8 AZR 297/20

§ 165 Satz 3 SGB IX - Einladung zum Vorstellungsgespräch

Details

  • Aktenzeichen

    8 AZR 297/20

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2021:010721.U.8AZR297.20.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    01.07.2021

  • Senat

    8. Senat

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Januar 2020 – 5 Sa 95/19 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Leitsatz

Der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, kann die Kausalitätsvermutung nach § 22 AGG nur dann begründen, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang der Einladung zu bewirken.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Stadt (im Folgenden Beklagte) verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung zu zahlen.

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Im Januar 2018 schrieb die Beklagte die Stelle einer Kämmerin/eines Kämmerers nach der Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA aus.

3

Der Kläger, der die Prüfung für die Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienstes in der Bundespolizei abgelegt, hierdurch den akademischen Grad „Diplom-Verwaltungswirt (FH)“ erworben, später an der Universität Kassel – Fachbereich Wirtschaftswissenschaften – den Studienabschluss Master of Public Administration erworben und anschließend verschiedene Tätigkeiten ausgeübt hatte, bewarb sich auf diese Stelle mit einem per E-Mail übersandten Schreiben vom 31. Januar 2018, in dem es im letzten Absatz ua. heißt:

        

„Den von Ihnen dargestellten Aufgaben bin ich gewachsen und würde mich freuen, sie bewältigen zu dürfen. Meine Gleichstellung mit Schwerbehinderten hat keinen Einfluss auf meine Arbeitsleistung bei dieser Stelle. Auf eine persönliche Vorstellung freue ich mich sehr …“

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In seiner Bewerbung teilte der Kläger keine Wohnanschrift mit, sondern gab eine Postfachadresse an.

5

Die Vorstellungsgespräche bei der Beklagten fanden am 21. Februar 2018 statt. Mit Schreiben vom 14. März 2018 übersandte die Beklagte die Bewerbungsunterlagen des Klägers an die angegebene Postfachanschrift und teilte ihm mit, sich für eine andere Person entschieden zu haben.

6

Unter dem 2. Mai 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, an ihn wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung eine Entschädigung zu zahlen. Die Beklagte lehnte die Forderung des Klägers mit Schreiben des Kommunalen Schadenausgleichs der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (im folgenden KSA) vom 18. Mai 2018 ab.

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Mit seiner Klage hat der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung weiterverfolgt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet, da sie ihn im Bewerbungsverfahren wegen seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen und damit wegen der (Schwer)Behinderung benachteiligt habe. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte ihn entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, obwohl er sowohl im Bewerbungsanschreiben als auch im Anlagenverzeichnis über seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen informiert habe. Er sei auch fachlich für die Stelle geeignet gewesen.

8

Soweit die Beklagte behaupte, ihn schriftlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben, bestreite er dies mit Nichtwissen. Eine Einladung habe er nicht erhalten. Es komme insoweit allein auf den Zugang des Einladungsschreibens an, für den die Beklagte als Arbeitgeber beweispflichtig sei. Im Übrigen weise das von der Beklagten im Verfahren vorgelegte angebliche Einladungsschreiben vom 6. Februar 2018 im Schriftbild auffällige Unterschiede im Vergleich zu dem Absageschreiben vom 14. März 2018 auf. Widersprüchlich sei auch, dass die Beklagte sich weder in diesem Absageschreiben noch in dem Schreiben der KSA vom 18. Mai 2018 darauf berufen habe, dass er nicht zum Vorstellungsgespräch erschienen sei. Auch habe die Beklagte anlässlich seines Ausbleibens beim Vorstellungstermin nicht versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Jedenfalls habe die Beklagte es bereits pflichtwidrig versäumt, ihm das angebliche Einladungsschreiben auf einem sicheren Zugangsweg, beispielsweise per Einschreiben mit Rückschein zukommen zu lassen.

9

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. März 2018 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Klage sei unbegründet. Sie habe den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Bürgermeister habe den Kläger in Abstimmung mit dem Amtsleiter Zentrale Dienste und einem Mitglied der Personalvertretung für ein Vorstellungsgespräch ausgewählt. Sie – die Beklagte – habe den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 6. Februar 2018, unterzeichnet vom Bürgermeister, unter der angegebenen Postfachanschrift zu einem Vorstellungsgespräch am 21. Februar 2018 um 10:30 Uhr ins Rathaus, Zimmer des Bürgermeisters, eingeladen. Die Sekretärin des Bürgermeisters habe das Schreiben zur Post gegeben. Ein eventueller Verlust des Einladungsschreibens auf dem Postweg begründe jedenfalls keine Vermutung für eine Benachteiligung wegen der Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen und damit wegen der (Schwer)Behinderung. Als der Kläger zum Vorstellungstermin am 21. Februar 2018 nicht erschienen sei, habe die Sekretärin des Bürgermeisters mehrfach erfolglos versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen. Die vom Kläger angeführten Unterschiede in den Briefköpfen der Einladungs- und Absageschreiben seien ausschließlich darauf zurückzuführen, dass verschiedene Computer mit unterschiedlichen Dokumentenvorlagen verwendet worden seien. Das Absageschreiben enthalte schon deshalb keinen Hinweis auf das Ausbleiben des Klägers zum Vorstellungsgespräch, weil bei allen erfolglosen Bewerbungen ein gleichlautender Standardtext verwandt worden sei.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtetes Begehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.

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B. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, hat die Beklagte den Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. seiner Gleichstellung benachteiligt.

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I. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Diese Bestimmung findet – ebenso wie alle anderen Bestimmungen des Teils 3 des SGB IX – nach § 151 Abs. 1 SGB IX auch auf gleichgestellte behinderte Menschen Anwendung. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG.

15

II. Zwar wurde der Kläger dadurch unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, dass er von der Beklagten im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle als „Kämmerin/Kämmerer“ nicht berücksichtigt wurde, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerber/innen gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob ein/e von der Beklagten ausgewählte/r Bewerber/in die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an (vgl. näher BAG 19. Dezember 2019 – 8 AZR 2/19 – Rn. 28 ff., BAGE 169, 217).

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III. Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG jedoch – entgegen seiner Rechtsauffassung – nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. wegen seiner Gleichstellung erfahren.

17

1. Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dasselbe gilt für das besondere Benachteiligungsverbot in § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Auch hier muss zwischen der Benachteiligung und dem Grund – hier der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung – ein Kausalzusammenhang bestehen.

18

a) Soweit es – wie hier – um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 23. November 2017 – 8 AZR 372/16 – Rn. 20 mwN).

19

b) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (vgl. etwa BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 25 mwN).

20

aa) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 26 mwN).

21

bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, mithin auch der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht, eine/n schwerbehinderte/n oder diesen gleichgestellte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (vgl. etwa BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 27; 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 37, BAGE 169, 302; 16. Mai 2019 – 8 AZR 315/18 – Rn. 22 mwN, BAGE 167, 1; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 25 mwN, BAGE 156, 107).

22

cc) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 28 mwN; 26. Januar 2017 – 8 AZR 73/16 – Rn. 26 mwN).

23

c) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem/einer Bewerber/in vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen, ist nur eingeschränkt revisibel. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Würdigung der Tatsachengerichte möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. etwa BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 29; 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 67, BAGE 169, 302; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 48 mwN, BAGE 156, 107).

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2. Danach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. wegen seiner Gleichstellung benachteiligt wurde. Weder der Umstand, dass der Kläger kein Einladungsschreiben der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch erhalten hat noch sonstige Umstände begründen die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass zwischen der Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG und der (Schwer)Behinderung bzw. der Gleichstellung des Klägers der erforderliche Kausalzusammenhang besteht.

25

a) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers begründet der Umstand, dass er kein Einladungsschreiben der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch erhalten hat, nicht die Vermutung iSv. von § 22 AGG, dass er die Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung erfahren hat.

26

aa) Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte – bzw. gleichgestellte – Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, § 165 Satz 3 SGB IX. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich, dh. unzweifelhaft fehlt.

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bb) Zwar war die Beklagte nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

28

Der Kläger hatte die Beklagte dadurch, dass er im Bewerbungsschreiben ausgeführt hatte, seine Gleichstellung mit Schwerbehinderten habe keinen Einfluss auf seine Arbeitsleistung auf der ausgeschriebenen Stelle, hinreichend über seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen informiert (vgl. zu den Erfordernissen einer hinreichenden Mitteilung etwa BAG 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20 – Rn. 33 ff. mwN). Der Angabe des GdB – oder etwa der Vorlage einer Kopie eines Gleichstellungsbescheids – bedurfte es nicht (zur Frage, ob eine Kopie der ersten Seite des Schwerbehindertenausweises vorzulegen ist, vgl. BAG 26. November 2020 – 8 AZR 59/20 – Rn. 37). Dem Kläger fehlte zudem nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle iSv. § 165 Satz 4 SGB IX; darüber streiten die Parteien auch nicht.

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cc) Auch müssen verkörperte Einladungen eines öffentlichen Arbeitgebers zu einem Vorstellungsgespräch dem/der schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Bewerber/in grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 130 BGB zugehen. Die verkörperte Einladung muss demnach in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Bewerbers/der Bewerberin gelangen, so dass unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von der Einladung Kenntnis zu nehmen (vgl. BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 18, BAGE 169, 302). Nur so wird dem Anliegen des Gesetzes hinreichend Rechnung getragen. Schwerbehinderte Bewerber/innen sollen durch das in § 165 Satz 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch ihre Chancen im Auswahlverfahren verbessern können. Sie sollen die Möglichkeit haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung im weitesten Sinne zu überzeugen und damit einen nach den bisherigen Umständen ggf. aufgrund der schriftlichen Unterlagen bestehenden Vorsprung anderer Bewerber/innen durch einen persönlichen Eindruck auszugleichen. Darüber hinaus stellt das Vorstellungsgespräch auch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen (vgl. BAG 25. Juni 2020 – 8 AZR 75/19 – Rn. 38).

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dd) Gleichwohl begründet der Umstand, dass der Kläger ein Einladungsschreiben der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch nicht erhalten hat, nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass er die ungünstigere Behandlung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfahren hat. Denn die Beklagte hatte alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang des Einladungsschreibens beim Kläger zu bewirken. Für sein gegenteiliges Vorbringen ist der Kläger, den im Hinblick auf die die Kausalitätsvermutung begründenden Indizien iSv. § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast traf, beweisfällig geblieben.

31

(1) Zwar begründet – wie unter Rn. 21 ausgeführt – der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht, eine/n schwerbehinderte/n oder gleichgestellte/n, nicht offensichtlich fachlich ungeeignete/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung iSv. § 22 AGG. Allerdings lässt allein der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht zugegangen ist, nicht mit der für die Annahme der Kausalitätsvermutung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass zwischen der Benachteiligung und der (Schwer)Behinderung bzw. der Gleichstellung der erforderliche Kausalzusammenhang besteht. Insoweit wirkt sich nämlich aus, dass der mangelnde Zugang eines Einladungsschreibens auf den unterschiedlichsten Gründen – auch solchen außerhalb der Risikosphäre des Arbeitgebers – beruhen kann und damit keinen Rückschluss auf die Einstellung des Arbeitgebers gegenüber (schwer)behinderten Menschen zulässt. Deshalb ist allein der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht zugegangen ist iSv. § 130 BGB, nicht geeignet, die Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG zu begründen. Anders verhält es sich indes, wenn der Zugang aufgrund von Umständen unterblieben ist, die in der Risikosphäre des Arbeitgebers liegen, weil dieser nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang einer Einladung bei dem/der schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Bewerber/in zu bewirken. Ein solches Verhalten ist geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Einstellung schwerbehinderter oder gleichgestellter Bewerber/innen uninteressiert zu sein.

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(2) Vorliegend hatte die Beklagte alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang des Einladungsschreibens zu bewirken. Insoweit hat die Beklagte vorgetragen, der Bürgermeister habe den Kläger in Abstimmung mit dem Amtsleiter Zentrale Dienste und einem Mitglied der Personalvertretung für ein Vorstellungsgespräch ausgewählt. Sie – die Beklagte – habe den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 6. Februar 2018, unterzeichnet vom Bürgermeister, unter der angegebenen Postfachanschrift zu einem Vorstellungsgespräch am 21. Februar 2018 um 10:30 Uhr ins Rathaus, Zimmer des Bürgermeisters, eingeladen. Die Sekretärin des Bürgermeisters habe das Schreiben zur Post gegeben. Zwar ist der Kläger diesem Vorbringen der Beklagten entgegengetreten; für sein gegenteiliges Vorbringen ist der Kläger, den im Hinblick auf die die Kausalitätsvermutung begründenden Indizien iSv. § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast traf, allerdings beweisfällig geblieben. Anders als der Kläger meint, war die Beklagte auch nicht verpflichtet, dem Kläger das Einladungsschreiben per Einschreiben mit Rückschein zukommen zu lassen.

33

(a) Dem Kläger oblag es – wie unter Rn. 19 ausgeführt -, Indizien darzulegen und zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Danach hätte der Kläger beweisen müssen, dass die Beklagte nicht alles Mögliche und Zumutbare getan hatte, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu bewirken.

34

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers traf ihn als Anspruchsteller und nicht die Beklagte als Anspruchsgegnerin die Darlegungs- und Beweislast, insbesondere war es nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast gekommen. § 22 AGG sieht in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH 16. Juli 2015 – C-83/14 – [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 85; 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociaƫia Accept] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 – C-54/07 – [Feryn] Rn. 30 f.) eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast – wie unter Rn. 19 ausgeführt – erst für den Fall vor, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes besteht (BAG 16. Mai 2019 – 8 AZR 315/18 – Rn. 26, BAGE 167, 1).

35

(b) Allerdings kann eine sich bewerbende Person in einer Situation wie hier aus eigener Kenntnis regelmäßig keine Angaben dazu machen, ob der Arbeitgeber alles Notwendige unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu bewirken. Insoweit handelt es sich nämlich um tatsächliche Verhältnisse in der Sphäre des Prozessgegners, in die ein/e externe/r Bewerber/in regelmäßig keinen Einblick hat. Dies führt dazu, dass den Arbeitgeber insoweit eine sekundäre Darlegungslast trifft. Diese besteht für den bestreitenden Prozessgegner, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. etwa BAG 16. September 2020 – 10 AZR 56/19 – Rn. 53; 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – Rn. 27 mwN, BAGE 170, 327). Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung der Partei, dem Prozessgegner alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (vgl. BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – aaO).

36

(c) Die Beklagte ist der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen.

37

(aa) Die Beklagte hat substantiiert dazu vorgetragen, dass ein Einladungsschreiben an den Kläger verfasst wurde und wie mit diesem Schreiben zum Zwecke einer postalischen Übermittlung an den Kläger verfahren wurde. Insoweit hat die Beklagte die internen Abläufe näher dargestellt und mit hinreichenden Zeitangaben versehen. Die Beklagte hat zudem dargelegt, welche Personen zu den Einzelheiten der Abfassung des Einladungsschreibens und zu seiner Aufgabe zur Post nähere Angaben machen konnten und hat insoweit den Bürgermeister T, den Amtsleiter Zentrale Dienste S, das Mitglied der Personalvertretung F sowie die Vorzimmerbeschäftigte L benannt. Dass diese Personen über die Beklagte hätten geladen werden können, ergibt sich ohne Weiteres aus ihrer jeweiligen Funktion.

38

(bb) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist das Vorbringen der Beklagten nicht wegen eines Widerspruchs zu ihrem vorprozessualen Vortrag als von vornherein unbeachtlich zu behandeln, mit der Folge, dass der Vortrag des Klägers, ein Einladungsschreiben an ihn sei nicht abgesandt worden, als unbestritten anzusehen wäre.

39

(aaa) Insoweit verkennt der Kläger bereits, dass vorprozessuale Äußerungen einer Partei generell nicht geeignet sind, ihrem Prozessvortrag die Beachtlichkeit zu nehmen (BGH 8. November 1995 – VIII ZR 227/94 – zu III der Gründe) und dass eine etwaige Widersprüchlichkeit des Parteivortrags nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden kann (vgl. etwa BGH 21. Juni 2018 – IX ZR 129/17 – Rn. 21; 12. Dezember 2017 – KZR 50/15 – Rn. 26 mwN; 13. März 2012 – II ZR 50/09 – Rn. 16 mwN).

40

(bbb) Abgesehen davon fehlt es hier bereits an einem widersprüchlichen Vorbringen der Beklagten.

41

Der Kläger kann insoweit nicht mit Erfolg geltend machen, die Beklagte habe sich weder in ihrem Schreiben vom 14. März 2018 noch in dem Schreiben des KSA vom 18. Mai 2018 darauf berufen, dass er trotz Einladung nicht zum Vorstellungsgespräch erschienen sei. Hierin liegt schon kein widersprüchlicher Vortrag gegenüber dem Prozessvorbringen der Beklagten, denn diese hatte damit nicht erklärt, eine Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch nicht abgesandt zu haben.

42

Soweit der Kläger sich auf ein unterschiedliches Erscheinungsbild des im arbeitsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Einladungsschreibens vom 6. Februar 2018 und des Schreibens vom 14. März 2018 bezieht, mit dem die Beklagte ihm die Bewerbungsunterlagen zurücksandte, folgt daraus nichts Abweichendes. Die vom Kläger angeführten Unterschiede lassen schon im Ansatz keinen Rückschluss darauf zu, dass das Einladungsschreiben nicht verfasst bzw. erst im Nachhinein erstellt wurde. Darüber hinaus hat die Beklagte – unwidersprochen – dargetan, dass die bemängelten Unterschiede allein auf die Verwendung verschiedener Computer mit unterschiedlichen Dokumentenvorlagen zurückzuführen seien.

43

(d) Der Kläger ist für seine Behauptung, die Beklagte habe nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang eines Einladungsschreibens an ihn zu bewirken, beweisfällig geblieben.

44

Dem Kläger waren aufgrund des Vorbringens der Beklagten hinreichend Personen bekannt, die zu der Frage, ob die Beklagte alles Mögliche und Zumutbare unternommen hatte, um ihm eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu übermitteln, etwas hätten aussagen können. Danach wäre es dem Kläger ohne Weiteres möglich gewesen, für seine Behauptung, die Beklagte habe ihm gegenüber keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ausgesprochen, Beweis durch die Benennung dieser – offensichtlich über die Beklagte zu ladenden – Personen als Zeugen oder Partei anzutreten. Dies hat der Kläger unterlassen.

45

(e) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, ihm das Einladungsschreiben per Einschreiben mit Rückschein zukommen zu lassen oder es ihm gar förmlich zuzustellen. § 165 Satz 3 SGB IX sieht für die Einladung zum Vorstellungsgespräch weder eine bestimmte Form noch eine bestimmte Art der Übermittlung vor.

46

b) Auch die sonstigen vom Kläger angeführten Umstände begründen nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der Kläger im Stellenbesetzungs-/Auswahlverfahren wegen der (Schwer)Behinderung bzw. seiner Gleichstellung benachteiligt wurde. Soweit der Kläger sich darauf beruft, die Beklagte habe, nachdem er nicht zum Vorstellungstermin erschienen sei, nicht versucht, ihn telefonisch zu erreichen, ist dieser Umstand schon nicht geeignet, ein Indiz iSv. § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung zu begründen. Selbst wenn ein Arbeitgeber nicht versucht, eine/n zum Vorstellungsgespräch geladene/n Bewerber/in bei Nichterscheinen telefonisch zu erreichen, steht dieser Umstand – für sich betrachtet – in keinem Zusammenhang mit einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung, weshalb allein aus diesem Umstand nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit – vgl. Rn. 20 – darauf geschlossen werden kann, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist.

        

    Winter    

        

    Vogelsang    

        

    Berger    

        

        

        

    Kothe-Woywode    

        

    Volz