4 AZR 267/24

Bezugnahme auf mehrere Tarifwerke - ergänzende Vertragsauslegung

Details

  • Aktenzeichen

    4 AZR 267/24

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2025:210525.U.4AZR267.24.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    21.05.2025

  • Senat

    4. Senat

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 28. August 2024 – 4 Sa 1/24 – wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die dynamische Anwendbarkeit der Tarifverträge für die öffentlichen Banken aufgrund vertraglicher Bezugnahmeklausel.

2

Die Klägerin war zunächst bei der damaligen Südwestdeutschen Landesbank Girozentrale (Südwest LB) beschäftigt, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 14. November 1995 Mitglied des Bundesverbands öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) war. In § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags heißt es:

        

„Vertragsbestandteile sind das Einstellungsschreiben, und in ihren jeweiligen Fassungen die Betriebsordnung und die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken. …“

3

Das Einstellungsschreiben sieht in § 5 Abs. 2 vor, dass die Klägerin für den Fall der Verlagerung von Datenverarbeitungs-Bereichen der Südwest LB auf Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften dem Übergang des Arbeitsverhältnisses oder ihrer Abordnung dorthin zustimmt.

4

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging zum 1. Januar 1999 infolge Fusion der Südwest LB mit zwei weiteren Banken auf die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), eine Anstalt des öffentlichen Rechts, über. Diese war und ist Mitglied des VÖB. Die LBBW schloss mit der Klägerin im November 2006 einen Änderungsvertrag zur Reduzierung der Arbeitszeit. In dessen § 3 heißt es: „Im Übrigen bleiben die bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen unberührt.“ Zum 1. September 2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge Betriebsteilübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über.

5

Die LBBW und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di schlossen am 17. Juni 2013 einen „Überleitungstarifvertrag IT-Outsourcing“ (ÜTV), dessen Laufzeit am 31. Dezember 2019 ohne Nachwirkung endete. Nach dessen § 9 galten für diejenigen Beschäftigten, auf deren Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken schon zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses aufgrund originärer Tarifgebundenheit oder arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung gefunden haben, ua. diese Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung und in dem jeweiligen Zustand im Umfang der bisherigen Bezugnahme auch während der Laufzeit dieses Tarifvertrags. In einer gemeinsamen „Erklärung zum Überleitungstarifvertrag IT-Outsourcing“ der an dem Betriebsteilübergang beteiligten Unternehmen wurde allen davon betroffenen Arbeitnehmern zugesagt, dessen Inhalte auf ihre Arbeitsverhältnisse anzuwenden.

6

Nachdem zunächst die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen und später ver.di mit dem Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes und mit der Tarifgemeinschaft öffentlicher Banken, die im VÖB besteht und für ihre Mitglieder Tarifverträge schließt, nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über Jahrzehnte hinweg separate, aber inhaltlich identische Tarifverträge für die privaten Kreditinstitute und für die öffentlichen Banken geschlossen hatten, wurden erstmals im Jahr 2022 unterschiedliche Gehaltstarifverträge vereinbart. Im Bereich der öffentlichen Banken wurden die Gehälter zum 1. Juli 2022 um 3 vH und zum 1. Juli 2023 um 2 vH erhöht; im Bereich der privaten Banken erfolgte dies jeweils einen Monat später.

7

Die Beklagte gab diese Entgelterhöhungen nicht an die Klägerin weiter. Sie erhöhte das Gehalt der Klägerin erst nach Abschluss der „Betriebsvereinbarung zu ausstehenden Vergütungskomponenten aus den Tarifabschlüssen 2022 für das Bankgewerbe“ vom 14./15. Juni 2023 (BV Vergütungskomponenten) – wie darin vorgesehen – um 3 vH mit Wirkung zum 1. August 2022 und um 2 vH mit Wirkung zum 1. August 2023 und zahlte die rückständigen Erhöhungsbeträge mit der Entgeltabrechnung für Juli 2023 an die Klägerin aus.

8

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, sie nach den Tarifverträgen für die öffentlichen Banken zu vergüten. Die vertragliche Bezugnahmeklausel erfasse nur diese. Das ergebe sich jedenfalls aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Erhöhungsbeträge für die Monate August 2022 bis Mai 2023 infolge Zahlung übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die Klägerin – soweit für die Revision von Bedeutung – zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen,

        

1.    

an sie 115,27 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. August 2022 zu zahlen,

        

2.    

an sie Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten aus jeweils 115,27 Euro ab dem 1. September 2022, 4. Oktober 2022, 2. November 2022, 1. Dezember 2022, 2. Januar 2023, 1. Februar 2023, 1. März 2023, 3. April 2023, 2. Mai 2023 und 1. Juni 2023 bis zum 30. Juni 2023 zu zahlen,

        

3.    

an sie 79,24 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. August 2023 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, infolge der Auseinanderentwicklung der beiden Tarifwerke sei von einer statischen Bezugnahme auf den zuletzt identischen Tarifbestand auszugehen.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im noch streitgegenständlichen Umfang im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

12

I. Die Klage ist insgesamt zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass die Zinsforderungen für die Monate August 2022 bis Mai 2023 nicht beziffert sind. Sie lassen sich aufgrund der Angaben zum jeweiligen Zinszeitraum und zur begehrten Zinshöhe ohne weiteres errechnen (zu dieser Anforderung BGH 27. November 2023 – VIa ZR 1062/22 – Rn. 13). Nach dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag auf Zahlung aller Entgeltdifferenzen für den Zeitraum von Juli 2022 bis Juli 2023 gerichtet und dementsprechend als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl. dazu BAG 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 – Rn. 12, BAGE 179, 372).

13

II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann die Zahlung des Tarifentgelts nach den Tarifverträgen für die öffentlichen Banken für die Monate Juli 2022 und Juli 2023 nebst Zinsen sowie die Zahlung von Verzugszinsen auf die Entgeltdifferenzen für die Monate August 2022 bis Mai 2023 verlangen.

14

1. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthielt bis zum Auseinanderfallen der Tarifverträge für das private Bankgewerbe und der Tarifverträge für die öffentlichen Banken am 1. Juli 2022 eine zeitdynamische Bezugnahme auf beide Tarifwerke.

15

a) Der Arbeitsvertrag vom 14. November 1995 verweist in § 4 Abs. 1 dynamisch auf die Tarifverträge für das private Bankgewerbe sowie auf jene für die öffentlichen Banken. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts handelt es sich nicht um eine sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des Senats, deren Dynamik auf die Dauer der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin begrenzt ist.

16

aa) Der Arbeitsvertrag ist bereits nach seinem äußeren Erscheinungsbild ein Formularvertrag, der nach den Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen und dessen Auslegung durch das Landesarbeitsgericht in der Revisionsinstanz voll überprüfbar ist (vgl. hierzu BAG 12. Juni 2024 – 4 AZR 202/23 – Rn. 20 f.).

17

bb) Nach der früheren Rechtsprechung des Senats (ausf. BAG 14. Dezember 2005 – 4 AZR 536/04 – Rn. 24 ff., BAGE 116, 326; 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – Rn. 29 ff., BAGE 122, 74) galt die Auslegungsregel, dass es einer an die vertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge tarifgebundenen Arbeitgeberin darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmerinnen mit den organisierten hinsichtlich der Geltung dieser Tarifverträge „gleichzustellen“. Eine solche Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder in den Begleitumständen bei Vertragsschluss einschränkend dahingehend ausgelegt, dass in den Inhalt der übereinstimmenden Willenserklärungen über den Wortlaut hinaus eine auflösende Bedingung hineingelesen wurde, nach der die Dynamik nur so weit reicht, wie dies bei einer tarifgebundenen Arbeitnehmerin der Fall wäre. Diese endet, wenn die Arbeitgeberin wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden war. Diese Auslegungsregel wendet der Senat aus Gründen des Vertrauensschutzes bei vor dem 1. Januar 2002 vereinbarten Bezugnahmeklauseln (sog. Altverträge) weiterhin an (BAG 13. Dezember 2023 – 4 AZR 286/22 – Rn. 16; 28. April 2021 – 4 AZR 229/20 – Rn. 33, BAGE 174, 382, jeweils mwN).

18

cc) Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Vielmehr handelt es sich bei der im Arbeitsvertrag enthaltenen Regelung um eine zeitdynamische Bezugnahme sowohl auf die Tarifverträge für das private Bankgewerbe als auch auf die für die öffentlichen Banken und nicht um eine sog. Gleichstellungsabrede.

19

(1) Die Bezugnahmeregelung erfasst schon nach dem Wortlaut beide Tarifwerke. Für eine einschränkende Auslegung, sie verweise nur auf die Tarifverträge für die öffentlichen Banken, bestehen entgegen der Ansicht der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte.

20

Der Umstand, dass die Südwest LB als Mitglied des VÖB an die Tarifverträge für die öffentlichen Banken, nicht aber an die Tarifverträge für das private Bankgewerbe gebunden war, genügt nicht. Die Mitgliedschaft hat in der Bezugnahmeregelung zudem keinen Niederschlag gefunden. Eine tarifgebundene Arbeitgeberin ist darüber hinaus nicht gehindert, die Anwendbarkeit eines nicht einschlägigen Tarifvertrags zu vereinbaren. Daher kommt es nicht auf die tarifliche Regelung des fachlichen Geltungsbereichs an, sondern auf die vertragliche Abrede, dass diese Tarifbestimmungen für das Arbeitsverhältnis maßgebend sind. Für eine einschränkende Auslegung spricht auch nicht der Umstand, dass die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken über Jahrzehnte hinweg und auch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses inhaltsgleich waren. Vielmehr bestand deshalb bei Vertragsschluss – für eine verständige und redliche Vertragspartnerin der Klauselverwenderin erkennbar – kein Anlass, die Bezugnahme einschränkend zu formulieren oder eine Regelung für den Fall des inhaltlichen Auseinanderlaufens in diese aufzunehmen.

21

(2) Die Bezugnahmeklausel verweist damit auch auf die Tarifverträge für das private Bankgewerbe, an welche die Südwest LB nicht gebunden war. Dieser Umstand steht der Annahme entgegen, es sei ihr mit der Bezugnahmeklausel nur darum gegangen, die nicht organisierten Arbeitnehmerinnen mit den organisierten hinsichtlich der Geltung der Tarifverträge für die öffentlichen Banken „gleichzustellen“.

22

dd) Es bestehen daher keine „erheblichen Zweifel“ an der zutreffenden Auslegung dieser Bezugnahmeregelung. Für die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB gibt es keinen Raum. Die entfernte Möglichkeit, auch zu einem anderen Auslegungsergebnis zu gelangen, genügt nicht (BAG 2. Juni 2021 – 4 AZR 387/20 – Rn. 15 mwN).

23

b) Nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf die LBBW zum 1. Januar 1999 nach § 324 UmwG 1995 iVm. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB wurde mit dem Änderungsvertrag vom 21./29. November 2006 erneut eine dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken vereinbart.

24

aa) Allein eine Vertragsänderung führt noch nicht dazu, dass zugleich stets alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart oder bestätigt werden. Maßgebend ist, ob die jeweilige Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Nur dann wird sie von der Vertragsänderung erfasst (BAG 8. Juli 2015 – 4 AZR 51/14 – Rn. 26 mwN). Ein deutlicher Ausdruck, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien war, liegt beispielsweise in der Formulierung, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt“ bleiben (BAG 27. März 2018 – 4 AZR 208/17 – Rn. 24).

25

bb) Nach diesen Maßstäben haben die Klägerin und die LBBW mit der Vereinbarung in § 3 des Änderungsvertrags – „Im Übrigen bleiben die bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen unberührt.“ – die Bezugnahmeklausel – mit dem dargelegten Inhalt (Rn. 18) – zum Gegenstand ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht.

26

c) Mit diesem Regelungsbestand ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge des Betriebsteilübergangs am 1. September 2013 auf die Beklagte übergegangen. Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf die Erwerberin über. Die Erwerberin wird so gestellt, als hätte sie die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Willenserklärungen, also auch die, ein bestimmtes Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung zum Inhalt des Arbeitsvertrags zu machen, selbst gegenüber der übernommenen Arbeitnehmerin abgegeben. Davon ist auch die dynamische Bezugnahmeklausel erfasst (st. Rspr., vgl. BAG 30. August 2017 – 4 AZR 95/14 – Rn. 42 ff., BAGE 160, 87).

27

d) Eine erneute – konkludente – Vereinbarung der Bezugnahmeklausel mit dem bisherigen Inhalt (Rn. 18) ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dadurch zustande gekommen, dass die Klägerin den Erhöhungen ihres Gehalts durch die Beklagte nicht widersprochen hat.

28

aa) Die Entgelterhöhungen bis zum Jahr 2022 können die Annahme eines Neuabschlusses der Bezugnahmeklausel nicht begründen. Die dynamische Anwendung dieser Tarifverträge konnte nicht als Antrag iSv. § 145 BGB auf Vereinbarung einer Bezugnahmeklausel verstanden werden. Die Beklagte war zu diesen Gehaltserhöhungen bereits aufgrund der dynamischen Bezugnahme verpflichtet. Diese ist durch die Erklärung zum ÜTV unberührt geblieben und auch nicht durch die Regelung zur Laufzeitbeschränkung in § 9 ÜTV zeitlich begrenzt worden.

29

bb) Gleiches gilt für die nach dem Auseinanderfallen der Tarifverträge erfolgten Gehaltserhöhungen zum 1. August 2022 und 1. August 2023. Diese erfolgten aufgrund der BV Vergütungskomponenten.

30

e) Die Bezugnahmeklausel ist nicht insgesamt unwirksam, weil im Arbeitsvertrag auf zwei Tarifwerke verwiesen wurde. Solange ausschließlich inhaltlich gleichlautende Tarifverträge geschlossen wurden, waren die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen eindeutig bestimmbar.

31

aa) Eine Bezugnahmeklausel kommt als vertragliche Regelung dann wirksam zustande, wenn das Bezugnahmeobjekt eindeutig bestimmbar ist. Bei dem Bestimmtheitserfordernis einer Vertragsklausel handelt es sich um eine (ungeschriebene) Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertragsrechts. Ein Vertrag, dessen Inhalt von den Parteien – ggf. nach Auslegung – nicht bestimmt (oder bestimmbar) genug vereinbart wurde, ist unwirksam. Nicht erforderlich ist insoweit, dass bereits bei Vertragsabschluss absehbar ist, welchen zukünftigen Inhalt die in Bezug genommenen Tarifregelungen haben werden. Ausreichend ist vielmehr, dass diese im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Anwendung bestimmbar sind (BAG 28. April 2021 – 4 AZR 229/20 – Rn. 26, BAGE 174, 382).

32

bb) Dies war hier bis zum Auseinanderfallen der Gehaltstarifverträge am 1. Juli 2022 der Fall. Die Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken waren nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vor diesem Zeitpunkt über Jahrzehnte hinweg und damit auch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses inhaltsgleich.

33

2. Für den nachfolgenden Zeitraum war nicht mehr bestimmbar, welche der beiden Entgeltregelungen für das Arbeitsverhältnis maßgebend sein sollte. Die entstandene Lücke ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass die Tarifverträge für die öffentlichen Banken in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden.

34

a) Der Arbeitsvertrag enthält keine ausdrückliche oder konkludente Kollisionsregelung für den Fall, dass mit verschiedenen Arbeitgeberverbänden Tarifwerke unterschiedlichen Inhalts geschlossen werden.

35

b) Das führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit der Bezugnahmeklausel, sondern lediglich zu deren Teilunwirksamkeit und zum Wegfall der vereinbarten dynamischen Anwendung der benannten Tarifwerke (ausf. BAG 28. April 2021 – 4 AZR 229/20 – Rn. 28, 54 ff., BAGE 174, 382).

36

c) Die aufgrund des Fehlens einer Kollisionsregelung entstandene Lücke kann im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung dahin geschlossen werden, dass die Tarifverträge für die öffentlichen Banken Anwendung finden.

37

aa) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass die Vereinbarung eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist. Das ist dann der Fall, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur dann gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan zu verwirklichen, wenn also ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (BAG 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22 – Rn. 27; 28. April 2021 – 4 AZR 229/20 – Rn. 42 f., BAGE 174, 382; BGH 27. April 2023 – VII ZR 144/22 – Rn. 24 mwN). Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, welche die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn diesen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre. Hierfür ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen und die Lücke soweit möglich in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags „zu Ende gedacht“ werden. Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen orientiert sich die ergänzende Vertragsauslegung an einem objektiv generalisierenden, am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Maßstab (BAG 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22 – Rn. 27; 13. Juli 2021 – 3 AZR 298/20 – Rn. 74, BAGE 176, 1). Maßgebend für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die ergänzende Vertragsauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt (BAG 22. Oktober 2020 – 6 AZR 566/18 – Rn. 39, BAGE 172, 377; BGH 9. Juli 2024 – XI ZR 44/23 – Rn. 36, BGHZ 241, 107). Lassen sich nach diesen Kriterien hinreichende Anhaltspunkte für einen typischen Parteiwillen nicht finden, etwa weil mehrere gleichwertige Möglichkeiten der Lückenschließung in Betracht kommen, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus (BAG 28. April 2021 – 4 AZR 229/20 – Rn. 44, aaO; BGH 10. Juni 2020 – VIII ZR 360/18 – Rn. 39).

38

bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung, die wie die Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingung selbst uneingeschränkt zu überprüfen ist (vgl. BGH 20. Juni 2023 – XI ZR 116/22 – Rn. 12), im Ergebnis nicht zu beanstanden.

39

(1) Die Bezugnahmeklausel ist nachträglich planwidrig lückenhaft geworden. Das für das Arbeitsverhältnis maßgebende Tarifwerk ist aufgrund der Tarifentwicklung im Unternehmen der Beklagten ohne eine Kollisionsregel nicht mehr eindeutig bestimmbar. Damit wäre der Regelungsplan, das Arbeitsverhältnis dynamisch an tarifvertraglichen Regelungen auszurichten, nicht mehr erreichbar. Die Vertragsparteien haben bei Vereinbarung der Bezugnahmeklausel den Fall des Abschlusses abweichender Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken nicht bedacht.

40

(2) Der Vertrag ist dahin ergänzend auszulegen, dass als Kollisionsregelung für den Fall des Auseinanderfallens der Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken die Anwendung der Tarifverträge für die öffentlichen Banken in ihrer jeweiligen Fassung als vereinbart gilt. Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte für einen solchen hypothetischen Parteiwillen.

41

(a) Die Anwendbarkeit der Tarifverträge für die öffentlichen Banken lässt sich – anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen – nicht „der beim ursprünglichen Vertragsschluss gedachten Gleichstellung der tarifungebundenen Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern entnehmen“. Bei der im zuerst geschlossenen Arbeitsvertrag vereinbarten Bezugnahmeklausel handelte es sich nicht um eine Gleichstellungsabrede (Rn. 18). Zudem kommt es nicht auf den Zeitpunkt dieses Vertragsschlusses, sondern auf den des Änderungsvertrags vom 21./29. November 2006 an, mit dem die Bezugnahmeklausel zuletzt zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht wurde.

42

(b) Der Vertrag ist im Hinblick auf die LBBW als Vertragspartnerin ergänzend dahin auszulegen, dass die Tarifverträge für die öffentlichen Banken anzuwenden sind. Die LBBW ist und war auch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Kreditinstitut. Die Klägerin wurde im Geltungsbereich der Tarifverträge für die öffentlichen Banken beschäftigt. Der Regelung in § 5 Abs. 2 des Einstellungsschreibens, die nach § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 14. November 1995 iVm. § 3 des Änderungsvertrags vom 21./29. November 2006 Vertragsbestandteil geworden ist, lässt sich nicht entnehmen, dass sich zukünftig eine Beschäftigung im Bereich des privaten Bankgewerbes ergeben sollte. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in der Praxis regelmäßig auf das Tarifwerk verwiesen wird, das nach seinem örtlichen, zeitlichen, betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich für den Arbeitgeber im Falle einer Tarifgebundenheit gelten würde. Die Bezugnahme auf das einschlägige Tarifwerk als das mit den für die Branche „passenden“ Regelungen trägt aus objektiv-generalisierender Sicht dem hypothetischen Parteiwillen beider Vertragsparteien im Zeitpunkt des Abschlusses des Änderungsvertrags Rechnung.

43

(c) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Senats vom 28. April 2021 (- 4 AZR 229/20 – Rn. 41 ff., BAGE 174, 382). Anders als vorliegend kollidierten dort zwei einschlägige Tarifverträge, die der Arbeitgeberverband, dessen Mitglied die beklagte Arbeitgeberin war, mit zwei Gewerkschaften geschlossen hatte.

44

3. Danach stehen der Klägerin die sich aus den Gehaltstarifverträgen für die öffentlichen Banken ergebenden und rechnerisch unstreitigen Entgeltdifferenzen für den Monat Juli 2022 iHv. 115,27 Euro brutto und den Monat Juli 2023 iHv. 79,24 Euro brutto zu.

45

4. Der Anspruch auf Verzinsung der eingeklagten Beträge für die Monate Juli 2022 und Juli 2023 sowie des erst mit dem Gehalt für den Monat Juli 2023 gezahlten höheren Entgelts für die Monate August 2022 bis einschließlich Mai 2023 folgt im noch streitgegenständlichen Umfang aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

46

III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens, für die das Verschlechterungsverbot nicht gilt (BGH 24. April 2018 – XI ZR 207/17 – Rn. 17), beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. § 97 Abs. 2 ZPO findet entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts keine Anwendung. Da die Tarifgebundenheit der Südwest LB nicht von Bedeutung ist, können die Kosten der Berufung der Klägerin nicht mit der Begründung auferlegt werden, sie habe erstmals in der Berufungsinstanz hierzu vorgetragen. Die Kostenentscheidung für die erste Instanz richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1, § 91a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, sind die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen der Beklagten aufzuerlegen. Die Klage wäre auch insoweit zulässig und begründet gewesen.

        

    Treber    

        

    Klug    

        

    M. Rennpferdt    

        

        

        

    Kiefer    

        

    Mayr    

                 

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