8 AZR 318/22

Schwerbehinderter Bewerber - Vorstellungsgespräch - Kirche - öffentlicher Arbeitgeber - kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts

Details

  • Aktenzeichen

    8 AZR 318/22

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2024:250124.U.8AZR318.22.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    25.01.2024

  • Senat

    8. Senat

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 2022 – 5 Sa 10/22 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Leitsatz

Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht nach § 165 Satz 3 SGB IX zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Sie ist kein öffentlicher Arbeitgeber.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens.

2

Der Beklagte ist ein Kirchenkreis der Evangelischen Kirche im Rheinland und als solcher eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er schrieb für sein Verwaltungsamt eine Stelle in der Finanzbuchhaltung aus. Der Kläger bewarb sich unter Angabe seiner kaufmännischen Qualifikationen und seiner Schwerbehinderung auf diese Stelle. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgte nicht. Die Bewerbung hatte keinen Erfolg.

3

Mit seiner Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, er sei wegen seiner Schwerbehinderung im Auswahlverfahren benachteiligt worden. Eine entsprechende Vermutung ergebe sich aus der unterlassenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu wäre der Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit öffentlicher Arbeitgeber verpflichtet gewesen. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht stehe dem nicht entgegen. Er habe einen Entschädigungsanspruch iHv. drei Monatsgehältern.

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Der Kläger hat daher zuletzt beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung iHv. 7.500,00 Euro zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen und dieses nach Einspruch des Klägers aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.

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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Er wurde durch die Zurückweisung seiner Bewerbung zwar unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt (vgl. BAG 31. März 2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 15). Er hat aber nicht hinreichend dargelegt, dass er diese Benachteiligung iSv. § 164 Abs. 2 SGB IX iVm. § 7 Abs. 1, § 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung oder eines anderen in § 1 AGG genannten Merkmals erfahren hat.

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1. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG, das einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte zu gewährleisten hat, untersagt im Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen Behinderung. Das spezielle Benachteiligungsverbot des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbietet eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen (vgl. BAG 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 – Rn. 23).

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2. Grundsätzlich trägt die Person, die einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend macht, die Darlegungslast für das Vorliegen seiner Voraussetzungen. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang jedoch eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Es bedarf des Vortrags von Indizien, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 – Rn. 28 f. mwN; 1. Juli 2021 – 8 AZR 297/20 – Rn. 20 mwN, BAGE 175, 228).

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3. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt. Die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch lässt eine solche hier nicht vermuten. Andere Indiztatsachen führt der Kläger nicht mehr an.

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a) Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit ua. frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen solchen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Schwerbehinderte Bewerber sollen durch das in § 165 Satz 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch bei öffentlichen Arbeitgebern ihre Chancen im Auswahlverfahren verbessern können (BAG 1. Juli 2021 – 8 AZR 297/20 – Rn. 29, BAGE 175, 228). Insoweit ist der schwerbehinderte und der diesem gleichgestellte Bewerber im Bewerbungsverfahren besser gestellt als nicht schwerbehinderte Konkurrenten (BAG 23. November 2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 36 mwN). Gemäß § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (vgl. hierzu BAG 19. Januar 2023 – 8 AZR 437/21 – Rn. 36 ff.; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 36 f., BAGE 156, 107). Der Verstoß des Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung (BAG 19. Januar 2023 – 8 AZR 437/21 – Rn. 33 mwN), falls ihm die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese kennen musste (BAG 26. November 2020 – 8 AZR 59/20 – Rn. 32 ff., BAGE 173, 93).

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b) Eine solche Vermutung wurde hier nicht begründet. Der Beklagte war nicht gemäß § 165 Satz 3 SGB IX zu einer Einladung des schwerbehinderten Klägers verpflichtet. Als Kirchenkreis der Evangelischen Kirche im Rheinland ist er kein öffentlicher Arbeitgeber im Sinne der Norm.

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aa) Allerdings gilt nach § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX jede sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts als öffentlicher Arbeitgeber im Sinne des Teils 3 des SGB IX und damit auch im Sinne des § 165 Satz 3 SGB IX. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX ist jedoch dahin gehend auszulegen, dass als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste kirchliche Untergliederungen hiervon nicht erfasst werden (aA FRR/Ritz 7. Aufl. § 154 SGB IX Rn. 10; BeckOK SozR/Jabben Stand 1. September 2020 SGB IX § 154 Rn. 4; Joussen in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 154 Rn. 19).

15

(1) Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Wortlaut gibt nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich (BAG 31. Mai 2023 – 5 AZR 305/22 – Rn. 27 mwN).

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(2) Der Wortlaut des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX differenziert nicht nach bestimmten Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern bezieht „jede“ Körperschaft des öffentlichen Rechts ein. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig die Erstreckung auf kirchliche Gliederungen, die in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasst sind (aA Eufinger ZAT 2022, 208, 209; Juncker öAT 2022, 237). § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX knüpft – mangels abweichender Anhaltspunkte – mit den Begriffen „Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts“ an das allgemeine verwaltungsrechtliche Begriffsverständnis an. Danach sind Körperschaften des öffentlichen Rechts durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, rechtsfähige, mitgliedschaftlich verfasste Organisationen des öffentlichen Rechts, die regelmäßig staatliche Aufgaben mit idR hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen. Dabei setzt die besondere rechtliche Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen entsprechenden staatlichen Hoheitsakt, die Verleihung des Körperschaftsstatus, voraus (so zur inhaltsgleichen Vorgängernorm des § 71 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX aF BAG 16. Mai 2019 – 8 AZR 315/18 – Rn. 41, BAGE 167, 1).

17

(3) Hiervon sind kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts zu unterscheiden. Ihre Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 5 WRV in besonderer Weise verfassungsrechtlich begründet. Dies gilt unabhängig davon, ob der Status historisch bedingt anerkannt oder durch staatlichen Hoheitsakt verliehen wird (vgl. hierzu Korioth in Dürig/Herzog/Scholz Stand August 2023 WRV Art. 137 Rn. 72). Im Kontext des Grundgesetzes ist auch der den Religionsgesellschaften in Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV angebotene Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaften unterstützen. Die korporierten Religionsgesellschaften unterscheiden sich im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 1 WRV), grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht (BVerfG 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – Rn. 75 ff., BVerfGE 102, 370; vgl. auch BVerwG 27. Februar 2014 – 2 C 19.12 – Rn. 11, BVerwGE 149, 139; BAG 12. Oktober 2010 – 9 AZR 554/09 – Rn. 48; Kästner in Kahl/Waldhoff/Walter BK Stand April 2010 Art. 140 Rn. 370; Mager in v. Münch/Kunig GG 7. Aufl. Art. 140 Rn. 53 ff.). Die Möglichkeit der Organisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts dient der Verwirklichung des durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen (vgl. Anke in Anke/de Wall/Heinig HevKR § 4 Rn. 34; generell zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht: BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 90 ff., BVerfGE 137, 273; BAG 25. April 2023 – 9 AZR 253/22 – Rn. 40). Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 WRV vermittelt der Religionsgesellschaft bestimmte öffentlich-rechtliche Befugnisse, zu der die Organisationsgewalt gehört (BAG 12. Oktober 2010 – 9 AZR 554/09 – Rn. 50; vgl. auch BVerwG 25. November 2015 – 6 C 21.14 – Rn. 15, BVerwGE 153, 282). Dies gilt zwar auch für andere Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese sind allerdings nicht dem verfassungsrechtlich geschützten Rechtskreis der Religionsgesellschaften zuzurechnen. Eine Gleichstellung ist deshalb nicht anzunehmen. Weltliche und kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind wegen ihres unterschiedlichen Verhältnisses zum Staat nicht vergleichbar. Soweit die Revision im Übrigen auf „staatsähnliche Rechte“ bzw. „Privilegien“ kirchlicher Körperschaften verweist, bezieht sie sich auf Regelungen des Staatskirchenrechts, die keinen Bezug zu § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX aufweisen.

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(4) Der systematische Zusammenhang von § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX lässt nicht auf eine Einbeziehung der kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts schließen.

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(a) Die Regelung ist Teil der im Übrigen in § 154 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB IX vorgesehenen Bestimmung öffentlicher Arbeitgeber. § 154 Abs. 2 SGB IX richtet den Arbeitgeberbegriff an den Organisationseinheiten der öffentlichen Verwaltung aus. Anderenfalls wäre bei Beamten und Richtern der jeweilige Dienstherr als Arbeitgeber anzusehen, bei Arbeitnehmern käme es auf den Inhalt des Arbeitsvertrages an (Schneider in Hauck/Noftz SGB IX Stand Oktober 2019 § 154 Rn. 14; vgl. auch BeckOK SozR/Jabben Stand 1. September 2020 SGB IX § 154 Rn. 4). Mit Blick auf unterschiedliche Verpflichtungen (vgl. § 241 Abs. 1 SGB IX) soll auch eine hinreichende Abgrenzung zwischen den einzelnen Dienststellen ermöglicht werden (Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Kohte 8. Aufl. SGB IX §§ 154 – 163 Rn. 7). Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind von solchen Überlegungen jedoch nicht betroffen. Sie sind gerade kein Teil der öffentlichen Verwaltung.

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(b) Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich aus der in § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX vorgesehenen Erstreckung der Fiktionswirkung auf Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts kein Rückschluss auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts ziehen. Es handelt sich um gänzlich anders ausgestaltete Organisationsformen, die außerhalb des verfassungsrechtlich geschützten Rechtskreises der Religionsgesellschaften stehen.

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(5) Der Normzweck verlangt keine andere Betrachtung. § 154 Abs. 2 SGB IX soll die teilhaberechtliche Vorbildfunktion öffentlicher Arbeitgeber realisieren (vgl. Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben SGB IX 14. Aufl. § 154 Rn. 8). Diese entspricht der Zielsetzung des § 165 SGB IX (Düwell in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 165 Rn. 2; Kossens/von der Heide/Maaß/Kossens SGB IX 5. Aufl. § 165 Rn. 2). Der Gesetzgeber hat mit § 154 Abs. 2 SGB IX festgelegt, wer als öffentlicher Arbeitgeber gelten soll. Eine Einbeziehung der kirchlichen Körperschaften in diesen Kreis stünde zwar nicht im Widerspruch zur angestrebten Vorbildfunktion (vgl. Eufinger ZAT 2022, 208, 209; Fuhrmann ZAT 2023, 188, 193) und würde wohl dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechen (vgl. BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 102, BVerfGE 137, 273). Die Einbeziehung kirchlicher Körperschaften ist zur Erreichung des Normzwecks aber auch nicht zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, alle privaten Arbeitgeber den in § 165 SGB IX vorgesehenen Verpflichtungen nicht zu unterwerfen. Er ging davon aus, dass die dort genannten Verpflichtungen nicht unbedingt erforderlich sind, um eine Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Erwerbsleben zu ermöglichen. Ansonsten hätte er spätestens mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) den Kreis der Verpflichteten auf private Arbeitgeber erweitert. Ausgehend vom dargelegten Verständnis des Begriffs „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ ist folglich nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Kirchen, die ebenso staatsfern wie private Arbeitgeber sind, verpflichtend eine Vorbildfunktion auferlegen wollte. Allein aus der Interessenlage der schwerbehinderten Menschen kann nicht auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers geschlossen werden (hierauf abstellend aber Bauschke öAT 2023, 8, 10).

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(6) Ein Wille des Gesetzgebers zur Einordnung kirchlicher Körperschaften als öffentliche Arbeitgeber ergibt sich auch nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte der beiden sich ergänzenden Normen (Glöckner ZAT 2013, 49; vgl. auch LAG Hamm 21. Juli 2022 – 18 Sa 21/22 – zu II 1 a aa der Gründe). Kirchliche Einrichtungen werden dort nicht erwähnt.

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(a) § 165 SGB IX gilt seit dem 1. Januar 2018 und entspricht § 82 SGB IX aF (BT-Drs. 18/9522 S. 307). Dieser stellte eine Weiterentwicklung von § 14a SchwbG dar, der mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2000 ausschließlich für Arbeitgeber im Bereich des Bundes erstmals besondere Verpflichtungen wie die Einladung zum Vorstellungsgespräch vorsah (vgl. BT-Drs. 14/3645 S. 5 iVm. BT-Drs. 14/3372 S. 18; BAG 25. Juni 2020 – 8 AZR 75/19 – Rn. 34 ff., BAGE 171, 176). Mit § 14a SchwbG übernahm der Bund eine besondere Verantwortung und eine Vorbildfunktion (Gröninger/Thomas SchwbG 2001 § 14a Stand Januar 2001 Rn. 1). Mit § 82 SGB IX aF wurden dann erweiternd auch öffentliche Arbeitgeber iSv. § 71 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 SGB IX aF einbezogen (BT-Drs. 14/5074 S. 113).

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(b) Der ebenfalls seit dem 1. Januar 2018 geltende § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX entspricht § 71 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX aF. Diese Norm war wiederum inhaltsgleich mit § 5 SchwbG (vgl. BT-Drs. 14/5074 S. 112). Ursprünglich war die Regelung allerdings in § 3 Abs. 3 Nr. 4 Schwerbeschädigtengesetz enthalten. Danach galt jede sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts als „Arbeitgeber der öffentlichen Hand“. Dies bezog sich allerdings nur auf die damalige Beschäftigungspflicht nach § 3 Abs. 1 Schwerbeschädigtengesetz. Die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 3 Schwerbeschädigtengesetz (BT-Drs. 7/656 S. 26) verweist auf § 1 der Vierten Verordnung zur Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 30. Januar 1956 (BGBl. I S. 58). Durch § 1 Nr. 8 dieser Verordnung wurde jede sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts als Verwaltung im Sinne des seit 1. Mai 1953 geltenden § 3 Abs. 1 Buchst. a Schwerbeschädigtengesetz (BGBl. I S. 389) eingeordnet. Die Begründung zum Entwurf des Schwerbeschädigtengesetzes aus dem Jahr 1952 unterscheidet bzgl. der in § 3 Schwerbeschädigtengesetz vorgesehenen Beschäftigungspflicht nur zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft (BT-Drs. 1/3430 S. 29 f.). Es ist daher nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber zu irgendeinem Zeitpunkt die kirchlichen Körperschaften im hier fraglichen Zusammenhang als öffentliche Arbeitgeber angesehen hätte.

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bb) Dieses Verständnis von § 165 Satz 3 SGB IX iVm. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX verstößt nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG.

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(1) Nach Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt fördern. Bei der Einladungspflicht nach § 165 Satz 3 SGB IX handelt es sich um eine sog. positive Maßnahme iSv. Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG. Sie dient – wie dargestellt – der Förderung der Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt durch Besserstellung im Bewerbungsverfahren. Im deutschen Recht entspricht die Einladungspflicht einer positiven Maßnahme iSv. § 5 AGG (BVerwG 3. März 2011 – 5 C 16.10 – Rn. 17 f., BVerwGE 139, 135; BeckOK BGB/Horcher Stand 1. November 2023 AGG § 5 Rn. 21; ErfK/Schlachter 24. Aufl. AGG § 5 Rn. 1; Däubler/Beck/Reingard Zimmer AGG 5. Aufl. § 5 Rn. 53; EuArbRK/Mohr 5. Aufl. RL 2000/78/EG Art. 7 Rn. 11; zum Inhalt der Einladungspflicht: vgl. BAG 27. August 2020 – 8 AZR 45/19 – Rn. 51, BAGE 172, 78; 25. Juni 2020 – 8 AZR 75/19 – Rn. 40 ff., BAGE 171, 176).

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(2) Die Einordnung der Einladungspflicht als positive Maßnahme iSv. Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG gebietet nicht die Einbeziehung kirchlicher Körperschaften.

28

(a) Es besteht keine unionsrechtliche Pflicht zu positiven Fördermaßnahmen (EuArbRK/Mohr 5. Aufl. RL 2000/78/EG Art. 5 Rn. 4; ebenso zu § 5 AGG: MüKoBGB/Thüsing 9. Aufl. AGG § 5 Rn. 1; MHdB ArbR/Oetker 5. Aufl. § 16 Rn. 130). Insoweit verfügen die Mitgliedstaaten über ein Ermessen, das sie unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts auszuüben haben. Zu diesen gehört der Grundsatz der Gleichbehandlung, welcher in Art. 20 und Art. 21 GRC verankert ist. Eine unterschiedliche Behandlung ist demnach gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, dh., wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, und wenn diese unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht. Dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts (EuGH 9. März 2017 – C-406/15 – [Milkova] Rn. 53 ff.; Preis/Sagan/Grünberger/Husemann EuArbR 2. Aufl. Rn. 5.242).

29

(b) Vorliegend ist der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung nicht verletzt. Zwar werden schwerbehinderte Bewerber bei kirchlichen Körperschaften bezogen auf die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch schlechter gestellt als bei einer Bewerbung bei einem weltlichen öffentlichen Arbeitgeber. Dies ist aber ebenso wie bei privaten Arbeitgebern durch das Kriterium der Staatsferne gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte sich bei der Zielsetzung auf öffentliche Arbeitgeber im genannten Sinne beschränken. Er bezweckte nur die Schaffung einer Vorbildfunktion für diese besondere Kategorie von staatlichen Arbeitgebern und beschränkte damit die Intensität des Eingriffs in die grundsätzlich bestehende Freiheit der Arbeitgeber, das Bewerbungsverfahren auszugestalten. Es sollte gerade keine umfassende Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch für alle Arbeitgeber geschaffen werden. Eine Vorbildfunktion ergibt nur dann Sinn, wenn es Arbeitgeber gibt, denen andere, öffentliche Arbeitgeber als Vorbild dienen können. Die Einbeziehung staatsferner Arbeitgeber über den Grundsatz der Gleichbehandlung würde das legitime gesetzgeberische Konzept besonderer Verpflichtungen für öffentliche Arbeitgeber nicht ernst nehmen.

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cc) Eine Einladungspflicht für kirchliche Körperschaften kann auch nicht aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) abgeleitet werden.

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(1) Die UN-BRK steht im Rang eines Bundesgesetzes und ist eine Auslegungshilfe auch für deutsches Verfassungsrecht (BVerfG 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18 – Rn. 40). Die Bestimmungen der UN-BRK sind zudem integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 – C-335/11 ua. – [HK Danmark] Rn. 28 ff.). Die Richtlinie 2000/78/EG ist nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen (vgl. EuGH 10. Februar 2022 – C-485/20 – [HR Rail] Rn. 38; 11. September 2019 – C-397/18 – [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 39 f. mwN; BAG 7. September 2021 – 9 AZR 571/20 – Rn. 18 mwN, BAGE 175, 342; 27. August 2020 – 8 AZR 45/19 – Rn. 50, BAGE 172, 78).

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(2) Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. h UN-BRK sieht die Möglichkeit positiver Maßnahmen zugunsten behinderter Menschen vor (EuGH 9. März 2017 – C-406/15 – [Milkova] Rn. 49; vgl. auch zu Art. 5 Abs. 4 UN-BRK: BAG 24. Februar 2022 – 8 AZR 208/21 (A) – Rn. 48, BAGE 177, 188). Zur hier streitigen Frage einer Pflicht zur Einladung behinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verhalten sich die für das Arbeitsrecht maßgeblichen Regelungen der UN-BRK nicht. Es verbleibt daher der vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannte Ermessensspielraum der nationalen Gesetzgeber. Dieser wurde hier aus den genannten Gründen (oben Rn. 28 f.) nicht überschritten.

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dd) Die zu Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG bzw. § 9 Abs. 1 AGG ergangene Rechtsprechung (vgl. EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 55; BAG 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14 – Rn. 39, BAGE 164, 117) ist entgegen dem Vorbringen der Revision hier nicht einschlägig. Es geht nicht um das kirchliche Selbstverständnis und gerichtliche Kontrollbefugnisse, sondern um die Auslegung und Wirksamkeit einer gesetzlichen Regelung.

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ee) Entgegen der Auffassung der Revision ist hinreichend erkennbar, dass kirchliche Körperschaften keine öffentlichen Arbeitgeber iSv. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX sind. Zwar hat der Senat zu § 82 Satz 2 SGB IX aF, welcher § 165 Satz 3 SGB IX entsprach, ausgeführt, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der Beschäftigte bzw. Bewerber ohne Schwierigkeiten erkennen können müssen, ob den Arbeitgeber die besonderen Pflichten eines öffentlichen Arbeitgebers treffen (BAG 16. Mai 2019 – 8 AZR 315/18 – Rn. 41, BAGE 167, 1). Dies bezog sich aber nur auf die Erkennbarkeit des Status einer öffentlichen Körperschaft. Eine solche Erkennbarkeit ist bei kirchlichen Körperschaften gegeben. Eine etwaige Unsicherheit des schwerbehinderten Bewerbers bzgl. des Umfangs der sich daraus ergebenden Verpflichtungen führt nicht zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Verpflichtung.

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ff) Das Landesarbeitsgericht hat folglich rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Beklagte kein öffentlicher Arbeitgeber iSv. § 165 Satz 3 SGB IX iVm. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX ist, obwohl er gemäß Art. 3 Abs. 3 der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 10. Januar 2003 (KABl. 2004 S. 86) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (zustimmend BeckOK BGB/Horcher Stand 1. November 2023 AGG § 3 Rn. 39; wohl auch Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Kohte 8. Aufl. SGB IX §§ 154 – 163 Rn. 7; aA Eufinger ZAT 2022, 208; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2023 AGG § 22 Rn. 12).

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c) Eine Verpflichtung zur Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch folgt – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht aus einer kirchlichen Selbstbindung bzgl. der Anwendung staatlicher Schutznormen.

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aa) Der Kläger hat erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise vorgetragen, dass kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts sich aus dem kirchlichen Selbstverständnis heraus zur Anwendung der staatlichen Schutzvorschriften für behinderte Menschen als Mindeststandard verpflichtet hätten. Er hat hierzu auf die Ordnung für die Mitarbeitervertretungen im Bistum Mainz und den Orientierungsrahmen zur Inklusion der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD-Texte 141) verwiesen.

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bb) Es kann unentschieden bleiben, ob es sich hierbei um neuen Sachvortrag handelt, der in der Revisionsinstanz nach § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig ist (BAG 31. Mai 2023 – 5 AZR 273/22 – Rn. 19). Eine Selbstbindung des Beklagten wäre auch bei Berücksichtigung des Vorbringens nicht erkennbar. Zwar wäre die Selbstbindung eines kirchlichen Arbeitgebers bzgl. der Einladung schwerbehinderter Bewerber im Bewerbungsverfahren denkbar. Dies würde aber besondere Anhaltspunkte voraussetzen (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 1 AZR 367/15 – Rn. 14, BAGE 158, 148). Der Beklagte hat als eigenständige juristische Person und potentieller Arbeitgeber auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht zu erkennen gegeben, dass er entsprechend § 165 Satz 3 SGB IX verfahren will. Gleiches gilt für die Evangelische Kirche im Rheinland. Bloße Erklärungen der Evangelischen Kirche in Deutschland – wie der vorgelegte Orientierungsrahmen zur Inklusion – sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Sie können keine Bindung des rechtlich selbstständigen Beklagten gegenüber Dritten im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens bewirken. Bei dem Orientierungsrahmen handelt es sich nur um Vorschläge gegenüber den kirchlichen Einrichtungen, dh. um Empfehlungen ohne kirchenrechtlich bindenden Rechtscharakter. Es kann daher offenbleiben, welche Rechtswirkungen ein Verstoß des Beklagten gegen kirchenrechtlich bindende Vorgaben in Bezug auf den Kläger hätte (zu Verstößen gegen kirchliche Arbeitsrechtsregelungen vgl. BAG 24. Mai 2018 – 6 AZR 308/17 – Rn. 38, BAGE 163, 56). Soweit die Revision auf Regelungen des römisch-katholischen Bistums Mainz verweist, ist offensichtlich, dass diese einen evangelischen Kirchenkreis nicht binden können.

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d) Der im Revisionsverfahren zu berücksichtigende Vortrag des Klägers lässt auch im Übrigen nicht auf eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung schließen. Verfahrensrügen wurden vom Kläger nicht erhoben.

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4. Auf eine Benachteiligung wegen eines anderen in § 1 AGG genannten Merkmals hat sich der Kläger nicht berufen.

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Spinner    

        

    Berger    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Hubert Bloesinger    

        

    Kristin Förster