6 AZR 441/21

Neumasseunzulänglichkeit - Auswirkung auf Rangfolge

Details

  • Aktenzeichen

    6 AZR 441/21

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2022:250822.U.6AZR441.21.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    25.08.2022

  • Senat

    6. Senat

Tenor

1. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. April 2021 – 5 Sa 517/20 – werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4 zu tragen.

Leitsatz

Der Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit führt nicht zu einer Neuordnung der gesetzlich festgelegten Rangfolge der Masseverbindlichkeiten. Vielmehr sind alle Neumasseverbindlichkeiten quotal zu erfüllen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den insolvenzrechtlichen Rang von Annahmeverzugsansprüchen für den Zeitraum September 2019 bis Mai 2020 in einer masseunzulänglichen Insolvenz.

2

Am 1. November 2017 wurde über das Vermögen der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin) das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet und der Beklagte als Sachwalter eingesetzt. Am selben Tag zeigte dieser beim Insolvenzgericht Charlottenburg (im Folgenden Insolvenzgericht) nach § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO drohende Masseunzulänglichkeit an. Am 16. Januar 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

3

Der Kläger war bei der Schuldnerin als Flugkapitän eingestellt. Mit Schreiben vom 15. Januar 2018 kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. April 2018. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erklärte die Kündigung im anschließenden Kündigungsschutzverfahren mit Urteil vom 13. Dezember 2019 (- 9 Sa 1146/19 -) für unwirksam. Die Entscheidung ist rechtskräftig geworden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde nach Mai 2020 zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt beendet. Bis dahin war der Kläger durchgehend von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt.

4

Am 30. April 2019 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht gegenüber Neumasseunzulänglichkeit und am 27. Mai 2020 „Neu-Neumasseunzulänglichkeit“ an. Alle Anzeigen wurden öffentlich bekannt gemacht, letztere am 28. Mai 2020. Das Insolvenzgericht ordnete mit Beschlüssen vom 30. April 2019 und 4. Juni 2020 an, dass die Zwangsvollstreckung von Massegläubigern wegen Masseverbindlichkeiten, die bis zum 30. April 2019 und bis zum 27. Mai 2020 begründet wurden (Neumasseverbindlichkeiten bzw. „Neu-Neumasseverbindlichkeiten“), unzulässig sei. Der gegen den Beschluss vom 4. Juni 2020 eingelegten sofortigen Beschwerde des Klägers half das Insolvenzgericht wegen mangelnder Beschwer nicht ab, da der Beschluss lediglich auf die Folgen des § 210 InsO hinweise, die auch für „Neu-Neumassegläubiger“ gelten würden.

5

Mit seiner Klage hat der Kläger im Wege der Leistungsklage für den Zeitraum September 2019 bis Mai 2020 Annahmeverzugsansprüche abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes geltend gemacht. Seit der Berufungsinstanz begehrt er in einem gestaffelten Hilfsverhältnis auch die Feststellung von Differenzvergütungsansprüchen als Masseverbindlichkeit.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, durch die erneuten Anzeigen der Masseunzulänglichkeit und die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen, die die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, sei er in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Der Insolvenzordnung sei nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine erneute Masseunzulänglichkeitsanzeige habe zulassen wollen. Neumasseverbindlichkeiten seien daher stets vollständig und uneingeschränkt im Wege der Leistungsklage zu befriedigen, bis der Insolvenzverwalter selbst einen Insolvenzantrag stelle. Darüber hinaus habe der Beklagte eine zum 27. Mai 2020 eingetretene erneute Neumasseunzulänglichkeit nicht ordnungsgemäß dargelegt. Sein Zahlenwerk sei insgesamt nicht überprüfbar.

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1.    

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 144.259,11 Euro brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen iHv. 18.435,60 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe zu zahlen;

        

2.    

hilfsweise

                 

festzustellen, dass zu seinen Gunsten Differenzlohnansprüche iHv. 144.259,11 Euro brutto abzüglich erhaltener Lohnersatzleistungen iHv. 18.435,60 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe bestehen und zwar

                 

a)    

als Masseverbindlichkeit im Rang vor den bis zum 27. Mai 2020 begründeten Masseverbindlichkeiten;

                 

b)    

weiter hilfsweise als Masseverbindlichkeit im Rang vor den bis zum 30. April 2019 begründeten Masseverbindlichkeiten;

                 

c)    

weiter hilfsweise im Rang vor den bis zum 1. November 2017 begründeten Masseverbindlichkeiten.

8

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die erneute Anzeige einer Masseunzulänglichkeit sei zwar gesetzlich nicht geregelt, aber jedenfalls in analoger Anwendung der §§ 207 ff. InsO zulässig. Die nach § 208 Abs. 3 InsO bestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters, das Insolvenzverfahren weiter geordnet durchzuführen, erfordere es regelmäßig, neue Verbindlichkeiten – ua. auch durch die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern der Schuldnerin – einzugehen. Das sei möglich, weil den Neumassegläubigern nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO Vorrang vor den Altmassegläubigern eingeräumt werde. Dies müsse vor dem Hintergrund einer gleichbleibenden Interessenlage auch bei wiederholtem Eintritt von Masseunzulänglichkeit gelten. Aufgrund der erneuten Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 27. Mai 2020 sei daher bereits das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Zahlungsklage entfallen.

9

Die Anzeige vom 27. Mai 2020 sei vor dem Hintergrund der Kündigungsschutzurteile des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Februar 2020 (- 6 AZR 146/19 – BAGE 169, 362 ua.) und vom 14. Mai 2020 (- 6 AZR 235/19 – BAGE 170, 244 ua.) auch erforderlich gewesen. Aufgrund dieser Entscheidungen sei für die Zeit nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige vom 30. April 2019 unter Berücksichtigung mitgeteilter anderweitiger Verdienste sowie auf Dritte übergegangener Ansprüche von Annahmeverzugsansprüchen für die Monate Mai 2019 bis Mai 2020 iHv. 43.975.252,22 Euro auszugehen gewesen. Diesen Verbindlichkeiten hätte zum 31. Mai 2020 ein frei von Drittrechten vorhandenes Guthaben iHv. 30.437.391,12 Euro gegenübergestanden.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert. Es hat die Leistungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zurückgewiesen und auf den erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag festgestellt, dass zugunsten des Klägers Differenzlohnansprüche in der von ihm geltend gemachten Höhe im Rang vor den bis zum 1. November 2017 begründeten Masseverbindlichkeiten bestehen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.

11

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel nach Maßgabe des Hauptantrags und des gestaffelten Hilfsantrags zu 2 a und b weiter. Der Beklagte erstrebt mit seiner Anschlussrevision die vollständige Zurückweisung der Berufung. Die Höhe des eingeklagten Annahmeverzugs ist in der Revisionsinstanz unstreitig geworden.

Entscheidungsgründe

12

Revision und Anschlussrevision sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die streitbefangenen Ansprüche im Rang der Neumasseverbindlichkeit stehen, es innerhalb dieses Rangs nach Darlegung der Neumasseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter keine gesetzlich vorgesehenen weiteren Rangfolgen gibt und abweichende Ränge auch nicht im Wege der Analogie entwickelt werden können. Es hat weiter zutreffend erkannt, dass diese Ansprüche nicht im Wege der Leistungsklage durchgesetzt, sondern lediglich festgestellt werden können.

13

I. Die mit dem Hauptantrag verfolgte Leistungsklage ist unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.

14

1. Die mit der Leistungsklage verfolgten Ansprüche für die Zeit vom 1. September 2019 bis zum 31. Mai 2020 sind Neumasseverbindlichkeiten. Dem Beklagten ist es nicht gelungen, das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2018, dem Zeitpunkt des (fiktiven) Ablaufs der Frist der erstmöglichen Kündigung nach der am 1. November 2017 erfolgten Anzeige der (drohenden) Masseunzulänglichkeit, zu beenden. Die nach diesem Zeitpunkt entstandenen streitbefangenen Annahmeverzugsansprüche gelten daher nach den Qualifikationsregeln des § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten (BAG 22. Februar 2018 – 6 AZR 868/16 – Rn. 13 ff., BAGE 162, 58). Die Freistellung des Klägers ändert daran nichts (BAG 31. März 2004 – 10 AZR 253/03 – zu B III 1 c der Gründe, BAGE 110, 135).

15

2. Können Neumasseverbindlichkeiten, die nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor den Altmasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu berichtigen sind, unter Berücksichtigung des in § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO geregelten Vorrangs der Kosten des Insolvenzverfahrens nicht vollständig befriedigt werden (Unterdeckung der Neumasse, künftig: Neumasseunzulänglichkeit; vgl. Thole ZIP 2018, 2241; Ganter NZI 2019, 7), findet das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO keine unmittelbare Anwendung. Nach ständiger Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht (seit BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – zu II 1 der Gründe; 31. März 2004 – 10 AZR 253/03 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 110, 135; 15. Juni 2004 – 9 AZR 431/03 – zu I 2 der Gründe, BAGE 111, 80; zuletzt BAG 22. Februar 2018 – 6 AZR 868/16 – Rn. 10, BAGE 162, 58) und Bundesgerichtshof (seit BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 2 c bb der Gründe, BGHZ 154, 358; 29. April 2004 – IX ZR 141/03 – zu II 3 der Gründe; 13. April 2006 – IX ZR 22/05 – Rn. 18, BGHZ 167, 178; zum Kostenfestsetzungsverfahren: BGH 9. Oktober 2008 – IX ZB 129/07 – Rn. 6; 27. September 2007 – IX ZB 172/05 – Rn. 6) ist dieses Vollstreckungsverbot jedoch entsprechend anzuwenden, wenn der Insolvenzverwalter die Neumasseunzulänglichkeit hinreichend dargelegt hat. In diesem Fall fehlt dem Neumassegläubiger das Rechtsschutzbedürfnis zur Durchsetzung seiner Forderung. Er ist grundsätzlich auf eine Feststellungsklage zu verweisen. Nur so lässt sich eine mit dem das Insolvenzrecht beherrschenden Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger unvereinbare Bevorzugung „schnellerer“ Neumassegläubiger vermeiden (vgl. BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – aaO; aA Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 59 f.: Wahrung der Rangordnung der InsO mit der Erinnerung nach § 766 ZPO). An dieser ständigen Rechtsprechung hält der Senat fest. Es ist nicht Sinn und Aufgabe des Vollstreckungsverfahrens zu klären, in welcher Höhe ein gerichtlich ausgeurteilter Anspruch unter Beachtung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung tatsächlich durchsetzbar ist (vgl. Anders/Gehle/Vogt-Beheim ZPO 80. Aufl. § 766 Rn. 2 f.).

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3. Nach diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht die Leistungsklage zu Recht mangels Rechtsschutzbedürfnisses verworfen.

17

a) Der Beklagte hat am 1. November 2017 (drohende) Masseunzulänglichkeit angezeigt (§ 208 Abs. 1 InsO). Diese Anzeige hat Tatbestandswirkung (Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 36) und ist damit für alle am Verfahren Beteiligten einschließlich der Prozessgerichte bindend (st. Rspr. seit BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 459/00 – zu II 4 b der Gründe; BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu II 1 der Gründe, BGHZ 154, 358). Ihre Rechtswirkungen treten bereits mit Eingang der Anzeige beim Insolvenzgericht ein, ohne dass es insoweit auf die – vorliegend unstreitig erfolgte – von § 208 Abs. 2 InsO geforderte öffentliche Bekanntmachung der Anzeige und deren förmliche Zustellung an die Massegläubiger ankommt, die nur deklaratorische Bedeutung haben (für die Bekanntmachung KPB/Pape InsO § 208 Stand März 2004 Rn. 8; BeckOK InsR/Ruland Stand 15. Januar 2022 InsO § 208 Rn. 6; Jaeger/Windel aaO § 208 Rn. 39; für die Zustellung BAG 31. März 2004 – 10 AZR 253/03 – zu B III 1 a der Gründe, BAGE 110, 135).

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b) Der Kläger hat nicht bestritten, dass die Neumasse bereits im April 2019 unzulänglich geworden ist. Bereits deswegen ist die Leistungsklage unzulässig. Zudem rügt die Revision ohne Erfolg, dem Landesarbeitsgericht seien bei seiner Feststellung, der Beklagte habe bezogen auf den 27. Mai 2020 eine erneute Neumasseunzulänglichkeit hinreichend dargelegt, Verfahrensfehler unterlaufen.

19

aa) Beruft sich der Insolvenzverwalter im Erkenntnisverfahren gegenüber einem Neumassegläubiger auf eine eingetretene Neumasseunzulänglichkeit, muss er – anders als im Kostenfestsetzungsverfahren, in dem gemäß § 104 Abs. 2 ZPO eine Glaubhaftmachung genügt (vgl. BGH 9. Oktober 2008 – IX ZB 129/07 – Rn. 10) – diese im Prozess substantiiert darlegen und ggf. beweisen. Der Einwand muss grundsätzlich in den Tatsacheninstanzen erfolgen. Tritt die Neumasseunzulänglichkeit allerdings erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ein, kann sie als Grund für den Entfall einer Prozessvoraussetzung auch noch in der Revisionsinstanz geltend gemacht und nachgewiesen werden.

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bb) Die vorliegend erfolgte öffentliche Bekanntmachung des Eintritts der nach Auffassung des Verwalters bestehenden Unzulänglichkeit der Neumasse ersetzt den notwendigen Vortrag zur Darlegung der Neumasseunzulänglichkeit nicht. Für die Bindungswirkung einer solchen Bekanntmachung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Anordnung. Im Hinblick auf die konzeptionell andere Ausgestaltung der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO (dazu Rn. 17) ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bewusst gegen die Publizitätswirkung einer – ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Grundlage erfolgten – Bekanntmachung der Neumasseunzulänglichkeit entschieden hat (vgl. MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 208 Rn. 60; vgl. für § 60 KO: BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 80/01 – zu I 5 b bb der Gründe; BGH 7. Juli 2005 – IX ZR 241/01 – zu II 2 a der Gründe).

21

cc) Für den Nachweis der Neumasseunzulänglichkeit reicht es regelmäßig aus, wenn der Insolvenzverwalter einen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz noch zeitnahen Finanzstatus vorlegt, also eine Zusammenstellung, auf deren Grundlage das Prozessgericht beurteilen kann, ob tatsächlich Neumasseunzulänglichkeit vorliegt (vgl. BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 80/01 – zu I 3 der Gründe [zu § 60 KO]; BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 2 c cc der Gründe, BGHZ 154, 358). Die Angabe des auf dem Insolvenzkonto befindlichen Betrags genügt ebenso wenig wie eine bloß pauschale Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva ohne deren Bewertung (BGH 10. August 2000 – III ZB 27/00 -; MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 208 Rn. 60, § 210 Rn. 22). Bestreitet der Prozessgegner die nach diesen Maßstäben dargelegte Neumasseunzulänglichkeit, hat der Tatrichter seine tatrichterliche Überzeugung vom Vorliegen der Neumasseunzulänglichkeit unter Heranziehung der Beweiserleichterungen der entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 287 Abs. 2 ZPO zu bilden (vgl. BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – aaO unter Verweis auf BGH 22. Februar 2001 – IX ZR 191/98 – zu II 1 b der Gründe, BGHZ 147, 28).

22

dd) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur hinreichenden Darlegung der im Mai 2020 eingetretenen (erneuten) Neumasseunzulänglichkeit durch den Beklagten lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

23

(1) Die tatrichterliche Beurteilung, dass der Insolvenzverwalter die Neumasseunzulänglichkeit dargelegt hat, kann vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden, also darauf, ob sich das Tatsachengericht mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. allg. zur revisionsgerichtlichen Kontrolle von Beweiswürdigungen, die nach § 287 ZPO vorzunehmen sind, BGH 24. Juni 2008 – VI ZR 234/07 – Rn. 18; Stein/Jonas/Thole 23. Aufl. § 287 Rn. 55).

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(2) Nach diesem Maßstab ist die Feststellung der im Mai 2020 bestehenden (erneuten) Neumasseunzulänglichkeit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

25

(a) Das Landesarbeitsgericht hat ua. angenommen, der Beklagte habe mit konkreten Angaben zur Liquidität und mit Forderungsaufstellungen nachvollziehbar dargelegt, dass es aufgrund seines Unterliegens in zahlreichen Kündigungsschutzverfahren im Abgleich mit dem frei von Drittrechten vorhandenem Insolvenzguthaben zu einer Unterdeckung von mehr als 13 Millionen Euro gekommen sei.

26

(b) Die dagegen erhobenen Revisionsrügen greifen nicht durch.

27

(aa) Die Rüge, es sei völlig unklar, auf welcher Grundlage der Beklagte die zur Darlegung der Unterdeckung eingesetzten Beträge ermittelt habe und sein Zahlenwerk sei insgesamt nicht überprüfbar, berücksichtigt nicht, dass auch der Geltendmachung einer Neumasseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter eine von ihm ständig fortzuschreibende Liquiditätsprognose zugrunde liegt (vgl. Pape in Mohrbutter/Ringstmeier Handbuch Insolvenzverwaltung 9. Aufl. Kapitel 12 Rn. 103). Dieser sind wie jeder Prognose Bewertungsschwierigkeiten und Schätzungsungenauigkeiten immanent und hinzunehmen (vgl. BGH 20. Juli 2017 – IX ZR 310/14 – Rn. 25 mwN). Von dieser Erkenntnis hat sich das Landesarbeitsgericht leiten lassen und die in den Tatsacheninstanzen vorgetragenen Tatsachen nachvollziehbar, vollständig und rechtlich möglich gewürdigt, ohne dabei Denkgesetze und Erfahrungssätze zu verletzen. Mit ihrer Rüge erstrebt die Revision letztlich eine nach dem Gesetz nicht zulässige Ersetzung der Ermessensentscheidung des Landesarbeitsgerichts durch eine eigene des Senats (Wieczorek/Schütze/Ahrens 4. Aufl. § 287 ZPO Rn. 67).

28

(bb) Soweit die Revision geltend macht, die überwiegende Zahl der gekündigten Beschäftigten habe eine Anschlussbeschäftigung gefunden und insoweit anrechenbares Einkommen erzielt, sodass es keine Forderungsanmeldungen in der vom Beklagten bei der Annahme der Neumasseunzulänglichkeit zugrunde gelegten Höhe gebe, handelt es sich um neuen Vortrag, mit dem kein Rechtsanwendungsfehler des Landesarbeitsgerichts gerügt werden kann. Dieses neue Vorbringen ist zudem nach § 72 Abs. 5 ArbGG, § 559 ZPO nicht zu berücksichtigen (BAG 19. November 2020 – 6 AZR 449/19 – Rn. 41 mwN; 24. Oktober 2019 – 2 AZR 101/18 – Rn. 16 mwN).

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4. Da im Streitfall das Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage bereits aus den dargelegten Gründen fehlt, kann dahinstehen, ob den Beschlüssen des Insolvenzgerichts vom 30. April 2019 und vom 4. Juni 2020 über ein Verbot der Zwangsvollstreckung durch Massegläubiger wegen Neumasseverbindlichkeiten, die bis zu diesem Tag begründet wurden, eine Wirkung für das Rechtsschutzbedürfnis zukommt.

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II. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die zulässige Feststellungsklage unbegründet ist, soweit der Kläger die Feststellung von Masseverbindlichkeiten im Rang vor den bis zum 27. Mai 2020 (Antrag zu 2 a) und weiter hilfsweise im Rang vor den bis zum 30. April 2019 begründeten Masseverbindlichkeiten (Antrag zu 2 b) begehrt, die Klage aber begründet ist, soweit der Kläger die Feststellung des Vorrangs der streitbefangenen Ansprüche aus Annahmeverzug vor den Altmasseverbindlichkeiten (Antrag zu 2 c) begehrt.

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1. Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO wird die Rangfolge der Massegläubiger abschließend neu nach § 209 InsO geordnet. Tritt eine Neumasseunzulänglichkeit ein, kommt es zu keiner neuen, von der des § 209 InsO abweichenden Verteilungsordnung. Vielmehr befinden sich nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit alle Neumassegläubiger in einer zwingenden Quotengemeinschaft. Können infolge der weiteren Entwicklung des Insolvenzverfahrens nicht alle Neumassegläubiger voll befriedigt werden, sind ihre Ansprüche quotal zu erfüllen. Das ist durch die ständige Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht (BAG 31. März 2004 – 10 AZR 253/03 – zu B II 2 a der Gründe [Stellt sich … heraus, dass die vorhandene Masse auch die Ansprüche nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht mehr voll abdecken kann und auch nur für sie eine anteilige Erfüllung infrage kommt, …], BAGE 110, 135; 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – zu II 1 der Gründe) und Bundesgerichtshof (BGH 9. Oktober 2008 – IX ZB 129/07 – Rn. 7 [Neumasseverbindlichkeiten dürfen nicht allein durch eine spätere Anzeige zu Altmasseverbindlichkeiten zurückgestuft werden]; 13. April 2006 – IX ZR 22/05 – Rn. 17 [Dies läuft darauf hinaus, … Verbindlichkeiten, die nach der erneuten Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, einen im Gesetz nicht vorgesehenen verbesserten Rang zu verschaffen], BGHZ 167, 178; 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 2 c bb der Gründe [Reicht die verfügbare Insolvenzmasse nicht zur vollen Befriedigung aller Neumassegläubiger, greift innerhalb der durch § 209 InsO vorgegebenen Rangordnung … der Grundsatz der Gleichbehandlung], BGHZ 154, 358) geklärt (sh. die zutreffenden Zusammenfassungen der Rechtsprechung bei Ganter NZI 2019, 7, 8; ders. ZIP 2019, 97, 98; Thole ZIP 2018, 2241, 2244; MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 208 Rn. 60).

32

2. An dieser bisher nicht näher begründeten Auffassung hält der Senat ungeachtet der im Schrifttum erhobenen Kritik (Ganter NZI 2019, 7) fest.

33

a) Die Bildung von Zwischenrängen, wie sie der Beklagte mit der von ihm erklärten „Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ vom 30. April 2019 und der „Neu-Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ vom 27. Mai 2020 vorgenommen hat, ist mit der gesetzlichen Rangordnung des § 209 InsO nicht vereinbar, weil diese Rangordnung abschließend ist. Eine Differenzierung in „Alt-Neumasseverbindlichkeiten“ und „Neu-Neumasseverbindlichkeiten“ bzw. die vom Beklagten vorgenommene Bildung weiterer Zwischenrangstufen infolge weiterer „Anzeigen“ der Neumasseunzulänglichkeit lässt sich auch nicht im Wege der analogen Anwendung der §§ 208 ff. InsO vornehmen. Die Voraussetzungen für eine solche richterliche Rechtsfortbildung liegen nicht vor.

34

aa) Bereits der Wortlaut der §§ 208 ff. InsO macht deutlich, dass die durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingetretene neue Rangfolge mit der Unterteilung in Alt- und Neumasseverbindlichkeiten abschließend ist und sich auch dann nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr ändert, wenn es zu einer Neumasseunzulänglichkeit kommt.

35

§ 209 Abs. 1 Einleitungssatz InsO legt fest, dass die Forderungen des jeweiligen Rangs in der von dieser Bestimmung vorgegebenen Reihenfolge vollständig zu erfüllen sind, bevor die Forderungen eines nachfolgenden Rangs beglichen werden dürfen. Reicht die für einen Rang vorhandene Masse nicht aus, sind die Masseverbindlichkeiten bei gleichem Rang „im Verhältnis ihrer Beträge“, also anteilig, zu berichtigen (BeckOK InsR/Ruland Stand 15. Januar 2022 InsO § 209 Rn. 1). Nach diesem unmissverständlichen Wortlaut sind innerhalb einer Rangklasse alle Forderungen gleichrangig und deshalb bei unzureichender Masse nur noch anteilig zu befriedigen (MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 209 Rn. 13; Uhlenbruck/Ries 15. Aufl. § 209 InsO Rn. 10; für § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO BGH 7. Februar 2013 – IX ZB 245/11 – Rn. 29; für Altmassegläubiger BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 2 c bb der Gründe, BGHZ 154, 358). Im Ergebnis sind Forderungen einer Rangklasse anteilig zu kürzen, wenn die für diese Klasse zur Verfügung stehende Masse unzureichend ist (Nerlich/Römermann/Westphal InsO § 209 Stand November 2021 Rn. 4). Darum sind Neumasseverbindlichkeiten bei Eintritt einer Neumasseunzulänglichkeit nicht abhängig vom Zeitpunkt ihres Entstehens zu „Alt-Neumasseverbindlichkeiten“ herabzustufen bzw. als „Neu-Neumasseverbindlichkeiten“ zu privilegieren, sondern quotal zu erfüllen.

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bb) Systematische Erwägungen bestätigen das wortlautgemäße Verständnis.

37

(1) Die Insolvenzordnung unterscheidet für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens verschiedene Gläubigergruppen mit sehr unterschiedlichen Rechtsstellungen. Für jede dieser Gläubigergruppen ist geregelt, nach welchen Maßgaben und in welchem Umfang die ihr zugehörigen Gläubiger die Befriedigung ihrer Forderungen verfolgen und ggf. durchsetzen können. Für Insolvenzgläubiger ist eine Rangfolge lediglich noch für nachrangige Insolvenzforderungen iSv. § 39 InsO vorgesehen. Die Gläubigerrangfolge der §§ 61 und 62 KO ist unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nicht übernommen worden (BT-Drs. 12/2443 S. 81; Gottwald/Haas/Pechartscheck Insolvenzrechts-Handbuch 6. Aufl. § 19 Rn. 1). Dagegen ist für Massegläubiger nach Eintritt einer Masseunzulänglichkeit in § 209 InsO ein im Einzelnen genau ausdifferenziertes Rangfolgesystem geregelt, nach dem die jeweiligen Forderungen zu berichtigen sind. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit führt danach zu einer Neuordnung der insolvenzrechtlichen Rangfolge der Masseverbindlichkeiten. Es kommt zu einer in Alt- und Neumasseverbindlichkeiten „gespaltenen“ neuen Rangordnung (BAG 22. Februar 2018 – 6 AZR 868/16 – Rn. 12, BAGE 162, 58). Eine abweichende Rangordnung nach Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit ist in diesem ausdifferenzierten System nicht vorgesehen.

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(2) Auch § 211 InsO spricht gegen die Möglichkeit, Zwischenränge zu bilden. Diese Regelung ergänzt die Vorschriften in §§ 208 ff. InsO. Sie verpflichtet den Verwalter, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens die Erlöse an die Gläubiger nach Maßgabe des § 209 InsO und nicht nach einer anderen, selbstgesetzten Rangfolge zu verteilen. Erst nach Erfüllung dieser Verpflichtung darf das Verfahren vom Insolvenzgericht eingestellt werden (Nerlich/Römermann/Westphal InsO § 211 Stand November 2021 Rn. 3; MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 211 Rn. 1).

39

(3) Aus dieser Systematik der Insolvenzordnung folgt nicht nur, dass der Gesetzgeber die Zahl der Rangklassen gering halten wollte (Thole ZIP 2018, 2241, 2244). Aus ihr folgt zugleich, dass es sich um ein abgeschlossenes Regelungssystem handelt (aA Runkel/Schnurbusch NZI 2000, 49) und dass nicht gesetzlich geregelte Rangänderungen ausgeschlossen sind (aus diesem Grund gegen die nur quotale Befriedigung von Urlaubsabgeltungsansprüchen als Masseverbindlichkeit unter Zurückstufung des Rests dieser Ansprüche zur Insolvenzforderung bzw. Altmasseverbindlichkeit BAG 10. September 2020 – 6 AZR 94/19 (A) – Rn. 56, BAGE 172, 158). Deshalb führt auch der Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit nicht zu einer weiteren Veränderung der Rangfolge.

40

cc) Angesichts des den §§ 208 ff. InsO zu entnehmenden eindeutigen Willens des Gesetzgebers, mit diesen Bestimmungen abschließend festzulegen, welcher Rang Forderungen nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit zukommen soll, ist es entgegen der Annahme des Beklagten den Gerichten verwehrt, diese Bestimmungen auf die Neumasseunzulänglichkeit analog anzuwenden, Zwischenränge zu schaffen und so in die vom Gesetzgeber geschaffene Rangordnung einzugreifen (aA Ganter NZI 2019, 7, 11 ff., 15). Damit würden sie sich unzulässig rechtsfortbildend über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen, statt die eindeutige gesetzgeberische Entscheidung, dass auch nach Eintritt einer Neumasseunzulänglichkeit die Rangordnung des § 209 InsO weiter gilt, zu respektieren.

41

(1) Die Anwendung einer Vorschrift auf einen anderen Tatbestand im Wege der Einzel- bzw. Gesetzesanalogie (zu diesen Begrifflichkeiten Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S. 383) ist nur möglich, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke aufgefasst und im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Die Lücke muss sich demnach aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem, dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan ergeben. Darüber hinaus muss der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangen wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle (vgl. BAG 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 53, BAGE 168, 254; zuletzt BAG 10. November 2021 – 10 AZR 696/19 – Rn. 50).

42

(2) Diese Voraussetzungen liegen hier offenkundig nicht vor.

43

(a) Aus den unter Rn. 34 ff. dargelegten Gründen fehlt es bereits an der für eine Rechtsfortbildung durch Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

44

(b) Zudem führt jede Ausweitung der Rangordnung und jedes Mehr an Forderungen in vorgehenden Rangstellen zu einer Minderung der den nachrangigen Gläubigern verbleibenden Haftungsmasse. Das wäre auch bei der Bildung von Zwischenrängen der Fall. Die bisherigen Neumassegläubiger würden zu Alt-Neumassegläubigern, die zwar gegenüber den „genuinen“ Altmassegläubigern nach wie vor bevorzugt zu bedienen wären, aber gegenüber den nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Neumasseunzulänglichkeit hinzukommenden Neu-Neumassegläubigern im Rang zurückträten (so ausdrücklich Ganter NZI 2019, 7, 12). Derartige Eingriffe in die gesetzlich festgelegte Rangfolge gehen zwangsläufig zulasten anderer Gläubiger und führen regelmäßig zu neuen Unstimmigkeiten bei der Insolvenzabwicklung. Wegen dieser Auswirkungen kann nur der Gesetzgeber selbst unter Abwägung und Ausgleich der betroffenen Interessen die Rangfolge von Forderungen in der Insolvenz festlegen oder ändern (Thole ZIP 2018, 2241, 2244; vgl. für die Einordnung von Abfindungen aus Sozialplänen in den Rang „0“ und damit vor § 61 Abs. 1 KO BVerfG 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485/80 ua. – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 65, 182).

45

(c) Unabhängig von Vorstehendem ließe sich schließlich auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festlegen, welche Rechtsfolgen der §§ 208 ff. InsO auf die Neumasseunzulänglichkeit zu übertragen wären. Das zeigt die im Schrifttum kontrovers geführte Diskussion, was die Folge eines Eintritts der Neumasseunzulänglichkeit ist. Neben der Bildung von Zwischenrängen (Ganter NZI 2019, 7; Dinstühler ZIP 1998, 1697; Kröpelin ZIP 2003, 2341) wird auch die Rückstufung der bisherigen Neugläubiger zu Altmassegläubigern iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO befürwortet (Uhlenbruck/Ries 15. Aufl. § 208 InsO Rn. 25). Teilweise wird auch vertreten, dem Verwalter müsse es durch die Schaffung einer haftungsrechtlichen Einrede ermöglicht werden, nur bestimmte Neumasseverbindlichkeiten voll zu bedienen und andere Neumassegläubiger auf die Quote zu verweisen (Thole ZIP 2018, 2241, 2246 ff.; dazu unter Rn. 52).

46

(d) Nach Vorstehendem kommt es nicht darauf an, ob die Bildung von Zwischenrängen tatsächlich „sinnvoll“ wäre, um die Neumasseunzulänglichkeit handhaben zu können (so Ganter NZI 2019, 7, 12) oder ob das lediglich zu einer intransparenten Verteilungsordnung führte (Thole ZIP 2018, 2241, 2244; Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 27). Selbst wenn eine Rechtsfortbildung „sinnvoll“ wäre, ist es im Hinblick auf das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip der Rechtsprechung verwehrt, sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen und dessen Regelungsmodell durch ein eigenes zu ersetzen (vgl. BVerfG 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10 – Rn. 55 ff., BVerfGE 128, 193).

47

b) Auch die im Schrifttum (Nachweise bei Ganter ZIP 2019, 97 in Fn. 27) erörterte Rückstufung der bisherigen Neumassegläubiger zu Altmassegläubigern wäre aus den in Rn. 33 ff. dargelegten Gründen eine unzulässige Rechtsfortbildung.

48

3. Aus den vom Beklagten erstatteten „Neumasseunzulänglichkeitsanzeigen“ folgt nichts anderes. Der Senat ist nicht an die diesen „Anzeigen“ zugrunde liegende gesetzwidrige Rangordnung gebunden. Nach der Konzeption der Insolvenzordnung führt der Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit nicht zu einer Neuordnung der gesetzlich festgelegten Rangfolge der Masseverbindlichkeiten. Einer „Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ bedarf es daher nicht. Wird sie gleichwohl erstattet, kommt ihr – anders als der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO – keine bindende Wirkung zu.

49

a) Die rechtlichen Folgen einer „Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ hat die Rechtsprechung bisher offengelassen (BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – zu II 1 der Gründe; BGH 9. Oktober 2008 – IX ZB 129/07 – Rn. 7 ff.; 13. April 2006 – IX ZR 22/05 – Rn. 21, BGHZ 167, 178; 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 2 c bb der Gründe, BGHZ 154, 358). Entgegen der Annahme in Teilen des Schrifttums (Ganter NZI 2019, 7, 8; Thole ZIP 2018, 2241, 2243) hat das Bundesarbeitsgericht auch in der Entscheidung vom 31. März 2004 (- 10 AZR 253/03 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 110, 135) eine „Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ nicht als „reelle Alternative zur einzelfallbezogenen Einwendung im Prozess“ angesehen, sondern wie der Bundesgerichtshof in der vom Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts herangezogenen Entscheidung vom 3. April 2003 (- IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358) die Wirkung einer solchen Anzeige gerade offenlassen wollen. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts vom uneingeschränkten Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, es könne – in der konkreten Situation – offenbleiben, ob eine Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit mit bindender Wirkung zulässig sei, in der Entscheidung vom 4. Juni 2003 (- 10 AZR 586/02 – zu II 1 der Gründe) hat lösen wollen, fehlen.

50

b) Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO werden die bis dahin einheitlich zu behandelnden Masseverbindlichkeiten in zwei unterschiedliche Ränge getrennt und von da an unterschiedlich befriedigt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll und muss dieser Anzeige Bindungswirkung erga omnes und damit auch gegenüber dem Prozessgericht zukommen, weil für den Insolvenzverwalter keine verlässliche Grundlage für die Abwicklung der Insolvenzmasse bestünde, wenn die Masseunzulänglichkeit von jedem einzelnen Massegläubiger in Frage gestellt werden könnte. Die Anzeige könnte dann ihren gesetzlichen Zweck nicht erfüllen (vgl. BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 459/00 – zu II 4 b der Gründe; BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu II 1 der Gründe, BGHZ 154, 358). Bindungswirkung hat die Anzeige nach § 208 InsO deshalb nur, damit der gesetzgeberische Wille, dadurch unterschiedliche Ränge zu bilden, effektiv umgesetzt werden kann. Die Anzeige nach § 208 Abs. 1 InsO und die Wirkungen des § 209 InsO sind demnach untrennbar miteinander verknüpft (vgl. BGH 13. April 2006 – IX ZR 22/05 – Rn. 17, BGHZ 167, 178; Thole ZIP 2018, 2241, 2243 f.; HK-InsO/Hölzle 10. Aufl. § 208 Rn. 4; Uhlenbruck/Ries 15. Aufl. § 208 InsO Rn. 2).

51

c) Der Gesetzgeber hat – wie in Rn. 34 ff. ausgeführt – dem Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit im Unterschied zur Masseunzulänglichkeit keine rangändernden Folgen beigemessen. Neumasseverbindlichkeiten sind auch bei Vorliegen einer Neumasseunzulänglichkeit gleichmäßig und im selben Rang zu befriedigen. Damit bedarf es weder einer Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit noch kann einer etwaig doch erfolgten und veröffentlichten „Anzeige“ Wirkung erga omnes zukommen (vgl. Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 28). Eine solche Wirkung lässt sich auch nicht im Wege der Analogie entwickeln (aA Ganter NZI 2019, 7, 12). Vielmehr ist die Konsequenz der gesetzlichen Grundentscheidung, eine Neuordnung der Rangfolge für Masseverbindlichkeiten nur einmal – nämlich als Folge der Anzeige der Masseunzulänglichkeit – anzuordnen, hinzunehmen. Eine rechtlich nicht erforderliche und darum gesetzlich nicht vorgesehene Anzeige kann keine rechtliche Wirkung, erst recht keine Bindungswirkung, entfalten (Thole ZIP 2018, 2241, 2243 f.).

52

4. Soweit im Schrifttum vertreten wird, die bestehende Rechtslage kollidiere mit der aus § 208 Abs. 3 InsO folgenden Verpflichtung des Insolvenzverwalters, die Masse auch nach Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit weiter zu verwalten und zu verwerten, weil sich die dafür benötigten Neumassegläubiger auf eine lediglich quotale Befriedigung ihrer Forderungen nicht einlassen würden, berechtigt das die Rechtsprechung nicht zur Entwicklung einer „haftungsrechtlichen Einrede“ (aA Thole ZIP 2018, 2241, 2245 ff.; Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 56). Zwar würde eine solche Einrede es dem Insolvenzverwalter ermöglichen, ohne Haftungsrisiko bestimmte Neumasseverbindlichkeiten voll zu bedienen und andere – wie gesetzlich vorgesehen – nur noch quotal zu befriedigen. Für eine solche „Korrektur“ der Entscheidung des Gesetzgebers, alle Neumassegläubiger auch nach Eintritt einer Neumasseunzulänglichkeit weiterhin gleich zu behandeln, fehlt es jedoch an der dafür erforderlichen Rechtsgrundlage, die ihre Verfechter darum auch nicht aufzuzeigen vermögen.

53

Bei Anwendung und Auslegung des § 208 Abs. 3 InsO ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die den Insolvenzverwalter danach treffenden Pflichten, die grundsätzlich auch beinhalten, bei der weiteren Verwertung die Verteilungsordnung des § 209 InsO allen Gläubigern gegenüber gleichermaßen umzusetzen (aA MüKoInsO/Hefermehl 4. Aufl. § 208 Rn. 60: Berechtigung, die Neumasseunzulänglichkeit selektiv einzuwenden), nicht abstrakt und für jedes Insolvenzverfahren einheitlich festlegen lassen. Diese Pflichten richten sich vielmehr nach der jeweiligen Marktsituation und Lage der Masse (vgl. Jaeger/Windel InsO 2. Aufl. § 209 Rn. 19). Darum ist der Insolvenzverwalter nach Eintritt einer Neumasseunzulänglichkeit nicht verpflichtet, die Masse um jeden Preis weiter zu verwalten und zu verwerten. Im Gegenteil überformt der Insolvenzeintritt nach dem Willen des Gesetzgebers Marktgesetze nicht und soll nicht den Wettbewerb zwischen gesunden und insolventen Unternehmen verzerren. Ist nach Einschätzung des Insolvenzverwalters der Liquidationswert höher als der Fortführungswert, hat er als Teil der dem Insolvenzrecht zukommenden Ordnungsaufgabe das insolvente Unternehmen zu liquidieren (BT-Drs. 12/2443 S. 75 f.). Letztlich geht es nach Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit nur noch um eine geordnete Abwicklung (vgl. bereits für die Masseunzulänglichkeit BGH 4. Juli 2002 – IX ZR 97/99 – zu II 5 b der Gründe, BGHZ 151, 236). § 208 Abs. 3 InsO vermag deshalb eine verzögerte Abwicklung nicht zu decken (KPB/Pape InsO § 208 Stand März 2004 Rn. 20). Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann sich deshalb die Pflicht aus § 208 Abs. 3 InsO auf eine selektive Notverwertung beschränken, also auf die Pflicht, das Insolvenzverfahren schnellstmöglich zur Einstellung zu bringen (vgl. Jaeger/Windel aaO § 208 Rn. 72 f.; zu einer derartigen Begrenzung des § 208 Abs. 3 InsO bereits bei Eintritt von Masseunzulänglichkeit MüKoInsO/Hefermehl § 208 Rn. 46). Bei komplexen Verfahren wie dem vorliegenden ist dem Insolvenzverwalter allerdings zuzugestehen, dass allein die Abwicklung erhebliche Zeit in Anspruch nimmt und auch das Eingehen neuer Verbindlichkeiten erforderlich machen kann, etwa für die Verteidigung in Kündigungsschutzverfahren oder für die Heranziehung von Dritten zur Erfüllung steuerrechtlicher oder anderer öffentlich-rechtlicher Pflichten (vgl. Thole ZIP 2018, 2241, 2248 f.).

54

5. Die bestehende Rechtslage ist entgegen der Annahme der Revision verfassungskonform.

55

a) Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Die vom Kläger vermisste gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts, von dem auch schuldrechtliche Forderungen erfasst werden (vgl. BVerfG 7. Dezember 2004 – 1 BvR 1804/03 – zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 112, 93), findet sich in §§ 208 f. InsO. Mit diesen Bestimmungen ist gesetzlich festgelegt, dass und wie Neumasseverbindlichkeiten bei Eintritt einer Neumasseunzulänglichkeit zu befriedigen sind. Ohnehin ist das Insolvenzverfahren seinerseits Teil der Gewährleistung des Eigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 24 mwN).

56

b) Die Rüge einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bezieht sich auf eine „weitere Rückstufung“ der Neumasseverbindlichkeiten, zu der es nach der geltenden Rechtslage bei Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit gerade nicht kommt. Soweit die Rüge dahin zu verstehen sein sollte, dass der absolute Vorrang der Kosten nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehende Bevorzugung des Insolvenzverwalters darstelle, berücksichtigt die Revision nicht, dass der Rangvortritt der Kosten des Verwalters verfassungsrechtlich geboten ist (vgl. BGH 5. Dezember 1991 – IX ZR 275/90 – zu II 2 a der Gründe, BGHZ 116, 233).

57

c) Schließlich sind entgegen der Auffassung der Revision auch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht dadurch überschritten, dass in entsprechender Anwendung des § 210 InsO Neumasseverbindlichkeiten nach Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit nicht mehr mit der Leistungsklage verfolgt werden können. Mit dieser Rechtsfortbildung hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung an dem in § 1 Satz 1 InsO verankerten Grundsatz der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung orientiert (BT-Drs. 12/2443 S. 108) und die der Insolvenzordnung zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung, einen konkurrierenden Wettlauf der Gläubiger zu vermeiden (vgl. zu diesem übergeordneten Ziel der Insolvenzordnung BT-Drs. 12/2443 S. 139; BGH 19. Juli 2007 – IX ZB 36/07 – Rn. 12, BGHZ 173, 286; 9. September 1997 – IX ZR 14/97 – zu II 1 a der Gründe, BGHZ 136, 309), auf den gesetzlich nicht geregelten Fall der Neumasseunzulänglichkeit übertragen.

58

III. Soweit das Landesarbeitsgericht im Tenor des Berufungsurteils mit 144.249,11 Euro brutto eine um 10,00 Euro zu niedrige Neumasseverbindlichkeit festgestellt hat, handelt es sich offensichtlich um einen jederzeit auch noch vom Rechtsmittelgericht (vgl. BAG 6. September 2018 – 6 AZR 204/17 – Rn. 20 mwN) von Amts wegen zu berichtigenden Tenorierungsfehler (§ 319 ZPO). Ausweislich des Protokolls der mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. November 2020 hat der Kläger die Anträge aus dem Schriftsatz vom 3. September 2020 gestellt und damit die Feststellung von Differenzlohnansprüchen iHv. 144.259,11 Euro brutto abzüglich der erhaltenen Lohnersatzleistungen begehrt. In diesem Umfang hat das Landesarbeitsgericht ausweislich seiner Berechnungsdarlegung unter A II 2 c cc der Urteilsgründe auch über den Streitgegenstand entschieden und der Klage entsprochen.

59

IV. Wegen der Erfolglosigkeit der Revision und der Anschlussrevision sind die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen.

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

    Wemheuer    

        

        

        

    C. Klar    

        

    M. Werner