1 ABR 28/21

Sozialplan - wirtschaftliche Vertretbarkeit

Details

  • Aktenzeichen

    1 ABR 28/21

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2023:140223.B.1ABR28.21.0

  • Art

    Beschluss

  • Datum

    14.02.2023

  • Senat

    1. Senat

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Oktober 2021 – 7 TaBV 19/21 – aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberinnen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 2. März 2021 – 2 BV 1/20 – abgeändert, soweit der Antrag der Arbeitgeberinnen abgewiesen wurde.

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 18. Dezember 2019 (Sozialplan D) unwirksam ist.

Leitsatz

Die Dotierung eines – außerhalb eines Insolvenzverfahrens aufgestellten – Sozialplans ist für das Unternehmen regelmäßig nicht wirtschaftlich vertretbar, wenn die Erfüllung der sich aus ihm ergebenden Verbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals führt. Aus den Vorgaben des § 123 InsO ergibt sich nichts Abweichendes.

Entscheidungsgründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch Einigungsstellenspruch beschlossenen Sozialplans.

2

Die beiden antragstellenden Arbeitgeberinnen – die D Holding GmbH (D Holding) und die D B&G GmbH (D B&G) – unterhielten bis April 2019 in P einen Gemeinschaftsbetrieb mit zuletzt insgesamt etwa 276 Arbeitnehmern. Der Beteiligte zu 3. ist der für diesen Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat.

3

Die D B&G erzielte über mehrere Jahre negative Ergebnisse. Diese wurden zuletzt im Jahr 2015 von der D Holding auf der Grundlage eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ausgeglichen. Ab dem Jahr 2017 war das Eigenkapital der D B&G vollständig aufgezehrt. Am 31. Oktober 2019 wies deren Bilanz einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag iHv. etwa 12 Mio. Euro und zum 31. Dezember 2019 iHv. 15,8 Mio. Euro aus. Die Verbindlichkeiten des Unternehmens betrugen zu beiden Zeitpunkten mehr als 19 Mio. Euro. Zur Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung waren „gruppeninterne Forderungen“ subordiniert.

4

Im Oktober 2018 erteilte eine britische Konzerngesellschaft der D B&G eine auf einen Höchstbetrag von 4 Mio. Euro begrenzte Liquiditätszusage „für eine insolvenzvermeidende Betriebsstilllegung“. Der Betrag sollte deren – anhand einer „Liquiditätsplanung“ ermittelten – Bedarf an „liquiden Mitteln“ bis zum 31. Dezember 2019 abdecken. Für den Fall, dass der Liquiditätsbedarf der D B&G größer sein sollte, bestand eine Verhandlungspflicht „nach Treu und Glauben“. Die Liquiditätszusage galt „ausdrücklich nicht für etwaige Liquiditätslücken der Gesellschaft, welche im Zusammenhang mit Leistungen unter einem wie auch immer gearteten Sozialplan stehen“. Darüber hinaus verpflichtete sich die britische Konzerngesellschaft, einen etwaigen „Vorfinanzierungsbedarf“ der D B&G im Jahr 2020 iHv. bis zu 1 Mio. Euro zu decken.

5

Die Arbeitgeberinnen informierten den Betriebsrat am 24. April 2018 über die geplante Betriebsstilllegung zum 30. April 2019. Die in der Folgezeit gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle beschloss am 18. Dezember 2019 einen Sozialplan. Dort heißt es auszugsweise:

        

„§ 1 Geltungsbereich

        

1. Die Regelungen dieses Sozialplans gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 1 BetrVG des Gemeinschaftsbetriebs der D B&G GmbH … und der D Holding GmbH … in P, die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Sozialplans bereits länger als 6 Monate in einem Arbeitsverhältnis zu den Gesellschaften stehen und deren Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige betriebsbedingte Beendigungskündigung wegen Betriebsstilllegung beendet worden ist.

        

2. Der Sozialplan findet keine Anwendung auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen,

        

…       

        

g) die im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei einem anderen zur D-Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen zu gleichwertigen oder besseren Arbeitsbedingungen und unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses weiterbeschäftigt werden oder ohne wichtigen Grund ein solches zumutbares Angebot ausgeschlagen haben.

        

…       

        

§ 3 Gesamtvolumen des Sozialplans

        

Der Sozialplan wird mit insgesamt EUR 3 Mio. ausgestattet. Darüberhinausgehende Zahlungen sind nicht geschuldet. Die pauschale Ausgleichszahlung für rentennahe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (§ 4 Nr. 4) wird dem dotierten Betrag vorab entnommen. Der Restbetrag wird nach den Regeln des § 4 Nr. 1 – 3 vergeben. Die beiden Arbeitgeberinnen schulden nur … [die] auf ihre Vertragsarbeitnehmer entfallenden Leistungen und tragen insoweit im Innen- wie im Außenverhältnis anteilig die Lasten des Sozialplans.

        

§ 4 Berechnung der Sozialplanansprüche/Ausschlusstatbestände

        

1. Auf der Grundlage des § 3 werden Sozialplanpunkte wie folgt vergeben:

        

…       

        

§ 5 Fälligkeit/Ausschlussfrist

        

1. Die Abfindungsansprüche entstehen mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie werden in drei gleich großen Raten zum 29. Februar, 30. April und 30. Juni 2020 fällig. …“

6

Von den unter den Geltungsbereich des Sozialplans fallenden Arbeitnehmern waren lediglich zwei bei der D Holding beschäftigt. Der ihnen zustehende Abfindungsbetrag belief sich auf insgesamt etwa 65.000,00 Euro. Die übrigen Anspruchsberechtigten waren Arbeitnehmer der D B&G.

7

Der vom Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnete Spruch wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberinnen am 14. Januar 2020 zugeleitet.

8

Mit dem am 27. Januar 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag haben die Arbeitgeberinnen den Spruch angefochten. Sie haben geltend gemacht, die Einigungsstelle habe mit der Festlegung eines Sozialplanvolumens iHv. 3 Mio. Euro ihr Ermessen überschritten. Der Betrag führe zum einen zu einer Überkompensation der den Arbeitnehmern infolge der Betriebsschließung entstehenden Nachteile, zum anderen sei er für die D B&G wirtschaftlich nicht vertretbar.

9

Die Arbeitgeberinnen haben beantragt

        

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle zur Entscheidung über die Aufstellung eines Sozialplans vom 18. Dezember 2019 unwirksam ist.

10

Der Betriebsrat hat – zuletzt – beantragt, den Antrag abzuweisen.

11

Die Vorinstanzen haben den Antrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Arbeitgeberinnen ihr Feststellungsbegehren weiter.

12

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen ist begründet.

13

I. Am Verfahren ist – neben den antragstellenden Arbeitgeberinnen – der Betriebsrat beteiligt. Er hat nach der Stilllegung des Gemeinschaftsbetriebs gemäß § 21b BetrVG ein Restmandat inne und ist deshalb nach § 83 Abs. 3 ArbGG zu hören. Unerheblich ist, dass die Arbeitgeberinnen in einem gesonderten Beschlussverfahren die Auflösung des Betriebsrats verfolgen. Erst durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung hierüber könnte das Restmandat enden (vgl. BAG 27. Juli 2016 – 7 ABR 14/15 – Rn. 25, BAGE 156, 1).

14

II. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Arbeitgeberinnen zu Unrecht abgewiesen.

15

1. Der Antrag ist zulässig. Da eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle keine rechtsgestaltende Wirkung hat, ist er zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtet (vgl. BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 12 mwN).

16

2. Der Antrag ist auch begründet. Der Spruch der Einigungsstelle vom 18. Dezember 2019 ist unwirksam. Dabei kann offenbleiben, ob die Einigungsstelle für die Aufstellung des für beide Arbeitgeberinnen geltenden Sozialplans zuständig war. Zwar haben beide eine Betriebsänderung in Form einer Stilllegung ihres Gemeinschaftsbetriebs (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) vorgenommen. Ob es aber in diesem Fall für die Erzwingbarkeit eines solchen Sozialplans genügt, wenn dort in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren (in diesem Sinn Oetker GK-BetrVG 12. Aufl. § 111 Rn. 17; Gaul NZA 2003, 695), oder ob es hierfür darauf ankommt, dass – was für die D Holding vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt wurde – jedes Trägerunternehmen die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt (in diesem Sinn etwa Fitting 31. Aufl. § 111 Rn. 23; Richardi/Annuß BetrVG 17. Aufl. § 111 Rn. 26; Wißmann FS 25 Jahre ARGE Arbeitsrecht im DAV 2006 S. 1037, 1050; differenzierend Schweibert in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen 6. Aufl. Teil C Rn. 10 f.), bedarf keiner Entscheidung. Der Spruch ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil die Einigungsstelle die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten hat.

17

a) Die Arbeitgeberinnen sind mit dem Vorbringen eines Ermessensverstoßes nicht nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG ausgeschlossen. Sie haben den ihnen am 14. Januar 2020 zugeleiteten Spruch der Einigungsstelle mit einem am 27. Januar 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag und damit innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Erhalt gerichtlich angefochten.

18

b) Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle nach § 76 Abs. 5 Satz 4, § 112 Abs. 5 BetrVG ist, ob sich der Spruch der Einigungsstelle als angemessener Ausgleich der Belange der beteiligten Unternehmen auf der einen und der betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erweist. Die Frage, ob die der Einigungsstelle gezogenen Ermessensgrenzen eingehalten sind, unterliegt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Maßgeblich ist allein die getroffene Regelung. In ihr – als Ergebnis des Abwägungsvorgangs – muss eine Überschreitung der Ermessensgrenzen liegen (vgl. BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 18 mwN).

19

c) Nach § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG hat die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung über einen Sozialplan sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das oder die Unternehmen zu achten. Im Rahmen billigen Ermessens muss sie unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls Leistungen zum Ausgleich oder zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile vorsehen, dabei die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und die Förderungsmöglichkeiten berücksichtigen sowie bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG; vgl. BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 19 mwN). Der Ausgleichs- und Milderungsbedarf bemisst sich ausschließlich nach den den Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteilen und nicht nach der Wirtschaftskraft des Unternehmens. Der wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Sozialplans für den Arbeitgeber kommt – wie § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zeigt – lediglich eine Korrekturfunktion zu (BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 19; ausf. BAG 24. August 2004 – 1 ABR 23/03 – zu B III 2 c cc der Gründe, BAGE 111, 335).

20

d) Ficht der Arbeitgeber den Einigungsstellenspruch wegen Überdotierung des Sozialplans an, hat er entweder darzulegen, dass dessen Regelungen zu einer Überkompensation der den Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteile führen und schon deshalb die Obergrenze des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verletzen oder dass sie die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen überschreiten (vgl. BAG 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 19; 24. August 2004 – 1 ABR 23/03 – zu B III 2 c dd der Gründe, BAGE 111, 335).

21

e) Ausgehend hiervon hat die Einigungsstelle den ihr zustehenden Ermessensspielraum überschritten.

22

aa) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberinnen folgt dies allerdings nicht schon daraus, dass die Beteiligten übereinstimmend von einer Ermessensüberschreitung ausgingen. Abgesehen davon, dass der Betriebsrat im gerichtlichen Verfahren die Wirksamkeit des Sozialplans und damit gerade keinen Ermessensfehler geltend macht, handelt es sich bei der Ermessensfehlerhaftigkeit des Einigungsstellenspruchs um eine – uneingeschränkt überprüfbare – Rechts- und keine Tatsachenfrage (vgl. BAG 31. August 1982 – 1 ABR 27/80 – zu B IV 1 der Gründe, BAGE 40, 107). Sie kann deshalb nicht von den Beteiligten unstreitig gestellt werden.

23

bb) Die Arbeitgeberinnen nehmen auch zu Unrecht an, der Sozialplan führe zu einer Überkompensation der den Arbeitnehmern – voraussichtlich – entstehenden Nachteile.

24

(1) Bei der Bestimmung der ausgleichsbedürftigen Nachteile hat die Einigungsstelle einen Beurteilungsspielraum. Dieser betrifft die tatsächliche Einschätzung der mit der Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer voraussichtlich verbundenen wirtschaftlichen Folgen, die sich regelmäßig nicht in allen Einzelheiten sicher vorhersagen lassen, sondern nur Gegenstand einer Prognose sein können. Eine pauschalierende und typisierende Bewertung dieser wirtschaftlichen Nachteile ist daher zumeist unumgänglich (BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 22 mwN).

25

(2) Die Einigungsstelle hat ihren Beurteilungsspielraum insoweit nicht überschritten.

26

(a) Sie hat insbesondere den Bedarf der einzelnen Arbeitnehmer durch Festlegung eines Punkteschemas pauschalierend und typisierend bestimmt und bei der Bemessung der Abfindungen auch die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt in den Blick genommen. Dabei durfte sie die Auskunft der örtlichen Agentur für Arbeit zugrunde legen. Überdies hat sie berücksichtigt, dass sog. rentennahe Arbeitnehmer regelmäßig einen geringeren Ausgleichsbedarf haben. Arbeitnehmer, die im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei einem anderen zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen zu gleichwertigen oder besseren Arbeitsbedingungen und unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit unbefristet weiterbeschäftigt werden, hat sie von Sozialplanansprüchen ausgeschlossen.

27

(b) Die Arbeitgeberinnen haben nicht dargelegt, dass die im Sozialplan vorgesehenen Leistungen über die den Arbeitnehmern – prognostisch – entstehenden Nachteile hinausgegangen wären. Selbst wenn die Einigungsstelle – wie die Arbeitgeberinnen behaupten – von einer unzutreffenden Anzahl sozialplanberechtigter Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte, lässt sich dem Vortrag nicht entnehmen, dass es keine weiteren Nachteile – insbesondere solche nach § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG – gegeben hätte, deren Ausgleich von der Einigungsstelle hätte beschlossen werden können.

28

cc) Das Sozialplanvolumen überschreitet jedoch die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für die D B&G.

29

(1) Die wirtschaftliche Vertretbarkeit iSd. § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG richtet sich grundsätzlich auch dann nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des sozialplanpflichtigen Arbeitgebers, wenn das Unternehmen einem Konzern angehört. Dies zeigt der eindeutige Wortlaut von § 112 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Nur in Bezug auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ist nach § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG eine konzernbezogene Betrachtung vorzunehmen. Auch die Gesetzesmaterialien weisen nicht darauf hin, dass anstelle des Unternehmens auf die wirtschaftliche Lage des Konzerns abzustellen ist (BAG 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 17 mwN).

30

(2) Stellt die Einigungsstelle einen für mehrere Trägerunternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs geltenden Sozialplan auf, der – wie hier in § 3 Satz 5 SP sogar ausdrücklich vorgesehen – Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer nur gegen den Vertragsarbeitgeber begründet, muss dessen Volumen für den jeweiligen Arbeitgeber im Umfang seiner Inanspruchnahme wirtschaftlich vertretbar sein (ebenso Fitting 31. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 259; Richardi/Annuß BetrVG 17. Aufl. § 112 Rn. 144; HWK/Hohenstatt/Willemsen 10. Aufl. § 112 BetrVG Rn. 74; Schweibert in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen 6. Aufl. Teil C Rn. 324; Oetker/Schubert GK-BetrVG 12. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 381; aA DKW/Däubler 18. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 152). Es genügt nicht, dass das Gesamtvolumen des Sozialplans für eines der Unternehmen die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit nicht übersteigt. Ob etwas anderes gilt, wenn der Sozialplan eine gesamtschuldnerische Haftung der Trägerunternehmen vorsieht, und ob die Einigungsstelle dies – mit Blick auf die Regelungen in § 112 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 BetrVG – überhaupt beschließen könnte, kann dahinstehen (vgl. zur Frage der Vereinbarung einer gesamtschuldnerischen Haftung in einem einvernehmlich geschlossenen Sozialplan BAG 12. November 2002 – 1 AZR 632/01 – zu A II 2 e aa der Gründe mwN, BAGE 103, 312).

31

(a) Bereits der Wortlaut von § 112 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 BetrVG deutet darauf hin, dass auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Vertragsarbeitgebers abzustellen ist. Danach muss die Einigungsstelle die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung „für das Unternehmen“ berücksichtigen sowie bei der Bemessung des „Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen“ ua. darauf achten, dass der Fortbestand „des Unternehmens“ nicht gefährdet wird. Die Regelungen gehen von der Annahme aus, dass Träger des von der Betriebsänderung betroffenen Betriebs ein einziges Unternehmen ist, welches die finanziellen Lasten des Sozialplans zu tragen hat. Verteilen sich die Kosten eines Sozialplans anteilig auf mehrere Unternehmen, spricht dies dafür, auf deren jeweilige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die durch den Sozialplan begründeten Belastungen abzustellen.

32

(b) Der durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachte Sinn und Zweck der Regelungen bestätigt dies. § 112 Abs. 5 BetrVG wurde durch das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BGBl. I S. 710) zum 1. Mai 1985 eingeführt. Die Neuregelung sollte die Entscheidungen von Einigungsstellen berechenbarer und damit eine etwaige Sozialplanbelastung kalkulierbarer machen, um der Sorge mancher Arbeitgeber entgegenzuwirken, dass bei geplanten Betriebsänderungen unberechenbar hohe Sozialplanlasten auf das Unternehmen zukommen. Zugleich sollte sie im Fall einer Betriebsänderung eine finanzielle Entlastung der Unternehmen bewirken und damit bestehende Arbeitsplätze sichern sowie zusätzliche Beschäftigungschancen eröffnen (BT-Drs. 10/2102 S. 17). Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Sozialplandotierung jeweils bezogen auf den Vertragsarbeitgeber der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer beurteilt wird. Für ihn müssen die Kosten des Sozialplans im Umfang seiner finanziellen Inanspruchnahme wirtschaftlich vertretbar sein.

33

(3) Der auf die D B&G entfallende Teil des Sozialplanvolumens iHv. gut 2,9 Mio. Euro ist für das Unternehmen wirtschaftlich nicht vertretbar.

34

(a) Die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans sind in § 112 Abs. 5 BetrVG nicht gesetzlich geregelt. Maßgebend sind die Gegebenheiten des Einzelfalls. Dabei ist grundsätzlich von Bedeutung, ob und welche Einsparungen mit der Betriebsänderung verbunden sind, deren nachteilige Auswirkungen auf die Arbeitnehmer der Sozialplan kompensieren soll. Der Umstand, dass sich ein Unternehmen bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, entbindet es nach den Wertungen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht von der Notwendigkeit, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen. Sogar in der Insolvenz sind Betriebsänderungen nach § 123 InsO sozialplanpflichtig (BAG 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 18 mwN).

35

(b) Bei der Prüfung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belastet und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährdet, sind sowohl das Verhältnis von Aktiva und Passiva als auch die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Führt die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals, ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit regelmäßig überschritten. Das gilt auch, wenn ein Unternehmen seinen einzigen Betrieb stilllegt und damit – wie hier – nach Durchführung der Betriebsänderung keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Bereits die sprachliche Fassung von § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG zeigt, dass das Gesetz ausdrücklich zwischen dem Fortbestand des Unternehmens und der Aufrechterhaltung des von diesem unterhaltenen Betriebs (oder der Betriebe) unterscheidet. Auch nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers dürfen durch einen Abzug der für Sozialplanleistungen vorgesehenen finanziellen Mittel weder der Fortbestand des Unternehmens noch die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet werden (vgl. BT-Drs. 10/2102 S. 27). Bei einer vollständigen Betriebsstilllegung besteht das Unternehmen – als Rechtsträger des Betriebs – jedoch grundsätzlich fort (vgl. BAG 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 18). Ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn die Gesellschafter des Unternehmens nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG seine – rechtliche – Auflösung (Liquidation) beschließen, hatte der Senat nicht zu entscheiden. Für eine solche Absicht bestanden im Streitfall keine Anhaltspunkte.

36

(c) Ausgehend hiervon war die Dotierung des Sozialplans für die D B&G wirtschaftlich nicht vertretbar.

37

(aa) Die finanzielle Belastung der D B&G durch den Sozialplan iHv. gut 2,9 Mio. Euro war schon deshalb wirtschaftlich unvertretbar, weil die Arbeitgeberin bilanziell überschuldet war. Ausweislich der in das Beschlussverfahren eingeführten Bilanzen war das Eigenkapital der D B&G bereits seit mehreren Jahren vollständig aufgebraucht. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag (§ 268 Abs. 3 HGB) betrug am 31. Oktober 2019 12 Mio. Euro, am 31. Dezember 2019 fast 16 Mio. Euro.

38

(bb) Es fehlte der D B&G zudem an einer ausreichenden Liquidität, um die Sozialplanverbindlichkeiten bei ihrer Fälligkeit im Jahr 2020 bedienen zu können.

39

(aaa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verfügte das Unternehmen am 31. Oktober bzw. 31. Dezember 2019 über ein Bankguthaben iHv. 1,1 Mio. Euro, das jedoch iHv. etwa 1 Mio. Euro verpfändet war.

40

(bbb) Auch aus der Liquiditätszusage vom 16. Oktober 2018 ergaben sich keine hinreichenden liquiden Mittel zur Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten. Zum einen hatte sich die britische Konzerngesellschaft in dieser Zusage lediglich verpflichtet, diejenigen liquiden Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig waren, um etwaige Liquiditätslücken bis zum 31. Dezember 2019 zu schließen. Zum anderen war die Höhe der Liquiditätszusage auf maximal 4 Mio. Euro begrenzt. Diesem Betrag lag eine konkrete Berechnung des voraussichtlichen Bedarfs zugrunde, bei der mögliche Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan ausdrücklich ausgenommen waren. Bereits der Umstand, dass der der Bedarfsberechnung zugrunde gelegte Zeitraum zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs fast abgelaufen war, spricht dafür, dass die von der britischen Konzerngesellschaft zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel zumindest überwiegend aufgebraucht waren. Jedenfalls bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Zeitpunkt von den zugesagten Mitteln noch ein Betrag iHv. knapp 3 Mio. Euro übrig gewesen wäre. Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob die Kosten für einen Sozialplan von der Finanzierungszusage ausgenommen werden durften (vgl. für Patronatserklärungen, die Ansprüche auf Betriebsrentenanpassungen ausnehmen: zB BAG 21. Oktober 2014 – 3 AZR 1027/12 – Rn. 60; 29. September 2010 – 3 AZR 427/08 – Rn. 36 ff., BAGE 135, 344).

41

(ccc) Auch die – sich auf das Jahr 2020 beziehende – Vorfinanzierungszusage der britischen Konzerngesellschaft genügte nicht, um eine ausreichende Liquidität zu gewährleisten. Ungeachtet der Frage, ob diese Zusage Verbindlichkeiten aus einem noch abzuschließenden Sozialplan umfasst hätte, war sie auf den Betrag iHv. 1 Mio. Euro beschränkt. Dieser war unter keinen Umständen ausreichend, die Sozialplanverbindlichkeiten zu decken.

42

(ddd) Durch den – in der Liquiditätszusage festgelegten – Anspruch der D B&G auf Verhandlungen mit der britischen Konzerngesellschaft über die (etwaige) Zurverfügungstellung weiterer finanzieller Mittel war ebenfalls nicht sichergestellt, dass sie über die nötige Liquidität zur Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten verfügen würde. Das britische Unternehmen hatte – neben einer Verhandlungspflicht – ausdrücklich keinerlei Verpflichtung übernommen, tatsächlich eine weitergehende Liquiditätszusage abzugeben.

43

(cc) Die Einigungsstelle konnte auch nicht davon ausgehen, dass sich an dieser finanziellen Lage durch Verwertung des Anlagevermögens kurzfristig etwas ändern würde. Abgesehen davon, dass die Möglichkeit einer zeitnahen Verwertung nicht ersichtlich war, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass nach einer Verwertung und Abzug der bereits vorhandenen Verbindlichkeiten der D B&G ein Erlös von knapp 3 Mio. Euro für einen Sozialplan zur Verfügung gestanden hätte.

44

(4) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich aus § 123 InsO nichts Gegenteiliges. Die dortigen Vorgaben finden außerhalb eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung. Die Voraussetzungen für eine Analogie der Norm (vgl. hierzu BAG 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 – Rn. 39; 17. Dezember 2019 – 1 ABR 35/18 – Rn. 41 mwN, BAGE 169, 149) liegen nicht vor.

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(a) Es fehlt bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

46

(aa) Bei der Aufstellung eines Sozialplans vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers hat die Einigungsstelle nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ausschließlich die Vorgaben in § 112 Abs. 5 BetrVG in den Blick zu nehmen. Nach Maßgabe von § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG hat sie darauf zu achten, dass die Bemessung des Sozialplanvolumens für das betroffene Unternehmen wirtschaftlich vertretbar ist. Mit der Einfügung dieser Norm durch das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BGBl. I S. 710) zum 1. Mai 1985 wollte der Gesetzgeber die Bereitschaft der Arbeitgeber fördern, vermehrt Arbeitnehmer einzustellen. Zu diesem Zweck hat er ua. das – bereits im damaligen § 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG vorgesehene – Kriterium der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen konkretisiert. Durch die ausdrückliche Klarstellung, dass durch den „Abzug der für die [Sozialplan-]Leistungen vorgesehenen finanziellen Mittel weder der Fortbestand des Unternehmens noch die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet werden“ sollen, sollten die Unternehmen entlastet werden (vgl. BT-Drs. 10/2102 S. 17, 27). Dass dieser Regelungsplan unzureichend umgesetzt worden wäre, ist nicht ersichtlich.

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(bb) Auch durch das Inkrafttreten der §§ 123, 124 InsO zum 1. Januar 1999 ist keine – vom Gesetzgeber unbeabsichtigte – Gesetzeslücke entstanden. Die Regelungen in §§ 123, 124 InsO knüpften an die Bestimmungen im Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 (BGBl. I S. 369) an, die seit dem 21. Februar 1985 galten. In § 123 InsO hat der Gesetzgeber bewusst das „Modell“ übernommen, das bereits § 2 und § 4 dieses Gesetzes zugrunde lag (vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 154). § 124 InsO, der (insolvenznahe) Sozialpläne außerhalb des Insolvenzverfahrens in den Blick nimmt, wurde zwar rechtstechnisch ausdrücklich anders ausgestaltet als die Regelungen in §§ 3, 4 des früheren Gesetzes. Dennoch beruhen beide Bestimmungen auf demselben Grundgedanken einer Gleichstellung der erfassten Arbeitnehmer außerhalb und innerhalb des Insolvenzverfahrens (vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 155). Die Vorschriften stellen – wie zuvor die Bestimmungen im Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (vgl. dessen § 1) – Sonderregelungen dar, die den Zielen eines eröffneten Insolvenzverfahrens (vgl. § 1 Satz 1 InsO) Rechnung tragen sollen. Über diesen speziellen Anwendungsbereich hinausreichende rechtliche Vorgaben für die wirtschaftliche Vertretbarkeit von Sozialplänen für Unternehmen, die außerhalb eines geordneten Insolvenzverfahrens ihren einzigen Betrieb stilllegen und damit ihre wirtschaftliche Aktivität aufgeben, lassen sich ihnen nicht entnehmen. § 124 InsO zeigt lediglich, dass der Gesetzgeber den Abschluss von Sozialplänen auch zu einem insolvenznahen Zeitpunkt noch für möglich hält. Es ist aber nicht ersichtlich, dass er die Wertungen des § 123 InsO auch schon für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustande gekommene Sozialpläne herangezogen wissen wollte. Hiergegen spricht insbesondere, dass § 124 InsO – anders als § 3 des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren, der eine Teilunwirksamkeit des Sozialplans bei Überschreiten der nunmehr in § 123 InsO enthaltenen absoluten Obergrenze vorsah – den Widerruf von insolvenznahen Sozialplänen nicht davon abhängig macht, dass diese ein bestimmtes Volumen überschreiten.

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(b) Selbst wenn man annähme, es bestünde eine Regelungslücke, könnte diese nicht durch Heranziehung des § 123 InsO geschlossen werden. Ungeachtet des Umstands, dass die Norm lediglich „Obergrenzen“ vorsieht und es damit dem Betriebsrat und Insolvenzverwalter überlässt, ob diese ausgeschöpft werden (vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 154), würde der Gleichheitssatz es nicht erfordern, die Regelungen des § 123 InsO auch bei der Aufstellung von Sozialplänen außerhalb eines Insolvenzverfahrens anzuwenden. Während § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG einen Ausgleich der Interessen des Unternehmens auf der einen und denjenigen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erreichen will (vgl. BT-Drs. 10/2102 S. 27), treten bei § 123 InsO an die Stelle des Unternehmens nunmehr die Gläubiger im Insolvenzverfahren. Schon diese unterschiedlichen Interessenlagen stünden einer Gleichstellung entgegen. Hinzu kommt, dass die Anwendung des § 123 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO die Durchführung eines geordneten Insolvenzverfahrens verlangt. Hieran fehlt es, wenn ein Unternehmen seinen einzigen Betrieb außerhalb des Insolvenzverfahrens stilllegt und die verbliebenen Vermögenswerte veräußert.

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(c) Aus diesen Gründen kann der spezialgesetzlichen Regelung in § 123 InsO auch kein – wie auch immer gearteter – „Orientierungsmaßstab“ für die Dotierung von Sozialplänen außerhalb des Insolvenzverfahrens entnommen werden. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit eines Sozialplans für ein Unternehmen, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren nicht eröffnet wurde, bemisst sich aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nach anderen Maßstäben als nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Vor diesem Zeitpunkt ist für die Grenze dieser Vertretbarkeit entscheidend, ob der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet werden. Dies ist der Fall, wenn die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals führt. Der Senat muss diese gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Auslegung, die sich hierüber hinwegsetzen würde, würde unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingreifen (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 ua. – Rn. 73, BVerfGE 149, 126; BAG 19. November 2019 – 7 ABR 3/18 – Rn. 38, BAGE 168, 360).

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(5) Der D B&G ist es auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die wirtschaftliche Unvertretbarkeit des Sozialplanvolumens zu berufen. § 2 Abs. 1 BetrVG gebietet zwar die Anwendung dieser Grundsätze auch in der Betriebsverfassung (vgl. BAG 19. November 2019 – 7 ABR 52/17 – Rn. 30 mwN; 26. September 2018 – 7 ABR 18/16 – Rn. 56 mwN). Es ist aber kein treuwidriges Verhalten erkennbar, das die Berücksichtigung der schlechten wirtschaftlichen Lage verbieten würde. Bei der Liquiditätszusage handelt es sich um eine einseitige Erklärung des britischen Konzernunternehmens. Für die Annahme, beide Unternehmen hätten treuwidrig zusammengewirkt, um Sozialplanansprüche zu vermeiden, besteht keine Veranlassung.

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(6) Auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anderer Konzernunternehmen kommt es im Streitfall nicht an. Die Voraussetzungen für einen Bemessungsdurchgriff sind nicht gegeben.

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(a) Ob sich aus einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in entsprechender Anwendung von § 302 Abs. 1 AktG bei der Festsetzung des Sozialplanvolumens ein Bemessungsdurchgriff auf das herrschende Unternehmen ergibt, kann dahinstehen (offengelassen auch in BAG 15. März 2011 – 1 ABR 97/09 – Rn. 38, BAGE 137, 203). Der ehemals mit der D Holding bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wurde zum 31. Dezember 2015 aufgehoben.

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(b) Soweit der Betriebsrat die Vornahme von Vermögensverschiebungen zu anderen Konzerngesellschaften behauptet, rechtfertigt dies ebenfalls keinen Bemessungsdurchgriff. Abgesehen davon, dass es insoweit an konkreten Feststellungen fehlt, sind die Voraussetzungen für einen Bemessungsdurchgriff nicht gegeben. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum existenzvernichtenden Eingriff setzt die Haftung nach § 826 BGB ua. den Entzug von Vermögenswerten, die fehlende Kompensation oder Rechtfertigung des Vermögensentzugs und die dadurch hervorgerufene Insolvenz der Gesellschaft bzw. deren Vertiefung voraus (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 3 AZR 638/10 – Rn. 37, BAGE 144, 180; grundlegend BGH 16. Juli 2007 – II ZR 3/04 – Rn. 16 ff., 33, BGHZ 173, 246). Im Streitfall fehlt es jedenfalls am Eintritt der Insolvenz.

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f) Die Ermessensüberschreitung der Einigungsstelle in Bezug auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Sozialplanvolumens für die D B&G führt nach dem § 139 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken zur Unwirksamkeit des gesamten Einigungsstellenspruchs. Die Einigungsstelle hat für die beiden am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen einen Sozialplan aufgestellt und diesen einheitlich dotiert, ohne dass die absolute Höhe der einzelnen Abfindungen – etwa anhand einer Formel – berechenbar wäre. Deshalb kann der Spruch nicht lediglich bezogen auf Sozialplanansprüche gegen die D Holding aufrechterhalten werden.

        

    Ahrendt    

        

    Waskow    

        

    Rinck    

        

        

        

    Hayen    

        

    Rose