von Frau L alle Mitglieder des Betriebsrats entweder ihr Amt niedergelegt hätten oder ihre Arbeitsverhältnisse beendet waren, hätte dies nicht zur Beendigung des Amts des Betriebsrats geführt. Zwar ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG ein neuer Betriebsrat zu wählen, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist. In diesem Fall führt aber nach § 22 BetrVG der Betriebsrat die Geschäfte bis zur Neuwahl des Betriebsrats weiter. Die Elternzeit der Frau L hatte entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht das Erlöschen ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat zur Folge. Die Elternzeit führt nicht zu einem Ausscheiden aus dem Betriebsrat. Sie stellt weder eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses iSd. § 24 Nr. 3 BetrVG dar, noch zieht sie den Verlust der Wählbarkeit iSv. § 24 Nr. 4 iVm. § 8 Abs. 1 BetrVG nach sich (BAG 25. Mai 2005 – 7 ABR 45/04 – zu B I 2 a der Gründe; Fitting BetrVG 30. Aufl. § 8 Rn. 16; DKW/Homburg 17. Aufl. § 8 Rn. 22). Ein Betriebsratsmitglied ist während der Elternzeit grundsätzlich nicht an der Ausübung seines Betriebsratsamts iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zeitweilig verhindert (BAG 25. Mai 2005 – 7 ABR 45/04 – zu B I 2 c der Gründe; Oetker GK-BetrVG 11. Aufl. § 25 Rn. 21). Auch der von der Arbeitgeberin in der Anhörung vor dem Senat behauptete – vom Landesarbeitsgericht jedoch nicht festgestellte – Umstand, der Betriebsrat habe mit Schreiben vom 10. Juli 2018 erklärt, seinen Rücktritt beschlossen zu haben, hat nicht die Beendigung der Amtszeit des Betriebsrats zur Folge. Nach § 22 BetrVG führt der Betriebsrat im Falle seines Rücktritts gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist. Die Geschäftsführungsbefugnis besteht auch dann fort, wenn nach dem Erlöschen der Mitgliedschaft der anderen Mitglieder nur noch ein Betriebsratsmitglied im Amt ist (vgl. BAG 19. November 2003 – 7 AZR 11/03 – zu I 3 der Gründe, BAGE 109, 1; Fitting BetrVG 30. Aufl. § 22 Rn. 8).

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II. Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht auf die Beschwerde der Arbeitgeberin festgestellt, dass die Betriebsratswahl nichtig ist. Die Wahl ist lediglich anfechtbar. Deshalb ist die Betriebsratswahl vom 5. und 6. April 2018 für unwirksam zu erklären.

24

1. Die Betriebsratswahl ist nicht nichtig.

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a) Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin trotz seines als Gestaltungsantrag iSd. § 19 BetrVG formulierten Wortlauts zu Recht dahin ausgelegt, dass in erster Linie die Nichtigkeit der Betriebsratswahl festgestellt und hilfsweise die Wahl angefochten werden soll. Dies steht in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der ein Antrag, die Wahl für unwirksam zu erklären, in der Regel dahin auszulegen ist, dass er auch die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl umfassen soll (vgl. BAG 10. Juni 1983 – 6 ABR 50/82 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 44, 57; 24. Januar 1964 – 1 ABR 14/63 – zu II 1 der Gründe, BAGE 15, 235; Thüsing in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 19 Rn. 92; Fitting BetrVG 30. Aufl. § 19 Rn. 9, ua. unter Bezugnahme auf BAG 28. April 1964 – 1 ABR 1/64 – zu B 1 der Gründe, BAGE 16, 1, wo allerdings beantragt worden war, die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl festzustellen; aA wohl LAG Berlin-Brandenburg 25. Juli 2017 – 11 TaBV 826/17 – zu II 3 der Gründe: Nichtigkeitsfeststellung wäre Fall des § 308 Abs. 1 ZPO). Ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt – etwa auch in Fällen, in denen ein gewähltes Betriebsratsmitglied die Wahl anficht – festzuhalten ist, bedarf keiner Entscheidung. Das Rechtsschutzziel der Arbeitgeberin ergibt sich vorliegend aus der Antragsbegründung. Die Arbeitgeberin hatte bereits in der Antragsschrift geltend gemacht, bei der Wahl seien Fehler unterlaufen, die geeignet seien, die Nichtigkeit der Wahl zu begründen. Diese Rechtsauffassung hat sie während des gesamten Verfahrens aufrechterhalten.

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b) In dieser Auslegung ist der Antrag auch insoweit zulässig, als die Nichtigkeit der Wahl festgestellt werden soll. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Nichtigkeit der Betriebsratswahl zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden kann (vgl. Fitting BetrVG 30. Aufl. § 19 Rn. 9; DKW/Homburg 17. Aufl. § 19 Rn. 46; Kreutz GK-BetrVG 11. Aufl. § 19 Rn. 157; Thüsing in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 19 Rn. 91). Die Arbeitgeberin hat auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung iSd. § 256 Abs. 1 ZPO, da nur auf diese Weise umfassend geklärt werden kann, ob der Betriebsrat nach der Wahl wirksam Rechtshandlungen vornehmen konnte.

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c) Der Nichtigkeitsfeststellungsantrag ist jedoch unbegründet. Die Wahl ist nicht nichtig.

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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Betriebsratswahl nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden und krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln, so dass ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (st. Rspr. vgl. BAG 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 15, BAGE 144, 290; 21. September 2011 – 7 ABR 54/10 – Rn. 26 mwN, BAGE 139, 197; ebenso zur Nichtigkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer BAG 15. Mai 2019 – 7 ABR 35/17 – Rn. 27).

29

Die Würdigung durch das Landesarbeitsgericht, ob eine Betriebsratswahl nichtig ist, unterliegt – wie auch sonst bei unbestimmten Rechtsbegriffen – nur einer eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Prüfung darauf, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Gesichtspunkte übersehen worden sind (BAG 21. Juli 2004 – 7 ABR 57/03 – zu B II 1 b aa der Gründe; Kreutz GK-BetrVG 11. Aufl. § 19 Rn. 157).

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bb) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung auch bei Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs nicht stand.

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(1) Das Landesarbeitsgericht stützt seine Entscheidung darauf, der Wahlvorstand habe die Wählerliste anhand unzureichender Informationen erstellt und auch keine Überprüfung auf Aktualität und Plausibilität der Daten vorgenommen. Er habe ein Telefonverzeichnis, dessen Urheberschaft unklar und dessen Inhalt ungeprüft gewesen sei, zur Grundlage für die Wählerliste gemacht. Das im Hinblick auf die Arbeitnehmer am Standort A verwendete Telefonverzeichnis habe schon auf den ersten Blick keine geeigneten Informationen enthalten. Bei der Aufnahme der Personen in die Wählerliste sei die aktive und passive Wahlberechtigung nicht geprüft worden. Der Wahlvorstand habe auch davon abgesehen, insoweit sein Recht aus § 2 Abs. 2 WO auf Informationserteilung seitens der Arbeitgeberin im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen, obschon er sich der Möglichkeit der Erlangung von Rechtsschutz bewusst gewesen sei, wie das mit Vergleich beendete Verfahren in Bezug auf die am Standort E beschäftigten Arbeitnehmer zeige. Die Wählerliste sei daher willkürlich erstellt worden.

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(2) Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbegriffe des groben Verstoßes gegen wesentliche Wahlrechtsgrundsätze und der Offenkundigkeit des Wahlfehlers verkannt; überdies ist die Würdigung in sich widersprüchlich.

33

(a) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Annahme, das Zustandekommen der fehlerhaften Wählerliste führe zur Nichtigkeit der Wahl, den Rechtsbegriff des groben Verstoßes gegen wesentliche Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl verkannt. Ein grober Verstoß liegt nur dann vor, wenn er so schwerwiegend ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Das kann der Fall sein, wenn entgegen § 2 WO keine Wählerliste aufgestellt und kein Wahlausschreiben erlassen wurde (vgl. BAG 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 – zu 4 der Gründe, allerdings noch unter der inzwischen aufgegebenen [vgl. BAG 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 – BAGE 108, 375] Prämisse, dass sich die Nichtigkeit aus einer Gesamtbetrachtung zahlreicher Einzelverstöße ergeben könne). Die Nichtzulassung von wahlberechtigten Arbeitnehmern zur Wahl berechtigt dagegen als Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht iSd. § 7 BetrVG grundsätzlich lediglich zur Anfechtung der Wahl (BAG 28. April 1964 – 1 ABR 1/64 – zu B 3 der Gründe, BAGE 16, 1; zu einem – hier nicht einschlägigen – Ausnahmefall vgl. BAG 24. Januar 1964 – 1 ABR 14/63 – BAGE 15, 235). Gleiches gilt für Verstöße gegen § 2 Abs. 1 WO. Vorliegend hatte der Wahlvorstand eine Wählerliste getrennt nach Geschlechtern gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 WO aufgestellt. Die Liste nennt – jedenfalls ganz überwiegend – Familienname und Vorname von Arbeitnehmern der Arbeitgeberin. Soweit die Wählerliste entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 WO nicht die Geburtsdaten der Wahlberechtigten enthält, ist dies nicht geeignet die Nichtigkeit der Wahl zu begründen. Dies folgt schon daraus, dass es sich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WO um eine Soll- und nicht um eine Muss-Angabe handelt. Zudem sollen die Geburtsdaten nach § 2 Abs. 4 Satz 2 WO in dem zu veröffentlichenden Abdruck der Wählerliste nicht enthalten sein.

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Soweit das Landesarbeitsgericht die Nichtigkeit der Wahl im Ergebnis darauf gestützt hat, dass auf der 64 Personen umfassenden Wählerliste ein Mann enthalten ist, der nie in einem Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin stand, vier Personen als wahlberechtigt aufgeführt sind, deren Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin noch vor dem Wahltermin endete, und sechs Wahlberechtigte nicht aufgeführt sind, hat es die Bedeutung der Einspruchsmöglichkeit nach § 4 WO auch in Bezug auf die Wirksamkeit der Betriebsratswahl verkannt. Nach dieser Vorschrift kann vor Ablauf von zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt werden. Die Frist ist eine Ausschlussfrist (vgl. Fitting BetrVG 30. Aufl. § 4 WO Rn. 4). Damit hat der Verordnungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass einzelne Unrichtigkeiten der Wählerliste nicht so erheblich sind, dass sie nicht auch noch nach der Veröffentlichung der Liste gemäß § 4 Abs. 2 WO durch einen Beschluss des Wahlvorstands korrigiert werden könnten. Durch die Ausgestaltung als Ausschlussfrist hat der Verordnungsgeber zudem zum Ausdruck gebracht, dass die Durchführung der Wahl auch auf der Grundlage einer unrichtigen Wählerliste in Kauf genommen wird. Wird die Wahl dann nicht innerhalb der Frist des § 19 BetrVG angefochten, ist sie wirksam. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in der ab dem 18. Juni 2021 gültigen Fassung (BGBl. l Nr. 32 vom 17. Juni 2021, S. 1762 ff.) ist die Anfechtung der Wahl durch die Wahlberechtigten grundsätzlich sogar ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde (aA zur bis zum 17. Juni 2021 geltenden Rechtslage BAG 2. August 2017 – 7 ABR 42/15 – BAGE 160, 27). Die Anfechtung durch den Arbeitgeber ist nach § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG in der ab dem 18. Juni 2021 geltenden Fassung ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Lässt der Gesetzgeber damit in bestimmten Fällen – unabhängig vom Umfang der Unrichtigkeiten – nicht einmal die Anfechtung der Wahl nach § 19 BetrVG zu, kann nicht angenommen werden, dass eine fehlerhafte Wählerliste überhaupt geeignet sein kann, die Nichtigkeit der Wahl zu begründen.

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Soweit das Landesarbeitsgericht die Nichtigkeit der Wahl damit begründet, der Wahlvorstand habe die Wählerliste auf der Grundlage unzureichender Informationen erstellt, indem er hinsichtlich der Wahlberechtigten am Standort A auf ein Telefonverzeichnis abgestellt habe, dessen Urheberschaft unklar und dessen Inhalt ungeprüft gewesen sei, hat das Landesarbeitsgericht verkannt, dass weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die Wahlordnung vorschreiben, anhand welcher Vorgaben die Wählerliste zu erstellen ist. Der Arbeitgeber ist zwar nach § 2 Abs. 2 WO verpflichtet, dem Wahlvorstand die zur Erstellung der Wählerliste erforderlichen Informationen zu erteilen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Wahlvorstand verpflichtet ist, die Wählerliste ausschließlich anhand der Angaben des Arbeitgebers anzufertigen. Es ist ihm vielmehr unbenommen, auch andere Erkenntnisquellen zu nutzen. Erstellt er eine fehlerhafte Wählerliste, kann dies nicht nur zu Einsprüchen gegen die Richtigkeit der Wählerliste nach § 4 WO, sondern auch zur Anfechtung der Wahl führen, regelmäßig aber nicht zu der besonders folgenschweren Nichtigkeit der Wahl.

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(b) Das Landesarbeitsgericht hat überdies den Rechtsbegriff der Offenkundigkeit des Wahlfehlers verkannt. Maßgeblich für die Beurteilung der Offenkundigkeit eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften ist der Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten (BAG 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 – zu B III 3 b der Gründe, BAGE 108, 375; Fitting BetrVG 30. Aufl. § 19 Rn. 4). Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung hingegen auf den Standpunkt der Mitglieder des Wahlvorstands abgestellt. Nach seinen eigenen Ausführungen war es für das Landesarbeitsgericht weder entscheidend, dass die Wählerliste einfache Fehler enthielt, noch, dass die Wählerliste nicht anhand vom Arbeitgeber nach § 2 Abs. 2 WO zur Verfügung gestellter Informationen erstellt worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat seine Annahme der Nichtigkeit vielmehr im Wesentlichen damit begründet, dass der Wahlvorstand hinsichtlich der am Standort A beschäftigten Arbeitnehmer ohne weitere Prüfung die Angaben aus der Telefonliste in die Wählerliste übernommen habe. Dies ist aber für einen mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten nicht erkennbar. Wie genau die Eintragungen in der Wählerliste zustande gekommen sind, ist nur den Mitgliedern des Wahlvorstands selbst bekannt. Auf ihren Kenntnisstand ist jedoch bei der Beurteilung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl nicht abzustellen. Auf welchen Daten und Erkenntnissen die Eintragungen in die Wählerliste beruhen, ist für Dritte nicht erkennbar.

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(c) Im Übrigen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts auch in sich widersprüchlich. Das Landesarbeitsgericht hat einerseits angenommen, der Wahlvorstand habe der Wählerliste keine geeigneten Informationen zugrunde gelegt, andererseits ist es aber – zutreffend – davon ausgegangen, dass die Informationen aus der Telefonliste nur für einen Teil der Belegschaft, namentlich die Arbeitnehmer am Standort in A genutzt wurden. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene willkürliche Vorgehensweise des Wahlvorstands bei der Erstellung der Wählerliste bezieht sich damit lediglich auf einen zahlenmäßig nicht näher bezeichneten Teil der Wählerliste. In Bezug auf die in der Wählerliste genannten Arbeitnehmer an den Standorten B und E hat das Landesarbeitsgericht keine Fehler in Bezug auf die Aufstellung der Wählerliste festgestellt.

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Des Weiteren hat das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung darauf gestützt, der Wahlvorstand habe davon abgesehen, sein Recht aus § 2 Abs. 2 WO „zum Beispiel“ im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen; dies, obwohl dem Wahlvorstand die Möglichkeit, gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können, bekannt gewesen sei. Das zeige der gerichtliche Vergleich vom 17. November 2017 zwischen dem Wahlvorstand und der Arbeitgeberin. In diesem Vergleich hatte sich die Arbeitgeberin verpflichtet, an den Wahlvorstand eine Liste aller im Betriebsteil E beschäftigten Arbeitnehmer zu übergeben. Die angefochtene Entscheidung enthält keine Ausführungen dazu, inwieweit es für den Wahlvorstand trotz dieses Vergleichs noch möglich gewesen sein soll, überhaupt eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Die Arbeitgeberin hat im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, der Wahlvorstand habe in dem Vergleich auf die Angaben in Bezug auf die am Standort A beschäftigten Arbeitnehmer – entgegen seiner ursprünglichen Forderung – verzichtet.

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Auch die Wertung des Landesarbeitsgerichts, der Wahlvorstand habe willkürlich gehandelt, weil er den Anschein erweckt habe, mit der Wahl seine Vorstellung davon, welcher Standort eine betriebsratsfähige Einheit darstellt, auf diesem Wege durchzusetzen, lässt sich nicht aus dem festgestellten Sachverhalt ableiten. Das Landesarbeitsgericht hat offenkundig nicht berücksichtigt, dass im vorliegenden Verfahren vom Arbeitsgericht rechtskräftig nach § 18 Abs. 2 BetrVG festgestellt wurde, dass die von der Arbeitgeberin unterhaltenen Betriebsstätten in B, in E und in A eine einzige betriebsratsfähige Organisationseinheit bilden. Die Arbeitgeberin hat insoweit keine Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts eingelegt. Dem Wahlvorstand kann sein danach rechtskonformes Verhalten – die Durchführung der Wahl in der betriebsratsfähigen Organisationseinheit – nicht als willkürlich vorgeworfen werden.

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(d) Es sind auch sonst keine Wahlrechtsverstöße festgestellt oder erkennbar, die eine Nichtigkeit der Wahl begründen könnten. Insbesondere wurde bei der Wahl nicht der Betriebsbegriff verkannt. Zum einen hat die Verkennung des Betriebsbegriffs in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge (vgl. BAG 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 17, BAGE 144, 290). Zum anderen hat das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt, dass die von der Arbeitgeberin unterhaltenen Betriebsstätten in B, in E sowie in A eine betriebsratsfähige Organisationseinheit bilden. Die Wahl wurde danach zutreffend einheitlich für die drei Standorte der Arbeitgeberin durchgeführt.

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2. Da die Betriebsratswahl entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nichtig ist, fällt dem Senat der hilfsweise gestellte Wahlanfechtungsantrag zur Entscheidung an. Dieser ist begründet.

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a) Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.

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b) Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind erfüllt.

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aa) Die Arbeitgeberin ist zur Wahlanfechtung befugt. Dies gilt hinsichtlich der gerügten Fehlerhaftigkeit der Wählerliste auch dann, wenn sie ihren Pflichten nach § 2 Abs. 2 WO nicht (vollständig) nachgekommen sein und der Wahlfehler hierauf beruhen sollte.

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(1) § 19 BetrVG in der hier maßgeblichen bis zum 17. Juni 2021 geltenden Fassung sieht seinem Wortlaut nach insoweit keine Einschränkung des Anfechtungsrechts vor (vgl. BAG 2. August 2017 – 7 ABR 42/15 – Rn. 21, BAGE 160, 27). Eine solche Einschränkung ergibt sich weder aus § 2 Abs. 2 WO, noch wäre eine Einschränkung des Anfechtungsrechts durch § 2 Abs. 2 WO durch die Ermächtigung zum Erlass von Wahlordnungen in § 126 BetrVG legitimiert (vgl. zu einer Einschränkung des Anfechtungsrechts durch § 4 Abs. 1 WO BAG 2. August 2017 – 7 ABR 42/15 – Rn. 22, aaO).

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(2) Der Anfechtung der Wahl durch die Arbeitgeberin steht § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG in der ab dem 18. Juni 2021 geltenden Fassung (BGBl. l Nr. 32 vom 17. Juni 2021, S. 1762 ff.) nicht entgegen. Nach dieser Regelung ist die Anfechtung einer Betriebsratswahl durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Die Vorschrift ist auf die Anfechtung der Wahl vom 5. und 6. April 2018 nicht anwendbar. Zwar ist das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt vom 14. Juni 2021 (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) nach seinem Art. 6 am Tag nach der Verkündung, welche am 17. Juni 2021 erfolgte (vgl. BGBl. l Nr. 32 vom 17. Juni 2021, S. 1762 ff.), in Kraft getreten. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber das im Zeitpunkt seiner Entscheidung geänderte materielle Recht nur dann anzuwenden, wenn es das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. zur Revision BAG 21. März 2013 – 6 AZR 401/11 – Rn. 44 mwN). § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG nF erfasst das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis nicht. Die Wahl fand bereits im Jahr 2018 statt. Die gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG fristgebundene Wahlanfechtung hat zwar rechtsgestaltenden Charakter (vgl. BAG 29. Mai 1991 – 7 ABR 67/90 – zu B I 1 der Gründe, BAGE 68, 74; Kreutz GK-BetrVG 11. Aufl. § 19 Rn. 125; Thüsing in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 19 Rn. 67). Das Bestehen einer Anfechtungsbefugnis ist aber nach der bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist bestehenden Rechtslage zu beurteilen. Auch wenn der stattgebende Beschluss nur rechtsgestaltend für die Zukunft wirkt, ist der zu beurteilende Sachverhalt spätestens mit Ablauf der Anfechtungsfrist abgeschlossen. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Rückwirkungsbeschränkungen kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes in bereits abgeschlossene Wahlsachverhalte eingreifen wollte. Dies gilt insbesondere, da der Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit nach § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG nF an ein Verhalten des Arbeitgebers im Vorfeld der Wahl anknüpft und damit auch verhaltenssteuernd wirken soll. Dies ist nach der Durchführung der Wahl rückwirkend nicht mehr möglich.

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Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG nF nur dann eingreift, wenn der Arbeitgeber aktiv unrichtige Angaben gegenüber dem Wahlvorstand gemacht hat, oder auch dann eingreifen kann, wenn der Arbeitgeber – wie im vorliegenden Fall vom Betriebsrat geltend gemacht – seiner Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 2 WO nur unzureichend nachgekommen ist.

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bb) Der Wahlanfechtungsantrag ist am 10. April 2018 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der am 6. April 2018 erfolgten Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen.

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c) Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG liegen ebenfalls vor.

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aa) Bei der Wahl wurde gegen § 7 BetrVG und § 2 Abs. 1 WO verstoßen. Hierbei handelt es sich um wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlten jedenfalls sechs wahlberechtigte Personen auf der Wählerliste. Sie konnten damit nach § 2 Abs. 3 WO das ihnen nach § 7 BetrVG zustehende Wahlrecht nicht ausüben.

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bb) Der Verstoß konnte das Wahlergebnis beeinflussen. Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (st. Rspr., vgl. etwa BAG 20. Januar 2021 – 7 ABR 3/20 – Rn. 24; 16. September 2020 – 7 ABR 30/19 – Rn. 28 jew. mwN). Eine solche Feststellung ist vorliegend nicht möglich. Dies folgt schon daraus, dass Frau S mit 15 Stimmen zum Betriebsratsmitglied gewählt wurde und die nächsten Wahlbewerber, die nicht gewählt wurden, über 14 und 13 Stimmen verfügten. Die Teilnahme der sechs zu Unrecht nicht in der Wählerliste aufgeführten Personen an der Wahl hätte damit möglicherweise zu einem anderen Wahlergebnis führen können.

        

    Gräfl    

        

    Waskow    

        

    Klose    

        

        

        

    Wicht    

        

    Deinert