1 ABR 18/21

Zustimmungsersetzung - rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrats

Details

  • Aktenzeichen

    1 ABR 18/21

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2022:111022.B.1ABR18.21.0

  • Art

    Beschluss

  • Datum

    11.10.2022

  • Senat

    1. Senat

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Mai 2021 – 9 TaBV 42/20 – aufgehoben.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 5. August 2020 – 3 BV 4/20 – wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers N richtet.

Im Übrigen wird das Verfahren hinsichtlich des Antrags auf Feststellung, dass die vorläufige Versetzung des Arbeitnehmers N aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, eingestellt.

Entscheidungsgründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme.

2

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen, das zum Konzern der D Group gehört. Sie beschäftigt in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer.

3

Im Rahmen einer Umgestaltung ihrer Betriebsorganisation wies die Arbeitgeberin dem bisherigen Leiter der Abteilung Zielgruppenintelligenz – Herrn N – ab dem 25. Mai 2018 die Position des Leiters der von ihr neu eingerichteten Abteilung Quality Services Dialogmarketing zu. Den Betriebsrat beteiligte sie zuvor nicht. Auf dessen Antrag gab das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin durch Beschluss vom 13. Juni 2019 auf, die Maßnahme aufzuheben. Gegen diesen Beschluss legte die Arbeitgeberin Beschwerde ein. Am 10. Januar 2020 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie nehme die Versetzung von Herrn N zurück. Daraufhin erklärten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Verfahren wurde eingestellt.

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Ebenfalls am 10. Januar 2020 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat, der beabsichtigten erneuten Versetzung von Herrn N auf die Stelle des Leiters der Abteilung Quality Services Dialogmarketing zuzustimmen. Zudem teilte sie dem Betriebsrat mit, dass sie diese Versetzung vorläufig durchführen werde.

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Mit Schreiben vom 14. Januar 2020 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung.

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Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, die Zustimmung des Betriebsrats sei gerichtlich zu ersetzen. Das Zustimmungsgesuch vom 10. Januar 2020 beziehe sich auf eine andere personelle Maßnahme als die im Mai 2018 durchgeführte Versetzung von Herrn N.

7

Die Arbeitgeberin hat – soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse – beantragt,

        

1.    

die Zustimmung des Betriebsrats zu der Versetzung des Arbeitnehmers N von der Abteilung Zielgruppenintelligenz (alt) in die neue Abteilung Quality Services Dialogmarketing als Abteilungsleiter zu ersetzen;

        

2.    

festzustellen, dass die vorläufige Durchführung der im Antrag zu 1. genannten Versetzung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.

8

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, seine Zustimmung könne nicht gerichtlich ersetzt werden. Die Versetzung von Herrn N müsse zunächst tatsächlich aufgehoben werden.

9

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat den Anträgen auf die Beschwerde der Arbeitgeberin stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren auf Antragsabweisung weiter.

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B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

11

I. Der Antrag der Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen, bleibt erfolglos.

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1. Allerdings ist er zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.

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a) Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG setzt voraus, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei der vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Maßnahme hat und es daher seiner Zustimmung bedarf (vgl. BAG 20. Oktober 2021 – 7 ABR 34/20 – Rn. 17; 12. Juni 2019 – 1 ABR 5/18 – Rn. 14 mwN, BAGE 167, 43).

14

b) Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

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aa) Im Unternehmen der Arbeitgeberin sind in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer tätig.

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bb) Das Landesarbeitsgericht hat zudem in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, bei der personellen Maßnahme handele es sich um eine Versetzung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

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(1) Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist eine – nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungsbedürftige – Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. „Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit so verändert, dass die neue Aufgabe vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus der Änderung des Arbeitsinhalts und einer damit verbundenen geänderten Verantwortung, aus einem Wechsel des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit oder aus einer Änderung der Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit ergeben (vgl. BAG 17. November 2021 – 7 ABR 18/20 – Rn. 13; 29. September 2020 – 1 ABR 21/19 – Rn. 24 mwN, BAGE 172, 292).

18

(2) Soweit der Begriff der Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, steht dem Landesarbeitsgericht bei deren Prüfung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine tatrichterliche Würdigung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf überprüfbar, ob es den jeweiligen Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (vgl. BAG 17. November 2021 – 7 ABR 18/20 – Rn. 15; 29. September 2020 – 1 ABR 21/19 – Rn. 26 mwN, BAGE 172, 292).

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(3) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Es hat angenommen, die Zuweisung der Tätigkeit eines Leiters der Abteilung Quality Services Dialogmarketing an Herrn N überschreite nicht nur die Dauer von einem Monat, sondern sei auch mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden, unter denen er seine Arbeit zu leisten habe. Herr N müsse auf dieser Stelle neue Aufgaben in einer anderen betrieblichen Einheit verrichten. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder die unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt, die dem Begriff der Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG zugrunde liegen, noch gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen.

20

cc) Anhaltspunkte dafür, dass Herr N leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG wäre, sind weder dargetan noch ersichtlich. Die Arbeitgeberin hat ihren Einwand, die Versetzung von Herrn N sei nicht zustimmungsbedürftig, weil er leitender Angestellter sei, durch keinen hierauf bezogenen Sachvortrag vertieft.

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2. Der Zustimmungsersetzungsantrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin hat das Zustimmungsverfahren am 10. Januar 2020 nicht ordnungsgemäß eingeleitet.

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a) Voraussetzung für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Nur diese setzt die Frist für die Zustimmungsverweigerung in Lauf (vgl. BAG 20. Oktober 2021 – 7 ABR 34/20 – Rn. 26 mwN; 9. April 2019 – 1 ABR 25/17 – Rn. 28 mwN).

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b) Die Unterrichtung durch die Arbeitgeberin und ihr Gesuch auf Erteilung der Zustimmung durch den Betriebsrat vom 10. Januar 2020 sind nicht „vor“ der Versetzung von Herrn N auf die Stelle des Abteilungsleiters Quality Services Dialogmarketing und damit nicht ordnungsgemäß erfolgt.

24

aa) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat „vor“ der personellen Maßnahme zu unterrichten und die Zustimmung zu der „geplanten“ Maßnahme einzuholen. Auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts macht es grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder eine solche zumindest noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann (vgl. zur Einstellung BAG 21. November 2018 – 7 ABR 16/17 – Rn. 18, BAGE 164, 230). Eine Unterrichtung des Betriebsrats, die erst nach einer – zustimmungsbedürftigen – Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfolgt, ist nicht fristgerecht und damit nicht ordnungsgemäß iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG (vgl. zur Einstellung BAG 21. November 2018 – 7 ABR 16/17 – aaO).

25

bb) Danach sind die Unterrichtung des Betriebsrats und die Bitte um Zustimmung am 10. Januar 2020 nicht rechtzeitig erfolgt. Die Arbeitgeberin hat die Versetzung von Herrn N – ohne Beteiligung des Betriebsrats – bereits zum 25. Mai 2018 endgültig durchgeführt. Seit dieser Zeit ist Herr N ununterbrochen auf der ihm zugewiesenen Stelle eines Leiters der Abteilung Quality Services Dialogmarketing eingesetzt. Die bloße Mitteilung der Arbeitgeberin, sie nehme die Versetzung „zurück“ und diese erfolge ab sofort nur noch „vorläufig“, bedeutet entgegen ihrer Ansicht nicht, dass sie dadurch eine „neue“ Versetzung von Herrn N geplant hätte, für die ein Zustimmungsverfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß hätte eingeleitet werden können.

26

(1) Zwar ist der Arbeitgeber nicht gehindert, noch während des Laufs eines von ihm eingeleiteten gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens einen neuen Versetzungsvorgang nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beginnen mit der Folge, dass sich das gerichtliche Verfahren erledigt, wenn er das ursprüngliche Zustimmungsersuchen an den Betriebsrat zurückzieht. Auch ist es ihm unbenommen, nach (rechtskräftigem) Unterliegen in einem solchen Verfahren die auf das gleiche Ziel gerichtete personelle Maßnahme erneut nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einzuleiten und ggf. den Weg des § 99 Abs. 4, § 100 Abs. 2 BetrVG zu beschreiten. Unter diesen Umständen ist es ihm ebenso wenig verwehrt, bereits während eines noch laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens ein weiteres Zustimmungsersuchen an den Betriebsrat zu richten und bei erneuter Verweigerung der Zustimmung ein eigenständiges Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu betreiben. Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat ggf. mehrmals hintereinander um Zustimmung zur Einstellung oder Versetzung desselben Arbeitnehmers auf denselben (neuen) Arbeitsplatz ersuchen. Er kann dementsprechend mehrere Zustimmungsersetzungsverfahren – nacheinander oder auch zeitlich parallel – bei Gericht anhängig machen, weil sie – trotz des gleichen Rechtsschutzziels – prozessual unterschiedliche Verfahrensgegenstände haben. In allen Fällen ist allerdings stets erforderlich, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme Abstand genommen und eine neue – eigenständige – Einstellung oder Versetzung eingeleitet hat (vgl. BAG 21. November 2018 – 7 ABR 16/17 – Rn. 21 mwN, BAGE 164, 230).

27

(2) Erfolgt eine Einstellung oder – wie hier – eine Versetzung ohne Beteiligung des Betriebsrats, kann der Arbeitgeber von der bereits durchgeführten personellen Einzelmaßnahme nur Abstand nehmen, indem er die Maßnahme tatsächlich aufhebt. Es genügt nicht, wenn er den Betriebsrat lediglich nachträglich um Zustimmung zur bereits (endgültig) vorgenommenen Einstellung oder Versetzung ersucht oder – wie im Entscheidungsfall – nur mitteilt, er nehme die Versetzung „zurück“ und führe sie nunmehr nur noch „vorläufig“ durch. Dies folgt aus § 101 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat die Aufhebung einer personellen Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verlangen, wenn der Arbeitgeber sie ohne seine Zustimmung durchführt. Es widerspräche dem Zweck dieser Norm, wenn der Arbeitgeber den durch den endgültigen Vollzug der personellen Maßnahme begründeten betriebsverfassungswidrigen Zustand durch bloße Nachholung der Betriebsratsbeteiligung beseitigen könnte. Mit der Vorschrift des § 101 BetrVG sollte dem Betriebsrat ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, welches gewährleistet, dass der Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats achtet und die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einhält. Dies ist nur sichergestellt, wenn der Arbeitgeber im Fall einer unterbliebenen Beteiligung ein – ordnungsgemäßes – Zustimmungsersuchen allein bei vorheriger Aufhebung der ursprünglichen Maßnahme an den Betriebsrat richten kann (vgl. ausf. BAG 21. November 2018 – 7 ABR 16/17 – Rn. 22 f., BAGE 164, 230).

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(3) Die Arbeitgeberin hat die bereits im Mai 2018 endgültig durchgeführte Versetzung von Herrn N zu keinem Zeitpunkt tatsächlich aufgehoben oder dessen Einsatz auf dieser Stelle zwischenzeitlich unterbrochen. Unerheblich ist, dass ihr nach erfolgter Umorganisation eine Beschäftigung von Herrn N auf seinem früheren Arbeitsplatz unmöglich sein dürfte. Der Vollzug einer bereits endgültig durchgeführten Versetzung kann nicht lediglich durch eine „Rückversetzung“ des betroffenen Arbeitnehmers auf seinen bisherigen Arbeitsplatz aufgehoben werden. Entscheidend ist vielmehr, dass der Einsatz von Herrn N auf seiner ihm zuletzt zugewiesenen Stelle als Leiter der Abteilung Quality Services Dialogmarketing – zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines etwaigen neuen Beteiligungsverfahrens nach § 99 Abs. 1, § 100 Abs. 2 BetrVG – unterbleibt.

29

II. Im Hinblick auf den Antrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG war das Verfahren einzustellen (vgl. dazu BAG 10. März 2009 – 1 ABR 93/07 – Rn. 49 mwN, BAGE 130, 1).

        

    Gallner    

        

    Rinck    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    Olaf Kunz    

        

    Fritz