5 AZR 385/20

Schuldnerverzug - entschuldbarer Rechtsirrtum - Geltendmachung von Verzugszinsen durch Bestandsschutzklage


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Details

  • Aktenzeichen

    5 AZR 385/20

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2021:240621.U.5AZR385.20.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    24.06.2021

  • Senat

    5. Senat

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers und unter Zurückweisung der Revision im Übrigen wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 20. Mai 2020 – 9 Sa 398/18 – teilweise aufgehoben, soweit das Landesarbeitsgericht die Klage für die Zeit vom 4. April 2013 bis einschließlich 13. Dezember 2016 abgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Leitsatz

Mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage macht ein Arbeitnehmer nicht nur die von dieser abhängigen Vergütungsansprüche im Sinne der ersten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist geltend, sondern zugleich die darauf geschuldeten gesetzlichen Verzugszinsen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Verzugszinsen aufgrund verspäteter Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nach erfolgreicher Befristungskontrollklage.

2

In einem Vorprozess stritten die Parteien über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses. Am 18. September 2012 unterzeichnete der Kläger in der Personalabteilung der Technischen Universität D einen für die Zeit vom 5. Oktober 2012 bis zum 4. April 2013 befristeten Dienstvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter in zweifacher Ausfertigung. Am 5. Oktober 2012 nahm er seine Tätigkeit auf. Ein vom Beklagten unterschriebenes Vertragsexemplar erhielt er erst am 9. Oktober 2012. Der Kläger erhob Befristungskontrollklage. Hierauf stellte das Arbeitsgericht fest, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom 18. September 2012 mit Ablauf des 4. April 2013 beendet worden sei. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung ab und wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers stellte der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 14. Dezember 2016 (- 7 AZR 717/14 -) die erstinstanzliche Entscheidung wieder her.

3

Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

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Nach Abschluss des Revisionsverfahrens rechnete der Beklagte im April 2017 Annahmeverzugsansprüche des Klägers für die Zeit vom 4. April 2013 bis zum 28. Februar 2017 ab, führte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab und zahlte dem Kläger die errechnete rückständige Nettovergütung aus. Verzugszinsen leistete der Beklagte nur für den Zeitraum vom 29. März 2017 bis zum 24. April 2017.

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Mit seiner Klage hat der Kläger weitergehende Verzugszinsen für die Zeit vom 4. April 2013 bis zum 28. Februar 2017 geltend gemacht.

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Der Kläger hat beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn Verzugszinsen iHv. 9.740,04 Euro zu zahlen.

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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Etwaige Ansprüche seien verfallen. Ihn treffe zudem kein Verschulden an der zunächst unterbliebenen Zahlung der Vergütung. Bis zur Verkündung des Urteils des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts am 14. Dezember 2016 habe er sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Dass er einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen habe, folge schon daraus, dass drei verschiedene Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts in vier verschiedenen Rechtsstreitigkeiten mit identischen Sachverhalten seiner Auffassung gefolgt seien.

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Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist – soweit zulässig – begründet. Für die Zeit vom 4. April 2013 bis zum 13. Dezember 2016 hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Für diese Zeit schuldet der Beklagte Verzugszinsen auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs. Diese hat der Kläger mit seiner Befristungskontrollklage rechtzeitig geltend gemacht. Zur Bestimmung der Höhe des geschuldeten Verzugszinses ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. In Bezug auf den Streitzeitraum vom 14. Dezember 2016 bis zum 28. Februar 2017 ist die Revision bereits unzulässig.

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I. Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage für die Zeit vom 14. Dezember 2016 bis zum 28. Februar 2017 richtet. Für diesen Streitzeitraum fehlt es an der erforderlichen Revisionsbegründung.

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1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO muss die Revisionsbegründung diejenigen Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Die Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Die Revisionsbegründung muss, soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt hat, beide Erwägungen angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel hinsichtlich des betreffenden Streitgegenstands insgesamt unzulässig (st. Rspr., zB BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 20, BAGE 165, 168).

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2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung im dargestellten Umfang nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei für diesen Zeitraum abzuweisen, weil es zum einen an einer schuldhaften Zahlungsverzögerung von Seiten des Beklagten fehle und zum anderen diesem die zur Berechnung erforderlichen Auskünfte von der Bundesagentur für Arbeit bzw. vom Kläger nicht vorgelegen hätten. Mit dieser rechtlich selbständig tragenden Zweitbegründung setzt sich die Revision nicht auseinander. Sie rügt allein eine fehlerhafte Rechtsanwendung in Bezug auf die Rechtsfigur des entschuldbaren Rechtsirrtums.

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II. In ihrem zulässigen Umfang ist die Revision begründet. Der Beklagte schuldet Verzugszinsen auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 4. April 2013 bis zum 13. Dezember 2016 nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Er kann sich nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Der Kläger hat die Ansprüche rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 37 TV-L geltend gemacht. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht über die Höhe des Verzugszinses endentscheiden. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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1. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

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a) Der Beklagte befand sich mit der Zahlung der Vergütung in Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB). Er hat sich zu Unrecht auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 4. April 2013 berufen, wie das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2016 (- 7 AZR 717/14 -) rechtskräftig festgestellt hat.

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b) Der Beklagte ist wegen der verzögerten Vergütungszahlung nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ohne vorherige Mahnung zur Leistung der Verzugszinsen verpflichtet. Einer Mahnung von Seiten des Klägers bedurfte es nicht, weil der Schuldner gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch ohne Mahnung in Verzug kommt, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und er zu dieser Zeit nicht leistet. Diese Voraussetzungen liegen bei Ansprüchen auf Vergütung wegen Annahmeverzugs vor. Deren Fälligkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Vergütung bei tatsächlicher Beschäftigung in den einzelnen Abrechnungsperioden fällig geworden wäre (st. Rspr., vgl. BAG 24. August 2016 – 5 AZR 853/15 – Rn. 40). Trotz der Gesamtberechnung entstehen die Annahmeverzugsansprüche nicht erst am Ende des Annahmeverzugs, sondern sukzessive währenddessen und werden mit dem jeweiligen Abrechnungszeitraum fällig (vgl. BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 251/11 – Rn. 31, BAGE 141, 340). Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 TV-L, der auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet, ist die monatliche Vergütung des Klägers spätestens am letzten Tag des Monats für den laufenden Kalendermonat fällig geworden.

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c) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Zahlung der Vergütung wegen Annahmeverzugs sei infolge eines Umstands unterblieben, den der Beklagte nicht zu vertreten habe, weshalb dieser keine Verzugszinsen schulde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich der Beklagte nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).

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aa) Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Schuldner nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat das fehlende Verschulden als Einwand ausgestaltet, für den der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist. Er ist gehalten, im Einzelnen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die geschuldete Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt unterblieben ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft (st. Rspr., vgl. BAG 28. August 2019 – 10 AZR 549/18 – Rn. 38 mwN, BAGE 167, 361). Dabei hat die Feststellung des Verschuldens einheitlich für alle Verzugsfolgen zu erfolgen (vgl. MüKoBGB/Ernst 8. Aufl. BGB § 286 Rn. 111), mithin auch für den Verzugszins nach § 288 Abs. 1 BGB.

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bb) Der Begriff des Verschuldens ist ein Rechtsbegriff. Da die Feststellung der Voraussetzungen des Verschuldens im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegt, steht dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat. Eine Aufhebung des Berufungsurteils darf nur erfolgen, wenn eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch den Tatsachenrichter festzustellen ist (BAG 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 47).

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cc) Das Berufungsurteil hält diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände des Streitfalls nicht berücksichtigt. Es hat zum einen die Unterschiede in den Sachverhalten der höchstrichterlich entschiedenen Befristungskontrollklagen nicht vollständig und hinreichend genau berücksichtigt. Zum andern ist es bei der Anwendung der von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum auf den Streitfall von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 286 Abs. 4 BGB vorliegen, weil der maßgebliche Sachverhalt festgestellt und weitergehender neuer Tatsachenvortrag nicht zu erwarten ist.

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(1) Der Ausschluss des Schuldnerverzugs wegen unverschuldeten Rechtsirrtums ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich erfordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums selbst trägt und nicht dem Gläubiger zuschieben kann (vgl. BAG 11. Dezember 2019 – 7 ABR 4/18 – Rn. 45; BGH 5. April 2017 – IV ZR 437/15 – Rn. 19). Der Schuldner muss die Rechtslage genau prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten. Fahrlässig handelt, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (vgl. BGH 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13 – Rn. 15 mwN). Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte, ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 3. Juli 2019 – 10 AZR 499/17 – Rn. 63, BAGE 167, 196; 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 51, BAGE 161, 198).

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Die im Rahmen des § 286 Abs. 4 BGB zu prüfenden Sorgfaltspflichten des Schuldners gehen allerdings nicht so weit, dass er erst dann entlastet ist, wenn bei einer ex ante-Betrachtung eine ihm ungünstige Entscheidung der Streitfrage undenkbar erscheint. Dies würde eine Entschuldigung praktisch immer ausschließen (vgl. BGH 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13 – Rn. 15 mwN). Daher kann es ausreichen, sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu berufen, insbesondere, wenn ihr ein zumindest ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt (vgl. BAG 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 – Rn. 31, BAGE 152, 213). Ist in einem solchen Fall eine Rechtsfrage bereits vom Bundesarbeitsgericht entschieden, liegt nicht einmal eine objektiv zweifelhafte Rechtslage vor. Vielmehr darf eine sorgfältig handelnde Arbeitsvertragspartei – ausgehend vom Gebot der Rechtssicherheit – von einer gleichbleibenden Rechtsprechung ausgehen. In dieser Situation begründet die Möglichkeit einer abweichenden Gerichtsentscheidung keinen Grad an Vorhersehbarkeit, der den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigen würde (vgl. BAG 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 – Rn. 32, aaO).

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(2) Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet.

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(a) Soweit es angenommen hat, der vorliegende Sachverhalt sei mit dem, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. April 2008 (- 7 AZR 1048/06 -) zugrunde gelegen habe, vergleichbar, weil in beiden Fällen bereits eine Unterschrift auf den vorbereiteten Verträgen geleistet worden sei, würdigt es die tatsächlichen Umstände nicht vollständig und wendet nicht die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten strengen Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum an. Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht, dass in dem vom Siebten Senat im Jahr 2008 entschiedenen Fall der Arbeitgeber vor Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers bereits den Arbeitsvertrag unterschrieben und hierdurch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass er den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch den Arbeitnehmer und damit der Einhaltung des Schriftformgebots des § 14 Abs. 4 TzBfG abhängig gemacht hat. Solche deutlichen Anhaltspunkte bestanden im Vertragsverhältnis zwischen den Parteien gerade nicht. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kann dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. April 2008 (- 7 AZR 1048/06 -) nicht entnommen werden, dass bereits die Unterzeichnung durch den Arbeitnehmer dafürspricht, dass der Arbeitgeber den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Einhaltung der Schriftform abhängig machen möchte. Bei der gebotenen Anwendung eines strengen Maßstabs an die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums hätte das Berufungsgericht bei vollständiger Berücksichtigung der relevanten Unterschiede zwischen den beiden Sachverhalten nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, der vom Beklagten eingenommene Rechtsstandpunkt sei in dem Sinne vertretbar gewesen, dass der bestehende Rechtsirrtum entschuldigt sei. Ein Sachverhalt, in dem der Arbeitgeber erst nach Arbeitsaufnahme den vom Arbeitnehmer bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag gegenzeichnet, war bis zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Befristungskontrollverfahren zwischen den Parteien (BAG 14. Dezember 2016 – 7 AZR 717/14 -) noch keiner höchstrichterlichen Entscheidung zugeführt.

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(b) Rechtsfehlerhaft ist ebenso die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung des Beklagten folge bereits daraus, dass drei weitere Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts diese Auffassung vertreten hätten. Hierbei handelt es sich nicht um höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Umstand, dass ein Instanzgericht den Standpunkt des Schuldners geteilt hat, führt nicht dazu, dass dieser nicht mehr damit rechnen muss, mit seiner Rechtsauffassung letztinstanzlich nicht durchzudringen.

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(3) Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts kann nicht angenommen werden, dass der Beklagte die Entgeltzahlungen an den Kläger aufgrund eines Umstands unterlassen hat, den er nicht zu vertreten hatte (§ 286 Abs. 4 BGB). Wie ausgeführt unterschied sich die zwischen den Parteien vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses in erheblicher Weise von der Fallkonstellation, die dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. April 2008 (- 7 AZR 1048/06 -) zugrunde lag. Der Beklagte bewegte sich daher erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen und musste bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Konsequenzen seines Vorgehens in Betracht ziehen. Dass mehrere Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts seine Rechtsauffassung teilten, steht dem nicht entgegen, weil die maßgebliche Rechtsfrage noch nicht durch eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beantwortet war.

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2. Die Ansprüche auf Verzugszinsen sind nicht gemäß § 37 Abs. 1 TV-L verfallen. Die Tarifnorm ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung der Befristungskontrollklage nicht nur die davon abhängigen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, sondern auch die darauf geschuldeten gesetzlichen Verzugszinsen im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht sind.

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a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TV-L die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.

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b) Ansprüche auf Verzugszinsen werden von der Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-L erfasst. Zu Ansprüchen „aus dem Arbeitsverhältnis“ gehören alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen gegeneinander haben, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ankommt (vgl. BAG 17. April 2019 – 5 AZR 331/18 – Rn. 14). Erforderlich ist lediglich, dass das Arbeitsverhältnis die Grundlage für den Anspruch bildet (vgl. BAG 18. September 2019 – 5 AZR 240/18 – Rn. 34, BAGE 168, 25). Es ist demnach unerheblich, ob der Anspruch aus gesetzlichen Vorschriften, Rechtsverordnungen, Tarifverträgen, Dienst-/Betriebsvereinbarungen oder anderen Rechtsquellen abgeleitet wird. Entscheidend ist die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis (BAG 11. April 2019 – 6 AZR 104/18 – Rn. 16, BAGE 166, 285). Somit werden auch Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen erfasst, deren Grundlage die Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Vergütung aus dem Arbeitsverhältnis ist.

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c) Der Kläger hat seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen innerhalb der Ausschlussfrist rechtzeitig mit Erhebung der Befristungskontrollklage geltend gemacht.

31

aa) Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die nach Auffassung des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und nicht rechnen muss, geschützt werden (st. Rspr., vgl. nur BAG 28. Februar 2018 – 4 AZR 816/16 – Rn. 50, BAGE 162, 81).

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bb) Ausgehend von diesem Zweck wahrt der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden (st. Rspr., zB BAG 19. September 2012 – 5 AZR 627/11 – Rn. 14, BAGE 143, 119). Dies umfasst auch die Ansprüche auf die Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

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(1) Mit der Befristungskontrollklage hat der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist auch für die Verzugszinsen gewahrt. Diese Nebenforderung ist von der Hauptforderung der Vergütung wegen Annahmeverzugs abhängig (vgl. BGH 24. September 2013 – I ZR 187/12 – Rn. 36). So verjähren mit den Hauptansprüchen auch die von ihnen abhängenden Nebenforderungen (vgl. BAG 24. Juni 2015 – 5 AZR 509/13 – Rn. 33, BAGE 152, 75). Ebenso wie es im Verjährungsrecht nicht nachvollziehbar wäre, sich gegen eine Nebenforderung wehren zu müssen, wenn bereits die Hauptforderung verjährt wäre (vgl. BeckOGK/Bach Stand 1. Mai 2021 BGB § 217 Rn. 3), wäre es in Bezug auf die Ausschlussfristen nicht deren Zweck entsprechend, wenn der Gläubiger durch eine Bestandsschutzklage die Hauptforderung, nicht aber davon abhängige Nebenforderungen geltend machen kann und letztere gesondert verlangen müsste.

34

(2) Für ein solches Verständnis spricht zudem, dass dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung des von Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes keine übersteigerte Obliegenheit zur Geltendmachung seiner Ansprüche wegen (Annahme-)Verzugs auferlegt werden soll (vgl. BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1682/07 – Rn. 20 ff.). Gleichermaßen werden Sinn und Zweck von Ausschlussfristen durch Erhebung einer Bestandsschutzklage in Bezug auf Verzugszinsen erreicht. Bereits mit Erhebung einer Bestandsschutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen. Die Höhe von Verzugszinsen ist gesetzlich in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegt und für ihn somit anhand der Hauptforderung hinreichend berechenbar. Der gesetzliche Zinssatz ist ein pauschalierter Mindestschaden (vgl. BeckOGK/Dornis Stand 1. März 2020 BGB § 288 Rn. 2, 24).

35

(3) Diesem Verständnis steht das Urteil des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2002 (- 8 AZR 488/01 -) nicht entgegen. Dort forderte der Kläger den Ersatz von entstandenen steuerlichen Nachteilen als vom Arbeitgeber zu ersetzenden Verzugsschaden. Der Achte Senat hielt diese Ansprüche für nicht mit einer Kündigungsschutzklage im Sinne einer Ausschlussfrist geltend gemacht, weil sie nicht lediglich vom Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern von weiteren Tatbestandsmerkmalen abhängig seien (vgl. BAG 20. Juni 2002 – 8 AZR 488/01 – zu II 2 b der Gründe). So muss der Gläubiger bei dem durch den Achten Senat beurteilten Steuerschaden diesen im Einzelnen berechnen. Abweichend hiervon ergibt sich die Höhe der Verzugszinsen aus dem Gesetz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

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3. Zur Bestimmung der Höhe des Verzugszinses in der Zeit vom 4. April 2013 bis zum 13. Dezember 2016 ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mangels Feststellungen zum Bezugszeitpunkt von Sozialleistungen durch den Kläger und etwaigem Zwischenverdienst kann der Senat nicht in der Sache endentscheiden.

37

a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst Feststellungen zur Bruttovergütung im streitgegenständlichen Zeitraum zu treffen. Für die Berechnung des Zinsanspruchs ist es dann erforderlich, taggenau öffentlich-rechtliche Leistungen und etwaigen anderweitigen Verdienst in Abzug zu bringen, denn Verzugszinsen können auf die verspätet erfüllten Vergütungsteile nur bis zum Eingang der Sozialleistungen und der weiteren Zahlungen verlangt werden (st. Rspr., vgl. BAG 21. März 2012 – 5 AZR 61/11 – Rn. 26 mwN, BAGE 141, 95). Auch hierzu mangelt es – aus Sicht des Berufungsgerichts konsequent – an Feststellungen.

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Zu verzinsen ist grundsätzlich die Bruttovergütung (vgl. BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 4 d der Gründe, BAGE 97, 150). In Höhe des erhaltenen Arbeitslosengeldes oder anderer Sozialleistungen kann der Kläger von dem Beklagten keine Zinsen fordern (vgl. BAG 13. Juni 2002 – 2 AZR 391/01 – zu B II 2 c der Gründe, BAGE 101, 328). Dies folgt aus § 115 Abs. 1 SGB X. Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht nach dieser Vorschrift der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger in Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Mit der Gutschrift des Arbeitslosengeldes auf dem Konto des Arbeitnehmers erwirbt die Bundesagentur für Arbeit zugleich Anspruch auf die auf das Arbeitsentgelt künftig fällig werdenden Zinsen (vgl. BAG 13. Juni 2002 – 2 AZR 391/01 – zu B II 2 c bb der Gründe, BAGE 101, 328). Ein Anspruch auf Verzinsung der gesamten Bruttovergütung besteht somit nur bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Arbeitslosengeldes beim Kläger. Danach kann er Zinsen lediglich auf den um das Arbeitslosengeld verminderten Betrag verlangen (vgl. BAG 21. März 2012 – 5 AZR 61/11 – Rn. 26, BAGE 141, 95). Der Kläger hat anzurechnende öffentlich-rechtliche Leistungen ebenso wie von dritter Seite bezogene Bruttovergütungen taggenau abzusetzen (vgl. BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 251/11 – Rn. 31, BAGE 141, 340).

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b) Die Bundesagentur für Arbeit hat durch Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen die Abführungspflicht des Beklagten nicht bereits erfüllt und die Forderung zum Erlöschen gebracht.

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aa) In Abzug zu bringen ist das erhaltene Arbeitslosengeld, dh. die Nettobeträge (vgl. BAG 24. September 2003 – 5 AZR 282/02 – zu II 5 der Gründe). Der Anspruchsübergang erfasst nur das erhaltene Nettoarbeitslosengeld, nicht aber die durch die Bundesagentur für Arbeit abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (vgl. BAG 14. März 2006 – 9 AZR 312/05 – Rn. 68, BAGE 117, 231).

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bb) Der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X führt nicht dazu, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, Beiträge aus dem geschuldeten Bruttoentgelt zu entrichten, erfüllt wird. Das folgt auch aus § 335 Abs. 3 Satz 1 SGB III (vgl. BAG 4. Dezember 2002 – 7 AZR 437/01 – zu B III 1 der Gründe).

42

III. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

        

    Linck    

        

    Berger    

        

    Volk    

        

        

        

    Teichfuß    

        

    Zimmer