8 AZR 313/20

Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

Details

  • Aktenzeichen

    8 AZR 313/20

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2021:251121.U.8AZR313.20.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    25.11.2021

  • Senat

    8. Senat

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 11. März 2020 – 5 Sa 414/18 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 28. November 2018 – 1 Ca 1034/18 – abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 6.864,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. April 2018 zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Leitsatz

1. Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen diese Verpflichtung ist grundsätzlich geeignet, die Vermutung iSd. § 22 AGG zu begründen, dass der/die erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.

2. Eine ordnungsgemäße Meldung iSv. § 165 Satz 1 SGB IX setzt die Erteilung eines Vermittlungsauftrags an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen zur Durchführung der der Agentur für Arbeit zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gesetzlich übertragenen Aufgaben unter Angabe der Daten voraus, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Landkreis (im Folgenden Beklagter) verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu zahlen.

2

Im November 2017 veröffentlichte der Beklagte über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eine Stellenausschreibung, nach der im Rechts- und Kommunalamt des Beklagten zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Stelle eines/einer Amtsleiters/in zu besetzen war. Von dem/der Bewerber/in erwartet wurden ein „abgeschlossenes weiterführendes wissenschaftliches Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Abschluss) in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. 2. juristisches Staatsexamen (Volljurist/in)“ sowie „mehrjährige einschlägige Berufserfahrung“ und „mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungsspanne und des Aufgabenbereiches im kommunalen Bereich“.

3

Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger bewarb sich im November 2017 unter Angabe seiner Schwerbehinderung auf die ausgeschriebene Stelle. Mit Schreiben vom 11. April 2018 teilte ihm der Beklagte mit, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Zu einem Vorstellungsgespräch war der Kläger nicht eingeladen worden.

4

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 14. April 2018 unter dem Betreff „Beschwerde nach § 13 AGG und Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG“ an den Beklagten und beanstandete, als schwerbehinderter Bewerber bereits im Vorverfahren des Bewerbungsverfahrens nicht berücksichtigt worden zu sein. Zudem machte er mit diesem Schreiben erfolglos einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Der Kläger erhielt auf die Beschwerde vom Beklagten außer einer Eingangsbestätigung keine Antwort.

5

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Er hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies folge ua. daraus, dass der Beklagte den freien Arbeitsplatz nicht den Vorgaben von § 82 Satz 1 SGB IX (in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, im Folgenden SGB IX aF) bzw. § 165 Satz 1 SGB IX (in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung, im Folgenden SGB IX nF) entsprechend der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet habe, dass er entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF die Schwerbehindertenvertretung nicht unmittelbar nach Eingang über seine, des Klägers Bewerbung unterrichtet habe und daraus, dass er ihn, den Kläger, den Bestimmungen des § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. des § 165 Satz 3 SGB IX nF zuwider nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, obwohl er fachlich für die Stelle geeignet gewesen sei. Zudem begründe die unterlassene Beantwortung seiner Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden sei.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, jedoch mindestens 4.575,67 Euro, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. April 2018 zu zahlen.

7

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu schulden. Der freie Arbeitsplatz sei über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit gemeldet worden. Das sei nach § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF ausreichend. Auch sei die Schwerbehindertenvertretung den Anforderungen des § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF entsprechend über die Bewerbung des Klägers unterrichtet worden. Die Personalsachbearbeiterin K, die unstreitig die Aufgabe hatte, in einer Tabelle die Daten der 24 Stellenbewerber/innen zu erfassen, habe diese Tabelle, die zudem in einer gesonderten Spalte jeweils den internen Link zu den jeweiligen digitalisierten Bewerbungsunterlagen der Bewerber/innen enthalte habe, sowohl an den Personalrat als auch an die Schwerbehindertenvertretung weitergeleitet. Zwar habe die Mitarbeiterin K bei der Erstellung der tabellarischen Übersicht der Bewerbungen für den Kläger in der Rubrik „Behinderung (schwerbehindert oder gleichgestellt)“ anstelle des Wortes „ja“ das Wort „nein“ eingetragen. Hierbei handele es sich jedoch um ein bloßes Versehen. Entgegen der Ansicht des Klägers habe keine Verpflichtung bestanden, diesen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Kläger habe nach seinen Bewerbungsunterlagen die Anforderungen der Stellenausschreibung einer mehrjährigen einschlägigen Berufserfahrung und einer mehrjährigen einschlägigen Führungserfahrung offensichtlich nicht erfüllt. Da dem Kläger insoweit die fachliche Eignung offensichtlich gefehlt habe, sei er, der Beklagte von der in § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF bestimmten Verpflichtung zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch befreit gewesen.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

9

A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.

10

B. Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts schuldet der Beklagte dem Kläger nach § 15 Abs. 2 AGG die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Der Senat hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 6.864,00 Euro für angemessen.

11

I. Die Revision des Klägers ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß iSv. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO begründet. Die Revisionsbegründung des Klägers enthält eine konkrete Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils unter genauer Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (zu den Anforderungen vgl. etwa BAG 24. Oktober 2019 – 8 AZR 528/18 – Rn. 9 mwN).

12

II. Die Revision des Klägers ist auch begründet.

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1. Die auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen.

14

§ 15 Abs. 2 AGG räumt dem Gericht bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung einen Ermessensspielraum ein (vgl. BAG 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 27, BAGE 170, 340), weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Der Kläger hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht dabei heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben (zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags: vgl. etwa BAG 14. November 2013 – 8 AZR 997/12 – Rn. 16; 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 16). Der Kläger hat als nicht zu unterschreitenden Mindestbetrag ein auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbares Bruttomonatsentgelt iHv. 4.575,67 Euro angegeben.

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2. Die Klage ist auch begründet. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Senat hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 6.864,00 Euro für angemessen.

16

a) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Für den Kläger ergibt sich dies aus § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Der Kläger ist als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis Beschäftigter iSd. AGG (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG). Dies folgt aus dem Umstand, dass er eine Bewerbung eingereicht hat. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff (vgl. näher ua. BAG 19. Mai 2016 – 8 AZR 470/14 – Rn. 62, BAGE 155, 149). Der Beklagte ist Arbeitgeber iSv. § 6 Abs. 2 AGG.

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b) Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG). Darüber streiten die Parteien auch nicht.

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c) Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

19

aa) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG, das einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte – hier die der Richtlinie 2000/78/EG – zu gewährleisten hat, untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nF schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nF die Regelungen des AGG.

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bb) Der Kläger, der dem Beklagten seine Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben ordnungsgemäß mitgeteilt hatte, wurde dadurch, dass er von dem Beklagten im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt wurde, unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerber/innen gegeben hat und ob der/die von dem Beklagten ausgewählte Bewerber/in die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an (vgl. näher BAG 19. Dezember 2019 – 8 AZR 2/19 – Rn. 28 ff., BAGE 169, 217).

21

cc) Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, hat der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren.

22

(1) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Das spezielle Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nF verbietet eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen.

23

(a) Soweit es – wie hier – um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG bzw. an die (Schwer)Behinderung anknüpft oder durch diese/n motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. BAG 23. November 2017 – 8 AZR 372/16 – Rn. 20 mwN).

24

(b) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14 – Rn. 51, BAGE 164, 117).

25

(aa) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14 – Rn. 52 mwN, BAGE 164, 117).

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(bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (vgl. etwa BAG 27. August 2020 – 8 AZR 45/19 – Rn. 29; 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 37, BAGE 169, 302; 16. Mai 2019 – 8 AZR 315/18 – Rn. 22 mwN, BAGE 167, 1; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 25, BAGE 156, 107; 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 35; 26. Juni 2014 – 8 AZR 547/13 – Rn. 45 mwN).

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(cc) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 36 mwN, BAGE 169, 302; 26. Januar 2017 – 8 AZR 73/16 – Rn. 26 mwN).

28

(dd) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber/einer Bewerberin vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung vermuten lassen, ist nur eingeschränkt revisibel. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Würdigung der Tatsachengerichte möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 67, BAGE 169, 302; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 48 mwN, BAGE 156, 107).

29

(2) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren.

30

(a) Dabei kann offenbleiben, ob dies bereits daraus folgt, dass der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung und den Personalrat nicht den Anforderungen des § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF entsprechend unterrichtet hat.

31

(aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX aF bzw. § 176 SGB IX nF genannten Vertretungen über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit oder eines Integrationsfachdienstes und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Dabei bedeutet „unmittelbar nach Eingang“ in § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF, dass die Unterrichtung umgehend bzw. sofort zu erfolgen hat. Die Unterrichtungspflicht setzt demnach ein, sobald der Arbeitgeber erkennt – beispielsweise anhand der Bewerbungsunterlagen – bzw. erkennen muss, dass es sich um eine/n schwerbehinderte/n oder gleichgestellte/n Bewerber/in handelt. Insbesondere darf der Arbeitgeber nicht zunächst die eingegangenen Bewerbungen sammeln und später gebündelt die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX aF bzw. § 176 SGB IX nF genannten Vertretungen unterrichten, da dies nicht „unmittelbar nach Eingang“ wäre (vgl. ebenso Düwell in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 164 Rn. 147). Darüber hinaus bedeutet „Unterrichtung“ iSv. § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF mehr als nur das Einräumen eines Zugangs zu Bewerbungsunterlagen. Erforderlich ist eine gezielte Unterrichtung, mit der auf die Schwerbehinderung des/der einzelnen Bewerbers/Bewerberin hingewiesen wird (vgl. auch Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 27. November 2019 – 15 Sa 949/19 – Rn. 36; Düwell aaO Rn. 150 mwN).

32

(bb) Zwar kann der Senat nach den vom Landesarbeitsgericht bislang getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung und den Personalrat – den Vorgaben von § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF entsprechend – „unmittelbar nach Eingang“ der Bewerbung des Klägers unterrichtet hat. Insoweit ist bislang nicht geklärt, ob der Beklagte die eingegangenen Bewerbungen zunächst gesammelt und später gebündelt die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX aF bzw. § 176 SGB IX nF genannten Vertretungen unterrichtet hat oder ob er den Vertretungen unmittelbar nach Eingang einer jeden Bewerbung jeweils eine aktualisierte Fassung der von der Personalsachbearbeiterin K erstellten Übersicht hat zukommen lassen.

33

(cc) Der Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung und den Personalrat aber deshalb nicht den Vorgaben von § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF entsprechend unterrichtet, weil es an einem gezielten Hinweis auf die Schwerbehinderung des Klägers fehlt. Die Personalsachbearbeiterin K hatte bei der Erstellung der tabellarischen Übersicht der Bewerbungen für den Kläger in der Rubrik „Behinderung (schwerbehindert oder gleichgestellt)“ nämlich anstelle des Wortes „ja“ das Wort „nein“ eingetragen. Dass die Tabelle in einer gesonderten Spalte den internen Link zu den jeweiligen digitalisierten Bewerbungsunterlagen der Bewerber/innen enthielt, führt – wie unter Rn. 31 ausgeführt – insoweit nicht zu einer anderen Bewertung.

34

(dd) Allerdings könnte fraglich sein, ob dieser objektive Verstoß des Beklagten gegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF (zur objektiven Zurechnung des Unterlassens der vom Arbeitgeber eingesetzten Personen vgl. etwa BAG 16. September 2008 – 9 AZR 791/07 – Rn. 34 ff., BAGE 127, 367; vgl. im Ergebnis zudem BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 76, BAGE 169, 302) im vorliegenden Verfahren ausnahmsweise nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG begründet, dass der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat. Insoweit hat der Beklagte nämlich unwidersprochen vorgetragen, dass die Personalsachbearbeiterin K die fehlerhafte Eintragung versehentlich vorgenommen habe. Ob und ggf. unter welchen weiteren Voraussetzungen sich dieser Umstand dahin auswirken kann, dass für die Annahme, die Schwerbehinderung des Klägers sei Bestandteil eines Motivbündels gewesen, das die Entscheidung des Beklagten (mit)beeinflusst habe (zum Motivbündel vgl. BAG 18. September 2014 – 8 AZR 753/13 – Rn. 22), kein Raum bleibt, und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang ggf. einem etwaigen Organisationsverschulden des Beklagten (vgl. zu Anforderungen an die Organisation etwa BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – aaO) zukäme, kann allerdings dahinstehen.

35

(b) Jedenfalls hat der Beklagte – anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat – die zu besetzende Stelle nicht den Vorgaben des § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. des § 165 Satz 1 SGB IX nF entsprechend der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet. Dieser Umstand begründet die Vermutung, dass der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat. Danach kann nicht nur offenbleiben, ob ggf. noch weitere Verstöße des Beklagten gegen die zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen Verfahrens- und/oder Förderbestimmungen vorlagen. Ebenso dahinstehen kann, ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers nach § 13 AGG durch den Beklagten ein Indiz nach § 22 AGG für eine Benachteiligung des Klägers wegen der Schwerbehinderung sein kann.

36

(aa) Nach § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Arbeitgeber von der Agentur für Arbeit Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerber und Bewerberinnen für die freie Stelle erhält. Möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen soll die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden. Es handelt sich um ein gesetzlich vorgesehenes Instrument zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen am Arbeitsleben, das gleichzeitig „Vorkehrung“ iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG ist. Damit soll die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung gewährleistet werden (vgl. BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 21 mwN, BAGE 119, 262). Die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit bzw. die nicht ordnungsgemäße Einschaltung der Agentur für Arbeit ist grundsätzlich geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu begründen, da der objektiv gesetzeswidrig handelnde Arbeitgeber den Anschein erweckt, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (vgl. BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 22, aaO).

37

Eine ordnungsgemäße Meldung iSv. § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF setzt die Erteilung eines Vermittlungsauftrags (vgl. auch Düwell in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 165 Rn. 5 mwN) an die nach § 104 Abs. 4 SGB IX aF bzw. § 187 Abs. 4 SGB IX nF bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen zur Durchführung der der Agentur für Arbeit zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gesetzlich übertragenen Aufgaben unter Angabe der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind, voraus (vgl. Düwell aaO § 164 Rn. 142 mwN). Denn nur durch den Vermittlungsauftrag wird bewirkt, dass die Agentur für Arbeit den Vorgaben des § 35 Abs. 1 SGB III entsprechend Arbeitsuchenden und Arbeitgebern Arbeitsvermittlung (Vermittlung) anbietet, die alle Tätigkeiten umfasst, die darauf gerichtet sind, Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen.

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(bb) Danach hat der Beklagte die zu besetzende Stelle entgegen § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF nicht der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet. Der Beklagte hat sich insoweit ausschließlich darauf berufen, das Stellenangebot über die Jobbörse der Agentur für Arbeit veröffentlicht zu haben. Dies reicht jedoch – anders als der Beklagte und das Landesarbeitsgericht angenommen haben – für eine Meldung iSv. § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF nicht aus. Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Agentur für Arbeit löst nicht den Vermittlungsservice der Agentur für Arbeit aus, insbesondere wird damit der Agentur für Arbeit nicht die Suche nach geeigneten schwerbehinderten Personen übertragen. Dieser Umstand begründet die Vermutung, dass der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat.

39

(aaa) Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass sich nur derjenige/diejenige erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in auf eine unterlassene bzw. nicht ordnungsgemäße Meldung des öffentlichen Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit berufen könne, der/die deshalb von der Stellenausschreibung („zunächst“) nichts wusste. Verstößt der öffentliche Arbeitgeber gegen die zugunsten schwerbehinderter Menschen in § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF getroffene Bestimmung, ist Grund für die Vermutung, dass der/die erfolglose Bewerber/in die unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung erfahren hat, dass der Arbeitgeber mit diesem Verstoß den Eindruck erweckt, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein und auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (vgl. unter Rn. 26 und 36). Danach kommt es auf den Kenntnisstand des einzelnen Bewerbers bzw. der einzelnen Bewerberin nicht an.

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(bbb) Etwas Anderes würde sich auch dann nicht ergeben, wenn dem Kläger für die ausgeschriebene Stelle – wie der Beklagte und das Landesarbeitsgericht gemeint haben – die fachliche Eignung (offensichtlich) fehlen würde. Die offensichtlich fehlende fachliche Eignung des Klägers hätte den Beklagten nur gemäß § 82 Satz 3 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 4 SGB IX nF von seiner Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF befreit, den schwerbehinderten Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Für die in § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF bestimmte Meldeverpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers ist die Eignung bzw. Nichteignung eines/einer schwerbehinderten Bewerbers/Bewerberin hingegen ohne Belang.

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(c) Da der Verstoß des Beklagten gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF, die zu besetzende Stelle der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden, die Vermutung begründet, dass der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat, kann nicht nur dahinstehen, ob der Beklagte zudem gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF verstoßen hat, den schwerbehinderten Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Ebenso offenbleiben kann, ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers durch den Beklagten geeignet ist, die Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG zu begründen.

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dd) Da der Beklagte die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen der Schwerbehinderung nicht widerlegt hat und diese auch nicht ausnahmsweise nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig ist, kann der Kläger vom Beklagten die Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen.

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d) Der Senat, der abschließend über die Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG entscheiden kann, hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten nach der Entgeltgruppe E 15 Stufe 1 TVöD/VKA, mithin eine Entschädigung iHv. 6.864,00 Euro für angemessen.

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aa) Im Fall einer Nichteinstellung ist für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG an das Bruttomonatsentgelt anzuknüpfen, das der/die erfolglose Bewerber/in erzielt bzw. ungefähr erzielt hätte, wenn er/sie die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Dies folgt aus der in § 15 Abs. 2 AGG getroffenen Bestimmung, wonach die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (vgl. etwa BAG 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 24, BAGE 170, 340). Aus dem Umstand, dass das infolge der Nichteinstellung entgangene Arbeitsentgelt ein möglicher Schadensposten im Rahmen eines auf den Ausgleich materieller Schäden nach § 15 Abs. 1 AGG gerichteten Schadensersatzanspruchs sein kann, während mit der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht der materielle, sondern der immaterielle Schaden ausgeglichen wird, folgt nichts Abweichendes (vgl. etwa BAG 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 25 f. mwN, aaO). Im Übrigen ist das Gericht im Rahmen des ihm bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung eröffneten Ermessensspielraums – der kein „Beurteilungsspielraum“ ist (vgl. BAG 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 27 mwN, aaO; missverstehend insoweit Junker ZFA 2021, 502, 522) – nicht gehalten, stets die „exakte“ Höhe des auf der ausgeschriebenen Stelle zu erwartenden Bruttomonatsentgelts zu ermitteln, vielmehr reicht – insbesondere wenn die Parteien über die zutreffende Vergütung streiten – eine Anknüpfung an das auf der ausgeschriebenen Stelle ungefähr erzielbare Bruttomonatsentgelt aus. Andernfalls würde die Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Fällen, in denen das auf der ausgeschriebenen Stelle zu erwartende Bruttomonatsentgelt nicht „exakt“ feststeht, entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben mit einem – inzidenten – Eingruppierungsprozess oder vergleichbaren Rechtsstreit belastet. Nach dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts dürfen nationale Vorschriften die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nämlich nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. etwa EuGH 6. Oktober 2021 – C-561/19 – [Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi] Rn. 63; 15. März 2017 – C-3/16 – [Aquino] Rn. 48 mwN; 20. Oktober 2016 – C-429/15 – [Danqua] Rn. 29 f.; 28. Januar 2015 – C-417/13 – [Starjakob] Rn. 61 mwN; 8. Juli 2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 22 und 25 mwN).

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bb) Durch eine Entschädigung iHv. 1,5 auf der Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten wird der Kläger angemessen für den durch die unzulässige Diskriminierung – ausschließlich – wegen der (Schwer)Behinderung erlittenen immateriellen Schaden entschädigt; dieser Betrag ist zudem erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen. Da es auf ein Verschulden nicht ankommt, können Gesichtspunkte, die mit einer etwaigen Abwesenheit oder einem geringen Grad von Verschulden zusammenhängen, nicht mindernd bei der Bemessung der Entschädigung berücksichtigt werden (vgl. etwa BAG 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 20 f., BAGE 170, 340). Auf der anderen Seite sind im vorliegenden Verfahren aber auch keine Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden des Beklagten belegen, weshalb auch keine Veranlassung besteht, die Entschädigung höher festzusetzen. Auf die Frage, ob die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG die Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen durfte, weil der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (dazu etwa BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 82 ff. mwN, BAGE 169, 302), kommt es nach alledem nicht an.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Berger    

        

        

        

    Volz    

        

    Andreas Henniger